36 | altes Gepäck

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| Harry |

„Und nur deswegen ist sie jetzt sauer?", staunte Jeff gerade, als ich niedergeschlagen in seiner New Yorker Wohnung, die im Grunde bloß eines seiner zahlreichen Büros war, saß.

„Nur?", wiederholte ich irritiert.
Hatte er mir gerade zugehört? Selbst mich hatte es gerade wieder geschüttelt, als ich von meinen unglaublich dummen Aktionen der letzten Wochen berichtet hatte.

„Meine Güte, du warst bei deiner Ex und hast nicht Bescheid gesagt. Na gut, dumm gelaufen. Aber da ist doch nichts passiert. Und wenn sie dich kennt, glaubt sie dir das auch", zuckte Jeff lässig mit den Schultern. „Und was das Interview angeht, hatten wir eben 'nen Kommunikationsfehler. Aber da sind ja wohl sowieso wir die Hauptleidtragenden. Emma hat wohl keine Ahnung, wieviele Unternehmen sie mit diesem abgeblasenen Interview verärgert hat.«

Dieses Mal knurrte Jeff sogar wütend. Er sah also keinerlei Probleme in all dem — außer für sich selbst. Und doch war ich es, der seit zwei Nächten kein Auge zugetan hatte, weil er in seinem schlechten Gewissen ertrank.
Emma ignorierte jeden meiner Anrufe und ihr Blick, den sie mir zuletzt zugeworfen hatte, hat Bände gesprochen. Sie wollte mich nicht sehen, und das musste ich respektieren.

„Also — kein Grund, hier ein solches Theater zu veranstalten. Hätte Camille jedes Mal so reagiert, wenn du Mist gebaut hast, wären wir ja überhaupt nicht voran gekommen. Aber sie war eben auch nicht in deine Karriere involviert. Das ist der Unterschied."

„Nein, der Unterschied ist, dass mir Camille nie so nah war wie Emma", hielt ich kopfschüttelnd dagegen, während Jeff abwinkte und mir stattdessen etwas Scotch nachschenkte. „Ich mein's ernst", redete ich weiter. „Außerdem habe ich Camille bewusst verletzt, weil ich ein Idiot war. Bei Emma dachte ich tatsächlich, ich würde das Beste für sie tun."

Wieder winkte Jeff ab. „Ach, das renkt sich schon wieder ein. Sie wird sich schon wieder beruhigen."

Auch das konnte nur jemand sagen, der Emma nicht kannte. Jeff wusste nicht, wieviel es sie gekostet hatte, mir überhaupt zu vertrauen und wie lang und steinig der Weg dorthin war. Er wusste nicht, wie tief die Fallhöhe war, nachdem ich sie mit meinen Lügen fallen gelassen habe.

„Also, was glaubst du? Wann können wir wieder mit ihr rechnen?", wollte Jeff wissen. „Nächste Woche? Übernächste?"

Um ein Haar hätte ich laut aufgelacht. Jeff hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung davon, wie Emma tickte. Ich wusste selbst nicht, wann oder ob man je wieder mit ihr rechnen konnte, doch in einer solch absehbaren Zeit war das gewiss nicht der Fall.

„Ehrlich gesagt.. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt wieder mit ihr rechnen können", gestand ich offen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Emma je wieder Lust hätte, für mich geschweige denn mit mir zu arbeiten.

Mit großen Augen sah Jeff mich an. „Meinst du das Ernst? Sie hat einen Vertrag! Und wir haben mit dem Tempo gerechnet, das ihr vorgelegt habt. Du hast bei den ganzen Try-outs auf sie gesetzt. Wir finden niemals so schnell einen Fotografen, der das umsetzt, was du dir inzwischen für dieses Albumkonzept vorstellst. Ich sag's ja nicht gern, aber ihr wart ein gutes Team."

Davon musste Jeff mich nicht lange überzeugen. Emma und ich waren ein hervorragendes Team. Doch nichts von dem, was wir im Zuge meiner Karriere erschaffen haben, könnte das aufwiegen, was ich zwischenmenschlich verbockt hatte.

Big Tip || h.s. ✓Where stories live. Discover now