67. Haken schlagen bei Erdgewitter

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Ich sprang aus dem Wagen und lief zu dem Wegweiser. Vier Ortsangaben, vier Richtungen. Hirschkuppe 4 Kilometer, Wiesental 2,5 Kilometer, Lerbach 10 Kilometer, Lonautal 7,2 Kilometer. Ein Blick auf die Karte. Der Zeigefinger diente mir als Orientierungshilfe. Von hier waren wir gekommen. Dort befand sich die Kreuzung. Der Park lag in der Nähe einer Haupststraße, so viel wusste ich, also waren wir hier oben nicht völlig verkehrt.
Ich blickte zurück auf die schmale Schotterstraße, die wir heruntergekommen waren. Dort hinten, der schwarze Knubbel zwischen den noch schwärzeren Tannen war die Mönchshöhe. Ein erneuter Blick auf die Karte, dann der Abgleich mit dem Forstweg, welcher sich in entgegengesetzter Richtung den Hang hinabschlängelte. Wir mussten die Straße finden, die von Grubenhagen zum Stausee hinaufführte. Welche Richtung sollten wir wählen? Hirschkuppe? Wiesental? Lerbach? Zurückzufahren waren keine Option. Blieben drei Möglichkeiten. Die Zeit drängte wie die Oma beim Teller leer essen.
Aus dem Bauch heraus tippte ich auf Wiesental, einfach deshalb, weil eine Entscheidung her musste und weil Lisbeth mir den Job des Kartenlesers aufgdrückt hatte. Widerstand zwecklos. Nicht glücklich aber auch nicht betrübt über meine Wahl, kletterte ich zurück ins Wohnmobil.

„Wiesental, wir fahren nach Wiesental! Da runter!"

Ich zeigte auf die düstere Forststraße, wobei ich Lisbeth nicht ansah, denn ich befürchtete Kritik und Widerworte.

„Also da runter?"

„Immer geradeaus!"

Lisbeth presste die Lippen aufeinander und starrte auf ihre Hände, die das Lenkrad umklammerten.

„Nein, das werden wir nicht tun!"

Ich wollte protestieren, wollte mit Zähnen und Klauen meine Aufgabe als Kartenleser verteidigen, als Lisbeth das Scheinwerferlicht ausschaltete und den Rückwärtsgang einlegte. Ich bekundete meinen Unmut und versuchte ihr zu erklären, dass wir die Lauensteins niemals fänden, das Leben Maras, Lyffs und des Jungen grundlos aufs Spiel setzten, wenn wir nicht, wie von mir vorgeschlagen, den Weg nach Wiesental nahmen, als ich die zuckenden Blaulichter unterhalb der Bergkuppe bemerkte. Ich hörte Lisbeth mit der Zunge schnalzen, was sich anhörte, als puhle sie sich Essensreste aus den Zahnzwischenräumen.

„Dein Freund und Helfer. Die können wir jetzt gar nicht brauchen!"

Polizei? Hier oben? Warum das? Waren die etwa wegen uns hier? Ich umklammerte die Karte und versuchte mich neu zu orientieren, während Lisbeth das Lenkrad scharf einschlug und das Wohnmobil wendete, um in die entgegengesetzte Richtung der Blaulichter davonzubrausen. Ich räusperte mich geräuschvoll, versuchte meine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass meine Entscheidung für den weiteren Verlauf der Geschehnisse keine Rolle spielte.

„Also gut, fahren wir zur Hirschkuppe."

Lisbeth trat das Gaspedal durch. Unter den Reifen knirschte und splitterte der Kies. Ich hoffte, dass außer uns heute Nacht kein Mensch und kein Tier auf dieser Straße unterwegs war, sein Leben wäre ernsthaft gefährdet gewesen. Rechts flog der schwarze Wald an uns vorbei, links fiel der Hang steil ab ins finstere Nichts. Lisbeth auf ihren halsbrecherischen Fahrstil hinzuweisen, verkniff ich mir, es hätte sowieso nichts genützt, und wer wusste schon, ob das in unserer Situation nicht die goldrichtige Strategie war.

Ich klammerte mich am Türgriff fest und ließ den Rückspiegel nicht eine Sekunde lang aus den Augen. Es war eindeutig, die Blaulichter folgten uns. Wir fuhren durch mehrere enge Kurven, bogen rasant an beliebigen Wegabzweigungen ab und schienen sie nach einiger Zeit tatsächlich abgehängt zu haben, doch irgendwann, nach einer längeren Steigung, an der Motor des Wohnmobils erneut zu keuchen und zu röcheln begann, tauchten sie wieder auf. Blau flackernde Tannenspitzen. Nachtwald. Blauwald. Nachtwald. Blauwald. Nach dem Blinkrythmus zu urteilen, verfolgte uns ein Polizeiwagen, höchstens zwei. Mussten wir uns davor fürchten? Dass uns keine Kohorte verfolgte, beruhigte mich auf eine nicht erklärbare Weise. Ich hatte keine Erfahrungen mit Polizeiverfolgungen. Kommissar Kurt, dieses aufgeblasene Hähnchen kam mir in den Sinn, wie er mit seinem Kollegen meine Küche belagerte, mich mit seinem dummen Blick zu durchbohren versuchte, wie er schließlich das Geld in der Küchenschublade fand, mein sauer Erspartes, wie er unverrichteter Dinge wieder abziehen musste, weil er wusste, dass ich ihn in der Hand hatte. Vergessene Dienstwaffe auf dem Rücksitz des Einsatzwagens! Das war keine Lappalie, Kommissar Kurt!
Was ich bis zur heutigen Nacht nicht verstanden hatte, weshalb kündigten sich unsere Gesetzeshüter gern so auffällig an? Blaulichtgewitter im nächtlichen Wald, das sah zwar mächtig cool aus, war jedoch völlig kontraproduktiv, wenn der Täter schon aus der Entfernung sah, dass man ihm auf den Fersen war.

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang