33. Bens große Angst

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BEN

Ein neuer Raum. Ein neues Abenteuer. Gespannt blickte ich mich um, doch in dem Moment, in dem ich die Gegenstände zu erfassen versuchte, verschwammen sie. Ich nahm alles wahr, als hätte ich Tränen in den Augen oder als würde ich durch eine Milchglasscheibe schauen.

"Maja", flüsterte ich ängstlich. "Bitte, bleib bei mir." Direkt eilte Maja auf mich zu. Ich spürte, dass irgendetwas passieren würde und griff nach ihrer Hand. Sie ließ nicht los, wehrte sich nicht dagegen. "Natürlich bleibe ich bei dir."

"Siehst du auch alles verschwommen?" Vielleicht war mir auch nur schwindelig und ich musste mich einfach nur hinsetzen.

"Ja. Was ist das?" Maja schaute sich panisch um. Es sah aus, als würde sich der Raum bewegen, als würde er sich immer schneller um uns drehen. Ehe ich mich versah, lag ich auf dem Boden. Majas kalte Hand lag immer noch in meiner. Als ich mich aber zu ihr umdrehte, entdeckte ich ihren Körper nicht mehr. Nur ihre Hand spürte ich, doch auch die sah ich nicht.

"M... Maja? Wo bist du?" "Ich bin hier. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam lösen müssen. Und ich denke, wenn du meine Hand nicht loslässt, kann ich dir helfen, wenn es deine Aufgabe ist beziehungsweise du mir, falls es meine Aufgabe ist."

"Okay." Bestätigend nickte ich. "Aber was genau ist meine Aufgabe?"

Eine fremde Stimme sprach zu uns oder besser gesagt zu mir. "Was ist deine größte Angst, Ben?" Natürlich antwortete ich nicht laut, doch ich dachte über die Frage nach.

Nach ein paar Minuten glaubte ich, die Antwort gefunden zu haben, doch eingestehen wollte ich sie mir nicht. War es wirklich das, was gesucht war?

Meine größte Angst war wohl, nie eine tiefe Bindung eingehen zu können, weil ich nie die richtige Person dafür fand.

"Du liegst richtig, Ben", meinte die Stimme.

"Was sollen wir jetzt machen?"

"Löst das Problem. Du warst schlau, Ben. Du hast deine Freundin als Hilfe mitgenommen in deinen persönlichen Raum der größten Angst."

Ich dachte darüber nach, bis Maja meine Gedanken unterbrach. "Was ist deine größte Angst? Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Aber vielleicht kann ich dir besser helfen, wenn ich deine größte Angst kenne."

Sollte ich es ihr sagen? Ich beschloss, es zu tun.

"Okay. Ich kann dich verstehen. Ich denke, es gibt nur die eine Person, die deine Liebe verdient. Mit der du eine Verbindung eingehen wirst. Ich bin mir sicher, du wirst diese Person treffen. Du wirst sie finden oder sie wird dich finden. Aber keiner von euch darf nach der anderen Person suchen."

Vielleicht waren es die Worte, vielleicht war es ihre beruhigende Hand, die immer noch meine hielt, vielleicht waren es aber auch Kleinigkeiten an diesem wundervollen schrecklichen Abend gewesen, die mich einen Entschluss fassen ließ. Es war eher eine Feststellung.

Ich liebte Maja wahrhaftig. Wenn ihr Leben hier und jetzt bedroht werden würde, würde ich mein Leben opfern, um ihres zu retten. Sie war die Person, mit der ich tief verbunden sein wollte. Mit der ich ein tolles Verhältnis hatte, der ich immer und überall vertrauen konnte. Ich liebte Maja, denn sie war die Person, die mir mein Schicksal bestimmt hatte. Sie gehörte zu mir und ich gehörte zu ihr. Ohne sie war ich ein Junge, der sich in seiner Freundesgruppe unwohl fühlte. Der Junge, der sich verloren fühlte. Ich brauchte sie. Nicht irgendein Mädchen, nicht irgendeine Beziehung, ich brauchte Maja. Doch das würde ich ihr erst sagen, wenn wir uns besser kennenlernten.

Hätte ich sie gesehen, hätte ich sie wohl geküsst.

Die Stimme erklang wieder. "Das Eingestehen der Angst ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch du hast noch mehr getan. Du hast eine Idee, wie du das Problem lösen kannst. Du hast gewonnen, Ben. Die Simulation ist vorrüber, du kehrst zurück."

Einen Moment kam es mir vor, als würde ich mich nicht in der Wirklichkeit befinden, sondern in einer unrealen Welt schweben, bis ich auf den Boden der Tatsachen knallte.

War das gerade echt gewesen? Ich wollte Maja nicht darauf ansprechen, da ich Angst hatte, dass sie mich für verrückt erklären würde. Die Stimme aber hat gemeint, es wäre eine Simulation. Also hatte ich mich gerade nicht in der Wirklichkeit befunden.

"Ben, lass uns weitergehen. Wir wollen am besten heute noch aus diesem Haus herauskommen." Maja reichte mir ihre Hand und zog mich hoch. 

"Lass uns verschwinden." Der Raum war gruselig, also stimmte ich Majas Vorschlag direkt zu. "Klar." Ich machte mir immer noch Gedanken über die letzten paar Minuten, während Maja ganz unbeschwert eine Tür am Ende des Zimmers aufmachte. Der Raum dahinter war in ein gemütliches Kerzenlicht getaucht, obwohl ich von meinem Standort aus keine Kerze ausmachen konnte. Was meine Aufmerksamkeit erregte, waren die Bücher. Auch Maja sah diese. In ihrem Augen blitzte Begeisterung auf und ich war mir sicher, dass auch meine Augen funkelten.

Ich rannte los, meine Beine trugen mich von selbst, hörten auf keinen Befehl. Auch Maja flitzte aus der Tür und der riesigen Bibliothek entgegen. 

Als ich mich, bei den Büchern angekommen, umsah, konnte ich nichts mehr sagen. Mein Mund konnte kein einziges Wort formen. Ich brachte nicht einmal ein einfaches Wow heraus. Meine Beine, die gerade eben noch bereitwillig zu diesem wunderbaren Ort gelaufen waren, blieben nun fest auf dem Boden stehen. Ich konnte mich nun nicht mehr vom Fleck rühren. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Als ich sie wieder öffnete, hatte ich mich beruhigt und ging los, um die Bücher zu betrachten, ohne zu wissen, dass jemand im selben Raum die Bücher bestaunte und dabei eine furchtbare Angst vor mir hatte.

"Sebastian?" Ihre zarte Stimme klang, als hätte sie diesen Typen vermisst und direkt schoss eine unendlich weite Eifersucht in mich. Dieser Junge würde mir noch alles verderben. Er würde meinen Traum zerstören, wenn er weiter bei uns blieb. Wir mussten ihn loswerden. Ihn verjagen, ihn rausekeln, was auch sonst. Hauptsache, er würde uns verlassen und mir Maja nicht wegnehmen. 

Für Majas Herz würde ich alles tun.





Das alte HausWhere stories live. Discover now