43. We can be Heroes, Kurt!

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Kurt riss den Umschlag auf und zog das Bündel Geldscheine heraus. Zweitausend Mark in bar, meine eiserne Reserve, mein Urlaubsgeld für die lange geplante Schwedenreise mit Sven in den Grabschern des widerwärtigsten Kriminalbeamten, den Grubenhagen in seiner 1200jährigen Geschichte hatte ertragen müssen! Ich kochte innerlich vor Wut und konnte mich nur mühsam beherrschen, den beiden Herren nicht an die Gurgel zu gehen.

Nacheinander hielt Kurt die Scheine gegen das Licht. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Dann ließ er den Arm fallen und seufzte theatralisch. Für sein süffisantes Grinsen hätte ich ihm eine reinschlagen können, oder besser noch, Amanda auf ihn gehetzt. Ich konnte auch auf den Tisch springen, mir das Hemd vom Leib, anschließend den Bernstein vom Hals reißen und die Apokalypse heraufbeschwören. Fliegende Teller, aufspringende Schranktüren, herumwirbelnde Stühle, ein aufspringendes Fenster, ein Luftsog, der die Beamten erfasst, sie hinaus zieht und auf Nimmerwiedersehen in den sommerlichen Vormittagshimmel katapultiert. Ich bezweifelte jedoch stark, dass ich zu einer solch perfekt orchestrierten Aktion schon in der Lage war.

„Lupo? Alles in Ordnung?" Kurt fasste mich unsanft an der Schulter und riss mich aus meinem Tagtraum.

„Wieviel Geld ist das hier? Zweitausend, dreitausend?"

Ich biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschten.

„Zweitausend."

Kurt zog die Augenbrauen hoch und betrachtete mich wie einen ungezogenen Sohn. Dann schmiss er den Umschlag und das Geld auf den Tisch.

„ Armbrecht, schreiben sie: Falschgeld im Wert von zweitausend deutschen Mark. Gefunden bei Herrn Lupo Scholz am, und so weiter, bla bla, um soundsoviel Uhr, sie wissen schon." Kurt machte sich offenbar nichts aus Formalien, er war ein Mann der Tat.

Mir wurde schlecht. Und heiß. Heiß und kalt zugleich.

Falschgeld? Welches Falschgeld? Mein Schwedengeld, meinte er das? Ich musste mich setzen und griff benommen nach den Geldscheinen. Armbrecht warf mir einen warnenden Blick zu, der vieles bedeuten konnte. Jetzt bloß keine Mätzchen! Hübsch ruhig bleiben! Die Miezekatze bleibt auf dem Kissen, Opas Wanderstock in der Ecke und der alte Revolver in der Tischschublade!

Wieder und wieder strich ich über die Scheine, fühlte das billige Kopierpapier, sah das falsche Wasserzeichen, die unechten Farben, und war sprachlos, einfach nur sprachlos. Hieronymus hatte mich die ganze Zeit über mit Blüten bezahlt, ohne dass ich, meine Bank, all die Kassiererinnen und Kassierer, die Verkäuferinnen und Verkäufer beim Bäcker, beim Fleischer, im Blumengeschäft, im Klamottenladen, im Plattengeschäft, die Barkeeper, Kellner in all den Kneipen, Restaurants und Cafés irgendwas davon mitbekommen hatten? Ich konnte es nicht glauben. Ich erinnerte mich an Kurts Prahlereien vom gestrigen Abend, an diese angeblich so heiße Sache, diesen Falschgeldring, dem er auf den Fersen war. Der redet im Suff, hatte ich gedacht, der macht sich bloß wichtig.

Jetzt saß ich hier an meinem zerschrammten Küchentisch, vor mir vierzig falsche Fünfzigmarkscheine, weniger wert als ein Satz Spielkarten, und musste erkennen, dass ich es war, der die Stadt, gemeinsam mit Hieronymus, in all den Jahren mit Superdollars versorgt hatte. Ich griff hinter mir ins Regal und förderte eine Flasche Pils zutage, die ich an der Tischkante öffnete und in einem Zug leerte. Armbrecht schluckte trocken. Kurt sah mich mitleidig an.

„So früh am Tag schon Alkohol? Mannomann!" Und mehr zu sich selbst: „Kann halt nicht aus jedem was Gescheites werden."

Hatte Kurt eigentlich Kinder? Wenn ja, dann hatten sie bestimmt nichts zu lachen. Kurt liebte es, auf vermeintlich Schwächere herabzublicken. Ihre Defizite gaben ihm ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit. Ich fühlte mich elendig, klein und elendig. Das machte mich wütend. Sollte ich Feuer-Scheck noch einmal herbitten? Er würde nicht lange fackeln, würde kurzen Prozess mit den beiden machen. Mir brummte der Schädel, mein Magen rebellierte. Seit wann hatte das Pils eigentlich schon im Regal gestanden? Die Flasche war reichlich verstaubt.

Armbrecht schrieb noch immer, kratzend, schabend mit seinem winzigen Bleistift, der zusehends kürzer wurde. Nur noch wenige Zeilen und er würde die Sätze mit seinen Fingernägeln ins Papier ritzen.

Ich musste mir dringend was einfallen lassen. Wenn die zwei hier hinaus marschierten, Armbrecht mit seinem vollgeschriebenen Block, Kurt mit seiner bestätigten Falschgeldtheorie, dann niemals ohne mich in ihrer Mitte. Dann konnte ich endgültig einpacken, und zwar auf ganzer Linie. Ende, aus, vorbei. Schöne Pläne, ade! Mara, du kannst mich ja mal im Knast besuchen. Bring ein Stück Mandarinentorte und eine Thermoskanne Kaffee mit! Frau Scheck, die Wohnung ist jetzt frei. Suchen sie sich endlich einen anständigen Mieter. Nachbar Bremer, leider müssen sie sich jetzt jemand anderen suchen, der ihre knapp sitzenden Jeans bewundert.

Doch plötzlich hatte ich eine Idee. Sie war gewagt, risikoreich, gefährlich, und doch die einzige Möglichkeit aus dieser misslichen Lage heraus zu kommen. Ich stand langsam auf, straffte meinen Rücken, trat neben Kurt und legte ihm die leicht zitternde Hand auf die Schulter. Er sah mich irritiert an.

„Können wir zwei kurz mal allein ...?" Ich wies mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer. Das Herz schlug mir bis zum Hals, doch ich hielt mich ganz gut, wie ich fand. Kurt zögerte einen Moment, ging dann jedoch zu meiner großen Erleichterung auf die Bitte ein. Armbrecht gab er ein Zeichen, sitzen zu bleiben. Ich ging ins Wohnzimmer und blieb vor dem geöffneten Fenster, in dem Amanda zufrieden auf ihrem Kissen schlief, stehen. Kurt kam zu mir und stierte mich erwartungsvoll ins Gesicht. Der Blick über die roten Dächer, auf den blauen Sommerhimmel war atemberaubend. Für heute Nachmittag hatten sie ein schweres Gewitter vorausgesagt.

Ich brauchte nur einen Satz. Ich hatte ihn mir in den letzten Sekunden mühsam zurecht gelegt, mehrfach umgestellt und gekürzt bis er klang wie ich es mir vorstellte. Meine Stimme war fest. Ich fixierte Kurts durchweichtes Nasenpflaster und stellte mir vor, er wäre nackt und hätte ein Würstchen im Po. Eine Strategie, die mir bei so manchem fiesen Lehrer geholfen hatte, die Ruhe zu bewahren.

„Du hast den Umschlag mit dem Geld nie gesehen ..." Kurts Nasenflügel weiteten sich, seine Augen bekamen einen gefährlichen Glanz. „ ... Und ich vergesse, dass du deine Dienstwaffe gut sichtbar in deinem unverschlossenen Privatwagen liegen hattest!"

Zack, das saß. Kurt schnappte nach Luft, das Funkeln in den Augen verschwand. Sein aufgepumpter Brustkorb fiel zusammen als hätte jemand die Luft aus einem Ballon gelassen. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er war wütend. Er hatte Mordfantasien. Er brauchte nur zu schnippen und Armbrecht hätte mir seinen Bleistift in den Hals gerammt. Dienstunfall. Selbstschutz. Lupo Scholz hat nicht nur Falschgeld produziert, er war auch im hohen Maße gemeingefährlich. Amanda hob das Köpfchen: Soll ich springen, die Krallen ausfahren und ihm einen Grund geben, sich noch viel mehr von diesen hässlichen Pflastern ins Gesicht zu kleben? Ich kraulte ihr das Fell zwischen den Ohren, das mochte sie besonders, und lächelte Kurt siegesgewiss an.

Er drehte sich um, stieß dabei gegen das Tischchen mit dem Anrufbeantworter, fluchte und stapfte zurück zu Armbrecht. Dort schnappte er sich dessen Block, verknickte und faltete ihn in rasender Wut zu einem unansehnlichen Papierobjekt und schmiss ihn anschließend in den kalten Küchenofen.

Kurt war schon an der Wohnungstür. Kein Blick, kein Gruß. Armbrecht erhob sich wortlos, steckte seinen Bleistiftstummel ein, setzte sich die Dienstmütze auf den Kopf, legte den Finger zum Abschied an den Schirm und folgte seinem Kollegen in den Hausflur. Heilfroh die beiden los zu sein, drückte ich die Tür ins Schloss. Es klang wie Himmelsmusik. Auf dem Weg zurück in die Küche sang ich leise vor mich hin.

„We can be heroes, just for one day!"

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Where stories live. Discover now