23 Vorladung statt Einladung

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Soweit ich wusste verschickte Pastor Lauenstein nur selten Einladungen. Wesentlich häufiger verschickte er Vorladungen, was in anderen Städten nur Behörden oder Gerichte taten.

Lauensteins Vorladungen waren berüchtigt. Erschien ein Kind nicht zum Konfirmationsunterricht, bekamen Eltern und Sprössling einen Brief. Litt im Gottesdienst jemand unter einem Hustenanfall und musste Lauenstein deshalb die Predigt unterbrechen, hieß das: der Delinquent hatte eine Vorladung zu erwarten, denn den Pastor unterbrach man nicht ungestraft.

Ähnliches geschah wenn jemand sich einen Scherz erlaubte und einen Knopf oder eine Münze vom anderen Ende der Welt in den Klingelbeutel warf. Lauenstein wusste immer wen er ermahnen musste. Oder jemand sang schief, kannte den Text nicht, kam zu spät, gab seinen drei Söhnen, seiner Tochter und der Frau nicht die Hand beim Betreten des Gotteshauses, oder nannte sein Pferd einen Ackergaul. All das waren Gründe eine unfreundliche Einladung zu einem klärenden Gespräch im Pfarrhaus zu bekommen.

Pastor Lauenstein stellte eine Institution in Grubenhagen dar. Sein Netzwerk war ausgreifend, sein Wort von unschätzbarem Einfluss, sein Urteil schicksalsbestimmend.

Nun hatte er auch mich in seinen Fängen, und auf eine unerklärliche Weise spürte ich, dass das eine Weile so bleiben würde. Als hätte alles genau so kommen sollen wie es gekommen war.

Hastig riss ich den Umschlag auf und zog den zusammengefalteten Bogen Papier heraus. Lauenstein schrieb niemals selbst. Wie man sich erzählte ließ er jedes Wort von Frau Schneidewind, seiner Sekretärin, tippen. ich faltete den Brief auseinander und begann zu lesen.

Da stand:


Sehr geehrter Herr Scholz!

Finden Sie sich bitte am kommenden Sonntag, gleich nach dem Gottesdienst, zu dem ich sie ebenfalls herzlich erwarte, zu einem persönlichen Gespräch im Pfarrbüro ein.

Mit Gottes Segen,

Julius Lauenstein

P. S.: Sollten Sie verhindert sein, ist das keinerlei Grund für ein Nichterscheinen!


Mein Nackenhaar und mein Shirt waren klatschnass geschwitzt. Vom Brötchenessen und Herumstehen konnte es nicht kommen. Es war Lauensteins Auftritt, der mich mit dermaßen mit Schrecken erfüllte. Einem Schrecken, der mich zugleich schwitzen und frieren ließ. Meine Konformation lag vierzehn Jahre zurück. Welche Macht dieser Mann noch immer über mein Wohlbefinden hatte!

Fast wünschte ich mir Feuer-Scheck an meine Seite, der Lauenstein einmal kräftig einsog und wieder ausspuckte, damit dieser merkte wo der Hammer hing. Ein frommer Wunsch.

Ich versuchte mir vorzustellen wie Rebecca als kleines Mädchen ausgesehen hatte. Schwarze Zöpfe, braune Augen, Sommersprossen, ständig an der Hand ihres Vaters. Frecher Blick, herausgestreckte Zunge. Waren das Erinnerungen, oder sponn ich mir das zusammen?

Ich erinnerte mich! Ein paar Mal hatte Rebecca ihren Vater in den Konfirmationsunterricht begleitet, wahrscheinlich weil zu Hause niemand gewesen war, der auf sie hätte aufpassen können. Im Weihnachtsgottesdienst, nach dem Krippenspiel, saß sie dann bei ihrem Vater vor dem Altar und riss dem hässlichen Jesuspüppchen an den Armen, bis einer von ihnen abriss und ihrem Vater im hohen Bogen an den Kopf flog. Lauenstein hatte dabei keine Miene verzogen und seine Tochter im Anschluss mit einem gütigen Blick bedacht.

Mit seinen drei Söhnen Absalom, Gabriel und Josef pflegte er keinen solch lockeren Umgang. Stets trugen sie schwarze Anzüge, wie ihr Vater, darunter gestärkte, weiße Hemden, schwarze Schlipse, schwarzglänzende Schnürstiefel und an den Revers kleine silberne Kreuze mit dem gekreuzigten Messias.

Und dann gab es da noch Frau Pastorin, Freda Lauenstein. So weit ich mich zurück erinnerte hatte sie schon immer graues Haar gehabt, das sie stets zu einem Dutt gebunden trug. Sie war ein kleines, schmales Persönchen mit verhärmten Gesichtszügen und ergebenem Blick. Doch wenn ich mich nicht täuschte, dann war sie es, die im Pfarrhaus heimlich die Fäden zog.

Ihre Backkünste waren legendär. Zu jeder Jahreszeit gab es ungesüßte Ingwerkekse aus Vollkornmehl.

All das ging mit durch den Kopf während ich Klopapier von der Rolle riss, mir den Hintern abwischte, den Deckel schloss, mehrmals spülte und mir die Hose richtete.

Während des Händewaschens fiel mir ein, dass Rebecca mich gestern Abend in die völlig falsche Wohngegend gelotst hatte. Zwar waren wir am Haus ihrer Tante gewesen und hatten das geliehene Auto zurück in die Einfahrt gestellt, doch der Bungalow, den sie mir so überzeugend als ihr Elternhaus verkauft hatte, musste jemand anderem gehört haben.

Lauensteins wohnten im alten Pfarrhaus neben der Georgskirche. Wahrscheinlich hatte Rebecca mich nicht unnötig beunruhigen wollen. Dafür war ich ihr wirklich dankbar. Im Nachhinein war mir völlig unverständlich wie ich den Zusammenhang zwischen Rebecca Lauenstein und dem reitenden Pfarrer über so viele Monate ignorieren konnte. Ein rechtzeitiger Gedankenblitz hätte mir so manchen Ärger erspart.


Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Where stories live. Discover now