68. Die Pforten, sie öffnen sich!

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Wenn nichts dazwischen kam, mussten wir die Strecke in dreißig bis vierzig Minuten bewältigt haben. Selbst wenn ich Lisbeths Minischritte und ihre ständigen Pausen mit einberechnete, länger als eine Stunde sollten wir nicht brauchen. Die Tatsache, dass wir mit dem Zurücklassen des Wohnmobils alles auf eine Karte setzten, versuchte ich so gut es ging zu ignorieren. Hatte ich Lyffs Aussagen richtig gedeutet und lag ich mit meiner Annahme daher richtig, dass sich die Lauensteins auf dem verlassenen Saga-Park-Gelände herumtrieben, hatten wir die Chance, die Geschichte zu einem guten Ende zu bringen. Sollte dem nicht so sein, würden wir verlieren und alle anderen mit uns. Mara, Lyff und der Junge.
Ein Leben ohne Mara konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Sollte Lyff etwas zustoßen, würde ich mir das nicht verzeihen, würde in der Nachbarschaft zudem für alle Zeiten in Ungnade fallen, weil jeder Hinz und Kunz sich fragen müsste, weshalb einer, der einen leibhaftigen Feuergeist beschwören konnte, unfähig war, auf die pubertierende Enkeltochter der Scheck aufzupassen. Niemals wieder würde ich das Licht des Lebens erblicken, nie wieder glücklich werden. Ich müsste fliehen, zurück nach Braunschweig, mich wieder in der Kunsthochschule, meinem schlecht gelüfteten Atelier verkriechen und bis ans Ende meiner Tage düstere Bilder mit unverständlichen Botschaften malen.

Den steinigen Hohlweg, den romantischen Tannenwald und das defekte Wohnmobil hatten wir hinter uns gelassen. Wir waren dem Weg, der sich als ausgetrockneter Bachlauf entpuppte, bergan gefolgt. Der Pfad wurde steiler und steiniger. Hier und da entsprangen winzige Quellen zwischen den Felsbrocken. Das Wasser plätscherte zwischen unseren Füßen hindurch, gurgelte um Baumwurzeln und versickerte irgendwo in dichten, dunkelgrünen Moosteppichen. Nach kurzer Zeit stießen wir auf einen mit gelben Dreiecken markierten Wanderweg, der uns laut Karte zum ehemaligen Vergnügungspark führen musste. Lisbeth ächzte unter der Last ihres gigantischen Rucksacks, den sie kurz vor unserem Aufbruch mit Büchern, Kladden, Videokassetten und Magnetbändern vollgestopft hatte, ihrer wissenschaftlichen Quintessenz, die sie unmöglich im Wohnmobil zurücklassen konnte, wie sie mir versicherte.
Jetzt blieb sie stehen, nach vorn gebeugt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, keuchend, schwitzend, mit rot-glühenden Wangen.

„Können wir tauschen?"

Sie wuchtete den Rucksack herunter und ließ ihn auf den Boden gleiten. Amanda sprang erschrocken zur Seite. Ich gab Lisbeth meinen Rucksack und stemmte mir ihren auf die Schultern, der so viel wog wie eine halbe Kuh.

„Laut Karte sind es noch etwa dreißig Minuten und ...", ich traute mich kaum, es auszusprechen, „wenn wir nicht alle fünf Minuten eine Raucherpause einlegen, dann schaffen wir das auch!"

Zu meinem größten Erstaunen widersprach Lisbeth nicht.

„Ich weiß, ich bin eine dicke, fette Kuh. Hunderfünfzig Kilo Lebendgewicht. Bin seit Ewigkeiten nicht mehr gewandert, von Sport ganz zu schweigen. Schuckere bloß die ganze Zeit mit meinem Gespenstomobil durch die Gegend und schwenke irgendwelche Gerätschaften von links nach rechts."

Lisbeth tat mir beinahe leid, doch fiel mir nichts ein, das ich ihr zur Beruhigung sagen konnte. Ich ließ sie weiterreden während sie sich eine Zigarette ansteckte und wir unseren Weg fortsetzten.

Das in Wellen heranrollende Grollen, die Erschütterungen des Erdbodens hatten die ganze Zeit über angehalten. Immer wieder gab es kurze Pausen, dann ging es wieder von vorne los. Die merkwürdigen schwarzen Krabbeltiere, welche überall am Wegesrand aus Erdlöchern und Felsspalten hervorkrochen, riesengroße Ameisen, Asseln mit im Sternenlicht schimmernden Rückepanzern, angsteinflößende Spinnen und Käfer, machten uns zusätzlich Beine und verboten uns den Gedanken an eine Pause. Natürlich hätte Lisbeth die Kreaturen gern fotografiert, eingetütet und für ihre Forschungsarbeit mitgenommen, doch das konnte ich ihr glücklicherweise mit dem Hinweis ausreden, dass ihr nach erfüllter Mission genügend Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit bliebe.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 24, 2022 ⏰

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Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt