63. Wildwest-Manieren

29 8 2
                                    


Okay, Game Over. Keine Lügengeschichten mehr. Dafür war jetzt keine Zeit mehr die Situation zu brenzlig. Ich musste Lisbeth die Wahrheit sagen, nichts als die pure, ungeschönte Wahrheit.

„Ihre Schwester, die Karte kommt von ihr. Sie sagte mir, dass Sie sie ihr geschickt hätten. Sie macht sich große Sorgen um Sie, wegen dieses Mannes ..."

Ich deutete in Richtung der Postkarte. Trotz der spärlichen Beleuchtung, erkannte ich, wie sich Lisbeths Gesichtsfarbe ungesund verfärbte. Ich tippte auf Zornesröte. Plötzlich schnellte sie in die Höhe, mit einer Behändigkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte, und sprang mir mit ausgestreckten Armen und zu Klauen gespreizten Fingern an den Hals.

„Du spionierst mir nach, du Wicht? Hä? Sie? Sie hat dich geschickt? Hast du ihr etwa verraten, wo ich stecke? Hast du ihr irgendwas gesagt? Mit deinem dämlichen Funkgerät vielleicht, hä?"

Ihre beringten Finger schlossen sich um meinen Hals, doch anstatt mich zu erwürgen rüttelte und schüttelte sie mich, dass mir Hören und Sehen vergingen.

„Was hat sie dir bezahlt, du Schleimscheißer? Was bekommst du dafür, dass du Lisbeth Schlesinger verrätst?"

Mein Kopf schlenkerte hin und her wie bei einer Stoffpuppe, mir wurde hundeübel. Ich zeigte auf meinen Hals, wollte ihr signalisieren, dass ich ihr schlecht antworten könnte, wenn sie nicht mit dem Geschüttele aufhörte. Ich hatte Glück im Unglück, denn Lisbeths Kondition war nicht die beste. Sie schnaufte und prustete, ihr Gesicht verfärbte sich dunkelrot, Schweiß lief ihr über die Stirn. So schnell wie sie mich attackiert hatte, ließ sie von mir ab und schleppte sich zurück auf ihren Drehstuhl, wo sie mit letzten Kräften eine Zigarre köpfte und sie mit einem Feuerzeug entzündete.

Ich schnappte nach Luft und massierte mir den Hals, der entsetzlich brannte.

„Die Postkarte, sie kommt nicht von Ihnen?"

Lisbeth atmete Qualm während sie sich mit den Armen auf die Oberschenkel stützte und mich mit zusammengekniffenen Äuglein musterte. Ich hörte sie mit der Zunge schnalzen.

„Hältst du mich für eine, die Postkarten verschickt?"

Wenn ich ehrlich sein sollte, nein, das passte so gar nicht zu ihr, jetzt, wo ich sie ein bisschen näher kennenlernen durfte.

„Mein liebes Schwesterlein würde mich lieber heute als morgen tot sehen. Da schicke ich ihr doch keine kitschigen Postkarten mit irgendwelchen Liebesgeständnissen und so'n Firlefanz. Und überhaupt, das mit diesem bärtigen Typen, was für ein Schwachsinn. Ein Bild aus irgendeiner Illustrierten. Hier, sieh selber! Was denkt die sich?"

Ich schaute mir die das Bild noch einmal an. Das war eindeutig ein Fotoabzug, kein Zeitungsausschnitt. Mit sowas kannte ich mich aus. Ich verstand die Welt nicht mehr. Welche der beiden Frauen log und welche sprach die Wahrheit? Dass Lisbeth in einem Moment dies und im nächsten das genaue Gegenteil sagte, hatte ich ja schon erfahren dürfen.

„Sie meinen, Sie haben gar keinen Mann abgeschleppt, ich meine kennengelernt, so einen wilden Typen mit Bart, den auf dem Foto, ich meine, ihre Schwester Doro sagte etwas von einem Waldgeist, der Ihnen was antun würde ..."

Lisbeths Hände umklammerten die Stuhllehnen, so fest, dass sie knirschten.

„Oho, sie an, du nennst sie Doro. So gut kennt ihr euch also! Dieses Miststück! Dieses verlogene Stück Dreck! Schickt mir einen Spion, wohlmöglich einen Killer!"

Sie hatte sich erholt, schnaufte jetzt nicht mehr. Wieder sprang sie auf, kam herüber und baute sich bedrohlich vor mir auf. Ihre Hand glitt hinter den Rücken und in der nächsten Sekunde zeigte der Lauf ihrer Waffe auf meine Stirn.

„Wie heißt du Wurm? Los, deinen Namen, deinen Namen, zack zack!"

Ich versuchte so cool wie möglich zu bleiben, was mir völlig misslang. Stattdessen brach mir der Schweiß aus und ich war kurz davor, mir in die Hose zu pinkeln. Mit zitternden Lippen stammelte ich meinen Namen während Lisbeth mich mit der Pistolenhand grob auf die Seite warf, mit der freien Hand unters Bett langte und ein aufgerolltes Seil hervorzog, mit dem sie mich in rauer Wildwest-Manier fesselte.

„Ich bin sauer, richtig wütend! Mann, das war eine Postkarte unter Schwestern und nichts, was man irgend so einem dahergelaufenen Dödel in die Hand drückt!"

Lisbeth sprach mit sich selbst während sie die Knoten anzog.

„Ja Doro, stell dir vor, ich habe auch mal einen Kerl geangelt, ahbe auch mal Dusel gehabt, na und! Wer sagt denn, dass immer nur mein liebes Schwesterlein, das superelegante Fräulein, die Sahneschnitten abkriegt, und nicht genauso auch die pummelige und etwas männlich auftretende Lisbeth! Hä! Wer sagt das? Wer sagt das?"

Ich zog den Kopf ein. Was war hier los? Litt Lisbeth unter einer gespalteten Persönlichkeit oder was war der Grund für ihr sprunghaftes Verhalten? Auf was war Verlass? Das konnte lustig werden.

Lisbeth redete sich weiter in Rage. Ihre Stimme schraubte sich immer höher, klang furchtbar schrill. Ihre Handgriffe wurden zunehmend ruppiger. Sie tat mir weh.
Als sie den finalen Knoten vor meiner Brust zusammenzurrte, tat sie dies so fahrig und brutal, dass mein T-Shirt riss und das Lederband mit dem daran befestigten Bernstein herausrutschte. Augenblicklich stoppte Lisbeth ihre Verrichtung und glotzte mich an.

„Oho, der Herr Lupo trägt einen Schutzstein!"

Sie nahm den Stein zwischen zwei Finger und betrachtete ihn genauer.

„So ein feines, reines Stück!"

Amanda miaute und legte sich auf meine Beine. Weshalb fiel diesem Tier nichts Besseres ein? Sie konnte Lisbeth in den Nacken springen, ihr das Gesicht zerkratzen, doch nichts davon kam ihr in den Sinn. Stattdessen Schnurren, Tatzenlecken und hübsche Äuglein machen.
Wie konnte sie nur?

„Er glimmt ganz leicht, siehst du? Welch hübsches, seltenes Exemplar!"

Mit Entsetzen erkannte ich die Gier in Lisbeths Augen und befürchtete, dass sie mir den Stein jeden Moment vom Hals riss, doch sie verkniff es sich, ließ ihn wie eine heiße Kartoffel zurück in mein Shirt fallen und zog den Knoten fest.

„Tut mir leid, doch ich muss davon ausgehen, dass du meine Schwester bereits informiert hast und ihre Schergen auf dem Weg hierher sind. Ich kann leider kein Risiko eingehen, das meine Mission gefährdet. Zu viel steht auf dem Spiel! Oh, du ahnst ja gar nicht, was auf dem Spiel steht!"

Doch, ich hätte es gern gewusst.

„Sorry, Lupo Scholz!"

Lisbeth zog geräuschvoll an ihrer Zigarre. Die Waffe noch immer auf mich gerichtet, stand sie auf, blies den Qualm aus und stemmte den freien Arm in die Hüfte.

„Scheinst ein besonderer Kerl zu sein, zu manchem nütze, doch gefesselt bist du mir im Augenblick lieber!"

Zusammengeschnürt wie eine Kohlroulade lag ich auf der Seite und beobachtete Lisbeth, wie sie zu ihrem Arbeitstisch ging und eine weitere Lampe anschaltete, die die dahinterliegende Wand in helles Licht tauchte. Ich erkannte eine riesige Pinnwand, vollgehängt mit Zeitungsausschnitten, Karten, Fotos, Bleistiftskizzen und handgeschriebenen Notizen. Einige der Personen auf den Bildern erkannte ich selbst aus der Entfernung sofort wieder. Doro Schlesinger, Herr Lauenstein und seine Frau, die drei Söhne Absolom, Adam und Abraham, darunter ein Foto der gemeingefährlichen Rebecca.

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)حيث تعيش القصص. اكتشف الآن