19. Katersarg Typ „Pappkarton"

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Das Licht in Schecks Werkstatt ließ sich nicht einschalten. Offenbar hatte die Anwesenheit des Geistes alle Glühdrähte durchschmoren lassen oder die Kabelverbindungen versengt. In einem Regal neben der Tür fand ich eine Stabtaschenlampe, deren Batterien schon etwas schwach auf der Brust waren, für mein Vorhaben aber vollauf reichten.

Ich leuchtete in die Ecke, wo noch vor einer Stunde Schecks Geist geschwebt hatte und der Luxuskletterbaum von Kater Charly stand. Den Karton mit dem vertrockneten Kater hatte ich auf einer der unteren Liegeplatten abgestellt. Ich wagte kaum den Deckel anzuheben. Ein unbeerdigter Kater konnte bestimmt, genau wie ein ruheloser Toter, die grauenvollsten Gestalten annehmen und die fürchterlichsten Dinge tun. Da war ich mir ganz sicher.

Trocken-Charly lag jedoch genau so in seinem Karton wie ich ihn hinein gelegt hatte. Von der Werkbank nahm ich ein Paar zerschlissene Arbeitshandschuhe und zog sie an. Dann griff ich nach einer alten Bild-Zeitung und wickelte Charly darin ein, und zwar genau so wie Frau Ebrecht vom Fischladen es mit ihrer Ware immer tat. Einen Augenblick grübelte ich nach ob es angebracht war, seinen Kopf genau dorthin zu legen wo das nackige Model von Seite drei abgebildet war. Ich wickelte Charly noch einmal aus und suchte in einer anderen Ausgabe etwas Passenderes für ihn. Tatsächlich fand ich die Abbildung einer eleganten, weißen Katzendame mit Diamanthalsband. Das gefiel Charly bestimmt!

Ich legte das Paket in den Karton und füllte die Zwischenräume mit Sägespänen auf, die ich neben der Werkbank in einem Plastiksack entdeckt hatte. Deckel drauf und mit Klebeband sicher verschnürt, so konnte Charly unter keinen Umständen entkommen und nachts mit knackenden Gliedern, toten Augen und heiserem Miauen über meine Bettdecke schlurfen.

Bevor ich die Werkstatt endgültig verließ, musste ich noch nach Rebeccas Fotoapparat sehen. Vorhin im Wagen hatte sie ihn nicht in der Hand gehabt. In meinem Schlafzimmer hatte er auch nicht gelegen. Nicht auf dem Bett, nicht auf dem Boden. Also musste sie ihn bei sich gehabt haben als Magma-Scheck sie verschluckte!

Ob das Gerät die Hitze überstanden hatte? War es überhaupt wieder zurück in die irdische Welt gekommen? Ich war wie elektrisiert. Wenn ich die Kamera fand, konnte es dann sein dass ...?

Wo hatte Rebecca gestanden? Hier an der Tür. Dann an der Wand dort. Wo hatte Scheck sie wieder ausgespuckt? War der Schuppen überhaupt ihre erste Station gewesen, oder waren sie vorher noch woanders zwischengelandet?

Ich kniete mich auf den staubigen Boden und ließ den Strahl der Taschenlampe von links nach rechts unter den Regalen entlang huschen. Und tatsächlich, dort lag sie! Ich konnte mein Glück kaum fassen. Mit dem Stiel einer Laubharke zog ich die Kamera zu mir heran.

Sie war in einem bemitleidenswerten Zustand, genau wie ich erwartet hatte. Das Objektiv war zerbrochen, das Gehäuse durch die Hitze deformiert. Es würde einem Wunder gleich kommen, wenn der Film im Inneren das Höllenfeuer überstanden hatte.

Bestimmt befand sich in der Kamera ein einfacher Farbfilm. Die Entwicklung war zwar aufwendiger und zeitintensiver als die eines Schwarzweißfilms, aber den Versuch war es wert. Unter keinen Umständen wollte ich solch brisantes Material zum Fotoladen am Markt bringen. Ich wusste ja nicht was Rebecca fotografiert hatte, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Lupo Scholz auf dem Klo? Klick. Lupo gefesselt auf dem Bett? Klick. Außerdem war ich viel zu neugierig, um mehr als eine Woche auf die Bilder warten zu können. Gleich heute Abend wenn ich von der Arbeit kam, wollte ich den Film entwickeln und die Bilder abziehen.

Jetzt musste aber erst einmal Charly zur letzten Ruhe gebettet werden, das gebot der Anstand. Ich schaltete die Taschenlampe aus, klemmte mir den Karton unter den Arm und verließ den Schuppen. Mit einem Spanngurt befestigte ich den Katzensarg auf dem Gepäckträger meines Fahrrades und fuhr bei aufgehender Sonne hinauf zum Hauptfriedhof. Ich musste mich beeilen, weil ich dort sein wollte bevor die ersten Spaziergänger sich zeigten und mein Vorhaben vereiteln könnten.

Da ich den alten Scheck damals auf seinem letzten Weg begleitet hatte, wusste ich an welcher Stelle sich sein Urnengrab befand. Es war in keinem guten Zustand. Die Pflanze, welche auf der quadratischen Grabplatte stand, war längst verdorrt, die Blumenschale gesprungen, und kurz davor in zwei Teile zu zerbrechen. Ich vergewisserte mich, dass niemand in der Nähe war, dann packte ich die Platte an gegenüber liegenden Ecken und schob sie zur Seite. Das ging leichter als ich erwartet hatte.

Nicht erwartet hatte ich, dass auch ein Urnengrab bis oben mit Erde befüllt war, und nicht aus einem Schacht bestand, auf dessen Boden einsam die Urne vor sich hin moderte. Das hieß: ich musste graben. Zumindest so tief, dass Charlys Karton hineinpasste.

Es war halb sechs als ich die Platte wieder an ihren Platz schob, die Handschuhe ausklopfte und hinunter auf die erwachende Stadt blickte. Auch heute würde es wieder sehr warm werden. Ich spürte es schon jetzt.

Bevor ich ging sprach ich noch ein paar Worte: „Ruhe in Frieden, Charly! Und ruhen auch sie in Frieden, Hausmeister Scheck! Ich will ihnen nicht vorenthalten was mit ihrem Kater passiert ist. Am Tag vor ihrem tödlichen Treppensturz haben sie an dem Kletterbaum gewerkelt. Charly war bei ihnen. Abends beim Verlassen der Werkstatt haben sie ihn aus Versehen eingeschlossen. Niemand hat es bemerkt. Auch in den Wochen danach nicht. Ihren Lieblingskaffeebecher nehme ich an mich und werde ihn hüten wie meinen Augapfel. Niemand wird es je wieder wagen, ihn auch nur in die Nähe eines Mülleimers zu bringen Machen sie's gut! Und nie wieder Feuergeist, versprochen? Es sei denn, ich befinde mich in einer lebensbedrohlichen Lage. Okay, tschüss, ciao, bis bald!"

Ich drehte mich um und stapfte den Kiesweg hinunter zum Eingangstor, wo mein Fahrrad auf mich wartete. In drei Stunden begann meine Arbeit im Copyshop. Bis dahin wollte ich duschen, frühstücken und noch ein Stündchen auf dem Sofa dösen.


Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Where stories live. Discover now