8. Flucht aus der Stadt

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Mehr konnte ich nicht herausbringen, da mich jemand am Handgelenk packte.

"Wo ist es?", knurrte eine tiefe Stimme hinter mir. Diesmal sprach Jacko die Worte sehr klar und deutlich aus, ohne Buchstaben oder gar Silben zu verschlucken.

Sofort zuckte ich erschrocken zusammen, ermahnte mich aber selber, ruhig zu bleiben und mir zu überlegen, was in dieser Situation am schlausten wäre, zu tun. 

Ich hatte Glück, dass Jacko das Buch, das ich in der Hand trug, die er nicht festhielt, noch nicht entdeckt hatte.

Mein Blick fiel auf Alex, der mit aufgerissen Augen mir gegenüber erstarrt war.

Nun würde sich zeigen, wem er vertraute. Ich jedenfalls glaubte an ihn.

Mit einer schnellen Bewegung warf ich ihm das Buch zu und rief: "Renn zum Ort, vor dem er sich am meisten fürchtet und wo er nicht zurückkehrt."

Mit den Lippen formte ich die Worte das alte Haus.

Ich konnte mir vorstellen, dass Jacko wusste, wohin ich Alex schickte, doch das Risiko ging ich ein.

Zu meinem Glück nickte Alex und flitzte dann so schnell er konnte weg.

Natürlich wollte Jacko hinterher, so dass er mein Handgelenk losließ. Allerdings hatte er nicht mit mir gerechnet, da ich ihm ein Bein stellte und er mit dem Bauch voran auf den Boden fiel und dort liegen blieb. Schnell warf ich mich auf ihn drauf.

Was machte man mit einem Mann, der wusste, dass sein wichtigster Besitz von einem geklaut wurde?

Unter mir fing Jacko an zu zappeln, doch ich hielt seine beiden Handgelenke fest, so dass er sich nicht befreien konnte. Glücklicherweise zählte Jacko schon ein paar Jahre seines Lebens und konnte mich demnach nicht überraschen und umlegen. Obwohl er zwar schnell rennen konnte, war Kraft nicht seine Stärke. Aber lange würde ich das auch nicht aushalten, ich hatte auch nicht viel Kraft. 

Ich wartete einfach ein paar Minuten ab und würde ihn dann liegen lassen.

Er war ja nicht mal verletzt, also würde das schon funktionieren.

Als ich nur da saß und nichts tat, wurde mir bewusst, wie sehr ich in der dicken Winterjacke geschwitzt hatte, gleich darauf kam mir der Gedanke an all die schönen sowie verrückten Dinge und Momente, die ich heute erlebt hatte. Und dann fragte ich mich, ob meine Eltern schon nach Hause gekommen waren. Und ich fragte mich, ob meine Schwestern Miriam und Mariella Spaß mit ihrer besten Freundin hatten.

Ob jemand aus meiner Familie mich beim Stadtfest gesehen hatte? Ob einer von ihnen gemerkt hatte, dass ich ein Buch geklaut hatte?

Das Buch. Der Gedanke daran schreckte mich aus meinen Gedanken. Mit einem Ruck sprang ich auf und rannte weg. Schon nach kurzer Zeit hatte ich die Menschenmasse, die sich auf dem Stadtfest herumtrieb, erreicht und mischte mich unter die Leute.

Sollte ich nun Alex hintherhersausen oder Angelina und Ben suchen?

Ich entschied mich für die erste Möglichkeit. Vermutlich irrten Ben und Angelina in der Stadt herum und suchten Alex und mich.

Ohne den Menschen in die Augen zu schauen, aus Angst, sie könnten meinen Diebstahl dadurch erkennen, bewegte ich mich zum Stadtrand.

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Bevor ich allerdings den Markt verließ, sprangen mir zwei Gesichter ins Auge. Mariella und Miriam. Meine geliebten Schwestern.

"Miri, Mari. Hey, habt ihr Spaß? Wo ist eure Freundin?"

Mariella und Miriam waren fast gleich alt, was ein Wunder bei Zwillingen, weshalb sie auch so gut miteinander klarkamen. Obwohl ich mit meinen 17 Jahren zwei Jahre länger lebte, als die anderen, hatten wir uns alle gleich lieb. Nur ich vertrat nicht mehr dieselben Interessen wie sie, deshalb begleitete ich sie kaum noch zu Ausflügen.

"Unsere sogenannte Freundin hat einen neuen Typen kennengelernt und verbringt jetzt die ganze Zeit mit ihm."

"Das ist doch gar nicht so schlimm. Ihr habt doch noch euch."

"Aber wir werden vernachlässigt", jammerte Miri. Ach, die Eifersucht, wenn sich die beste Freundin verliebte. Dieses Gefühl kannte ich nur zu gut.

Um sie abzulenken, schnitt ich ein anderes Thema an. "Ich habe übrigens auch jemand Neues kennengelernt. Und zwar Ben. Er ist voll nett."

"Uh, ist unser Lieblingsschwesterchen etwa verliiiiiiebt?", hakte Miriam nach.

"Wir kennen uns erst seit ein paar Stunden, da kann ich doch nicht sagen, dass ich verliebt bin."

"Schon mal was von Liebe auf den ersten Blick gehört, Schwesterchen?", fragte Mariella, ich verdrehte nur die Augen.

"Jeder hat schon mal von Liebe auf den ersten Blick gehört."

"Okay, ich sag dir mal eins, Schwester. Ich kenne dich zu gut, du hast dich gerade verraten", begann Mariella den Satz und Miriam beendete ihn: "Du hast dich so was von in ihn verliebt. Gleich, nachdem du ihn das erste Mal gesehen hast."

"Tja, dumm, wenn man zwei Schwestern hat, die dich ihr ganzes Leben lang kennen. Wir können dich einfach durchschauen", meinte Miriam.

"Tja und dank euch kann ich erkennen, wenn jemand lügt. Habe ich durch jahrelange Übung an euch perfektioniert", schoss ich zurück.

Bilder von Jacko, als er gelogen hatte, erschienen in meinem Kopf. Dann die Gesichter von Angelina, Alex und Ben.

Wo waren sie? Was machten sie? Ob Alex unversehrt beim alten Haus angelangt war? Verfolgte Jacko ihn gerade in diesem Moment?

Panik machte sich in meinem Körper breit. Verdammt, ich musste los.

"Ich muss jetzt leider los, die anderen suchen. Ich kann euch heute Abend, wenn ich Zeit finde oder morgen von heute erzählen. Aber ich muss jetzt." Ich winkte zum Abschied und ließ meine Schwestern allein. 

Dieser Abend kam mir wie der längste in meinem Leben vor.

Ich durchquerte den Markt und marschierte anschließend durch die dunklen Straßen von Schneening. Die Musik wurde immer leiser, je weiter ich mich vom Marktplatz entfernte.

Ein unbehagliches Gefühl schlich sich zu mir und verbreitete sich in meinem Körper. Ich sah niemanden bis auf eine Katze, die durch die Nacht davonrannte. Ich konnte nicht leugnen, dass ich Angst hatte. Wie schön es wäre, wenn ich nie gekommen, sondern einfach zu Hause geblieben wäre.

Aber dann hättest du Ben nicht kennengelernt, flüsterte mein Gehirn. Wie wahr. 

Das alte HausWhere stories live. Discover now