36. Ein Fenster der Möglichkeiten

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BEN

Ich dachte über Majas Worte nach. Sie hatte den Kern getroffen. Insgeheim hatte ich auch gewusst, dass die Jungs nicht mehr meine Freunde von früher waren und ich langsam loslassen musste, weil sie mir nicht mehr gut taten und Energie raubten. Mir hatte aber einfach dieser Schubs in die richtige Richtung gefehlt. Die Bestätigung.

Ich sollte neuen Leuten einen Platz in meinem Herzen geben. Und Maja, aber auch Angi und Alex gehörten dazu. Vielleicht konnte ich mich sogar mit Sebastian anfreunden. Und wie sie gesagt hatte, gab es auch in der Schule ein paar nette Gesichter, die ich ansprechen könnte.

Zum Beispiel war mir dieser eine Junge aus dem Physikkurs aufgefallen. Er schien nicht viele Freunde zu haben, aber nett zu sein. Weil er direkt vor mir saß, redeten wir ab und zu in den Pausen. Manchmal erklärte er mir auch den Stoff, den ich nicht verstanden hatte. Und bei Partnerarbeiten bildeten wir eine Gruppe. Ich musste ihn einfach mal in der Pause suchen und dann konnten wir auch quatschen.

Die Art, wie wir uns fortbewegten, schien von Weitem leicht auszusehen, doch der Schein trog. Das Seil um die Hüften gebunden, lief ich an der Wand hoch, was sich wirklich als schwierig herausstellte. Diese ganzen Filme vermittelten ein falsches Bild.

Meine Beine schmerzten, ich brauchte eine kurze Pause. Doch mitten in der Luft konnte man sich schlecht ausruhen.

Maja und Sebastian trieben anscheinend mehr Sport als ich. Sie ruhten sich beide oben aus. Majas Beine baumelten über dem Abgrund.

Nach ein paar Minuten hatte auch ich es endlich geschafft. Ich ließ mich neben Sebastian nieder.

"Na, auch schon geschafft?" Sebastian schlug mir freundschaftlich gegen die Schulter. Unser Verhältnis hatte sich seit dem Gespräch über Maja deutlich verbessert. Trotzdem keimte ein Funken Neid in mir auf, weil er schneller klettern konnte und mehr Ausdauer besaß. Das fand Maja bestimmt attraktiv. Ich nahm mir vor, mich mehr dem Sport zu widmen. Dafür tüftelte ich in meinem Kopf schon einen Plan aus: Ich würde mich mit einer Tafel Schokolade auf das Sofa schmeißen und Leute beim Workout auslachen, um dabei meine Lachmuskeln trainieren. Klang doch nach einem guten Plan. Ich sollte trotzdem mein wöchentliches Training weiterführen, was ich manchmal vernachlässigte.

"Können wir weiter?" Hochmotiviert sprang Maja auf und auch Sebastian war nicht abgetan von dieser Idee. Ich stöhnte, dann schleppte auch ich meinen Körper nach oben.

Direkt vor uns begegnete uns eine Leiter. Maja stieg auf die erste Sprosse und bewegte sich flink nach oben. 

Meine Hände ergriffen das dunkle Holz, welches sich unter meinen Fingern geschmeidig anfühlte. 

Schweigend erklommen wir die Leiter und erreichten einen riesigen Dachboden voller Spinnweben. Gruseliges Licht vom Halbmond fiel durch ein kleines Fenster und erleuchtete ein paar Stellen auf dem Boden. Schränke waren an die Wände gerückt.

"Wow, hier oben war ich noch nie." Sebastians Mund stand vor Verwunderung offen. Im nächsten Moment rannte er auch schon zu den staubigen Büchern und fischte eins aus dem Stapel.

"Hey!", zischte ich. Dieser Raum hier fühlte sich nicht sicher an. Ich hatte ein schlechtes Gefühl. So, als würde jeden Moment jemand durch die Luke kommen und uns entdecken. Vielleicht spürte ich ja Angis und Alex' Anwesenheit.

Ich zeigte auf das ziemlich kleine Fenster, dann bedeutete ich den beiden, leise zu sein, indem ich einen Finger an meinem Mund legte.

Die Balken, die sich über den Dachboden ausbreiteten, führten auch am Fenster vorbei. Ich strebte einen stabil aussehenden Schrank an. Vom letzten Schrankbrett sprang ich auf den Balken, was Maja aufquietschen ließ. Ich grinste. Sie hatte Angst um mich.

Danach balancierte ich auf dem Balken, während Maja und Sebastian mir folgten.

Mit nur wenigen Schritten rückte ich zum Fenster, damit ich dort gucken konnte, ob es in einen anderen Raum führte oder ob das Mondlicht echt war und diese kleine runde Glasscheibe den Weg in unsere Freiheit symbolisierte.

Ich machte mich darauf gefasst, nach hinten zu prallen, wenn ich versuchte, durch die Öffnung zu kriechen. Dann wagte ich den Schritt und öffnete das Fenster. Frische Luft kühlte meine erhitzten Wangen. In der Ferne hörte ich einen Uhu, was ein Glüksgefühl durch meinen Körper fließen ließ. Es nieselte, weshalb ich versuchte, einen Tropfen mit meiner Hand aufzufangen. 

Sollte das nur von diesem verdammten Haus simuliert sein, hatte das Haus Talent. Es fühlte sich wirklich so wie sonst auch an, wenn ich mit meinem Labrador nachts spazieren ging. 

"Ben, da kommt jemand!", zischte Maja und schüttelte mich an den Schultern. Es schmerzte, die Möglichkeit der neugewonnenen Freiheit loszulassen, doch mir blieb keine andere Wahl.

Wir krochen zu einer Stelle, von der aus wir den Eingang gut beobachten konnten. Außerdem achteten wir darauf, dass man uns von unten nicht so schnell entdeckte.

"Au!" Mein kleiner Finger der linken Hand tat weh. Ich hatte mir einen Holzsplitter eingefangen. Maja drehte alarmiert um und robbte zu mir.

"Alles in Ordnung?" Ich hörte die Panik in ihrer Stimme. "Ja, alles gut. Nur ein Holzsplitter", murmelte ich. Mir war es peinlich, dass ich wegen eines Holzsplitters so laut aufgeschrien hatte.

"Die Person kommt. Alle runter!", befahl Sebastian flüsternd. Wir drückten uns auf den Balken. Ich vernahm ein heftiges Keuchen von einer Person, die gerade eine Leiter erklommen hatte. Die Minuten zogen sich. Keiner von uns wollte riskieren, dass die Person uns bemerkte. Ich könnte etwas erkennen, wenn ich den Kopf ein Stück heben würde. Allerdings traute ich mich nicht.

Langsam wurde ich ungeduldig. Und bevor ich den Drang widerstehen konnte, hob ich doch den Kopf. Leider hatte ich den falschen Augenblick gewählt, denn die Frau stand gerade auf. Ihr Blick schweifte durch den Raum. Ihre Augen fanden unsere Richtung. Schnell zog ich mich zurück. Knapp. Wir hatten echt Glück, dass wir uns hier oben in Sicherheit wägen konnten. Auf diesen Balken waren wir größtenteils blickgeschützt. Wir vernahmen die immer leiser werdenden Schritte der Frau. Sie bewegte sich in den hinteren Teil des Dachbodens.

„Glaubt ihr, dass wir durch das Fenster kommen?", wisperte ich.

„Hm, weiß nicht. Also du bist zumindest nicht zurückgeprallt", meinte Maja.

„Vielleicht steht etwas dazu in diesem geheimnisvollen Buch, das du geklaut hast." Sebastian, der hinter Maja lag, trug auch etwas zu unserem Gespräch bei.

Durch Majas Blick war es leicht, ihre Gedanken zu erraten. Sie hasste sowohl den Gedanken, dass sie geklaut hatte, als auch die Tatsache, dass sie ständig daran erinnert wurde.

Sie hasste sowohl den Gedanken, dass sie geklaut hatte als auch die Tatsache, dass sie daran erinnert wurde.

Trotzdem pflichtete sie Sebastian bei.

"Wir sollten wirklich nachschauen, ob in Jackos Tagebuch etwas steht, was uns weiterhelfen kann."

Meinen Kopf hebend hielt ich nach der Frau Ausschau. Sie hatte sich zum Fenster gedreht, so dass ich ihr Gesicht betrachten konnte. Wegen ihrer dunklen Haut leuchteten ihre weißen Zähne hell. Ihre braunen Haare, die vom Mondlicht beleuchtet wurden, fielen über ihre Schultern.

Sie trug abgetragene Klamotten, Jeans und Pullover, soweit ich erkennen konnte.

Als sie ihren Blick weiter nach oben richtete, schoss mein Puls nach oben, mein Oberkörper sauste nach unten.

Einige Sekunden der Stille vergingen. Ich wurde wahnsinnig. Ich konnte mich nicht lange reglos verhalten.

Ich hörte meinen schnellen Herzschlag in meinem Kopf pochen. Viel schneller als sonst. Ich hatte Angst, während die Ungeduld und die Neugier mich fast zerstörten.

Diese Nacht hatte mich so erschöpft gemacht, doch diese Situation steigerte vieles. Wir würden entdeckt werden und dann auffliegen. Ich war so fertig.

Ich wagte kaum, zu atmen.



Das alte HausWhere stories live. Discover now