10 | in stiller Überzeugung

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| Harry |

Müde saß ich zwei Tage nach meinem Dinner mit Emma wieder im Privatjet der Azoffs, auf dem Weg zurück nach LA. Es war so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte: Mit meinen Einschätzungen hatte ich ins Schwarze getroffen und Emma war genau die, für die ich sie von Anfang an gehalten hatte.

Ich hatte die richtige Wahl getroffen, dessen war ich mir sicher - anders als Jeff.

„Ich kann's nicht glauben, dass du echt ausgerechnet sie haben willst", raunte mein Freund und Manager. Sein Laptop stand auf dem kleinen Tisch des Privatjets, der zwischen unseren Sessel stand. Müde klickte er sich durch seine Mails, um unter anderem auch Emmas Verträge schnellstmöglich auf den Weg zu bringen.

„Bauchgefühl, Jeffery", erwiderte ich und zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.

Wenig überzeugt sah er kurz vom Bildschirm auf, um stattdessen mir einen zweifelnden Blick zuzuwerfen.

„Ich bin hier ja nur der Bürohengst und weiß nicht, was in euren kreativen Köpfen so vor sich geht, aber faktisch gesehen macht es keinen Sinn. Sie hat keine Erfahrung, sie kennt die Abläufe nicht, du hast keine Ahnung, ob sie dem Ganzen gewachsen ist. Sie ist Kellnerin -"

„Das hat doch nichts zu sagen", grätschte ich dazwischen und holte grinsend zum Gegenschlag aus. „Nicht jeder wird als Sohn von Irving Azoff geboren und kann sich ins gemachte Nest setzen."

„Ha-ha", raunte Jeff augenrollend, ehe er seinen Blick wieder auf den Laptop lenkte. Trotzdem richtete er seine Worte noch an mich. „Du kennst sie nicht mal. Ich bin ja gespannt, was dabei rauskommen soll."

„Etwas Gutes", war ich mir sicher. „Es kann nicht schaden, ihr diese Chance zu geben. Wir haben nichts zu verlieren."

„Klar. Nichts, außer Zeit und Geld", seufzte Jeff  resigniert. Er wusste, dass er mich nicht mehr von meiner Entscheidung abbringen konnte.

„Selbst wenn es nicht klappt, wird uns das wohl nicht in den Ruin treiben", merkte ich berechtigterweise an und warf ihm einen müden Blick zu, ehe ich dann wieder aus dem Fenster des Flugzeugs sah.

Die Diskussion war beendet, was ich auch deutlich signalisierte.

Ich hatte nicht geplant, Emma in unser Team aufzunehmen, als ich sie am Silvesterabend zum ersten Mal gesehen hatte.
Sie war damals eine junge Frau, die ihren Job gut machte - nicht mehr und nicht weniger. Die 2.020$ Trinkgeld waren als nette Geste gemeint, nichts weiter. Ich hatte nicht lange darüber nachgedacht. Hätte uns an diesem Abend jemand anderes bedient, hätte ich dieselbe Summe ausgegeben und jemand anderem eine Freude gemacht. Inzwischen aber war ich mir sicher, dass mein Geld an diesem Abend genau die richtige Person erreicht hat.

Als ich Emma in derselben Nacht wiedergesehen hatte, hatte sie ihre Arbeitsuniform und damit auch die Maske, die sie während der Arbeit getragen hatte, abgelegt.
Ich neigte schon immer dazu, die Menschen um mich herum genau zu  beobachten. Als ich Emma bei dieser zweiten Begegnung genauer angesehen hatte, hatte  ich geglaubt, Gräuel in ihren Augen zu erkennen. Sie hatte nicht gezielt mich abgelehnt, sondern alles, wofür ich stand - genauso wie mein Geld.

Von diesem Moment an hatte ich ein Bild von Emma im Kopf, das sie mir bei unserem letzten Essen bestätigt hat. Das Leben hatte es bisher nicht gut mit ihr gemeint und hat sie verbittert werden lassen - insbesondere Menschen gegenüber, die es besser hatten als sie.

„Planst du sie beim nächsten Konzert schon dabei zu haben?", riss mich Jeff plötzlich wieder aus meinen Gedanken.

Ohne ihn anzusehen, nickte ich.

Big Tip || h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt