27. Viele Briefe, lieber Besuch

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Im Briefkasten fand ich die ersten Reaktionen auf Silva Mystica.

Eine Frau aus Stuttgart schrieb: Endlich wagt jemand die Wahrheit zu sagen. Jahrelang litt ich unter einem schrecklichen Spuk, niemand glaubte mir. Jetzt weiß ich, dass da jemand ist, der Menschen wie mich ernst nimmt. Danke!

Ich wunderte mich, denn ich hatte gar nichts über Spuk geschrieben, kein Wort über Feuer-Scheck und seine Befriedung. Das wollte ich erst in der nächsten Ausgabe tun.

Ein Mann aus Essen berichtete von einem Urlaub im Harz, von merkwürdigen Sichtungen während einer Wanderung auf dem Hohen Acker. Dem Brief hatte er auch ein Foto beigelegt, auf dem eine riesenhafte Gestalt zwischen den Fichten umherlief, unscharf aufgenommen zwar, dennoch glaubwürdig. Ein Waldmensch? Das Bild wirkte keinesfalls wie eine Fälschung, damit kannte ich mich aus!

Nicht alle Briefe waren jedoch freundlicher Natur. Andreas, der Typ vom Krypto-Club, warf mir die Verunglimpfung seiner wissenschaftlichen Arbeit vor. Was dachte sich dieser Gimpel eigentlich, was bildete er sich ein? Nur weil er an der Uni Clausthal Bergbau studierte, glaubte er das Geheimnis der Harzwälder entschlüsselt zu haben? Soweit ich wusste kam Andreas aus Kiel und wollte ursprünglich Kindergärtner werden. Das hatte mir Sven mal erzählt.

Die meisten meiner Fotos seien gefälscht, dazu noch schlecht gefälscht. Ich würde ins Unglaubwürdige, Spirituelle abrutschen, meine Zeitung sei keine Zeitung, sondern ein Märchenblatt, das ich mir getrost in den Hintern stecken dürfe. Andreas wünschte die sofortige Kündigung seines Abos. Das amüsierte mich, denn genau wie alle anderen Leserinnen und Leser hatte auch er sich verpflichtet, Silva Mystica für ein ganzes Jahr zu beziehen.

Andere Leser waren weniger diplomatisch und drohten mir mit einem Hausbesuch: Wilderst du in unserem Revier, wildern wir bald bei dir zu Hause!

Vor wenigen Tagen hatte ich noch ernsthaft darüber nachgedacht, dem Krypto-Club einen Fachvortrag über die Begegnung mit dem Unbekannten anzubieten. Das konnte ich wohl vorerst vergessen.

Ich lag auf dem Sofa, Amanda zwischen meinen Füßen. Im Fernsehen lief eine Samstagabendshow mit langweiligen Gästen und öder Musik. Ich schaltete trotzdem nicht ab, weil mir das Gedudel ein Gefühl von Geselligkeit gab. Eigentlich war ja alles in Ordnung, ich hätte zufrieden sein können. Dennoch hatte ich das eigenartige Gefühl, mein Kopf stecke in einer Schlinge, die sich von Tag zu Tag enger zog. Da konnte einem schon mal der Gedanke an Flucht kommen!

Ich rief Sven an und fragte ihn ob er Lust auf ein Bier hätte. Er sagte spontan zu. Das Fernsehprogramm ging auch ihm auf den Sack und ein Testessen stand für ihn heute auch nicht mehr  an.

Kurz nach halb zehn stand er vor der Tür. Täuschte ich mich oder war es wirklich so, dass Sven seit unserer letzten Begegnung noch einmal an Umfang zugenommen hatte? Obwohl es bereits dämmerte war es draußen noch immer brüllend heiß, was Sven scheinbar nicht davon abhielt, eine lange Jeans, die ihm viel zu eng war, und ein langärmliges Kapuzenshirt mit Kermit-der-Frosch-Aufdruck zu tragen.

Ich lotste ihn ins Wohnzimmer, wo er sich furchtlos neben Amanda aufs Sofa fletzte. Aus dem Kühlschrank angelte ich zwei kühle Flaschen Bier, öffnete sie und drückte Sven eine von ihnen in die Hand. Wir prosteten uns zu. Oh, Mann, dachte ich, wie lange lag es zurück, dass jemand zu Besuch hier war! Wie lange war es her, dass ich abends weggegangen bin! Kneipe, Disco, Restaurant.

Ich hatte eine Katze, gab eine Lügen-Zeitung heraus, arbeitete in einem unrentablen Copyshop und schmachtete einer Frau hinterher, die sich täglich weiter von mir entfernte.

Sven drehte die Flasche in seinen massigen Händen und starrte auf die Glotze, wo gerade jemand einen gelben Bagger durchs Fernsehstudio lenkte. Dann ließ er seinen Blick durchs Wohnzimmer, auf den Flur, in die Küche und wieder zurück schweifen.

„Hat das mit Mara eigentlich noch geklappt?"

Ach, der gütige Sven. Er besaß ein angeborenes Talent, wunde Punkte bei seinem Gegenüber zu erspüren und unbedarft darauf herum zu drücken.

Ich schüttelte den Kopf. „Keine Chance. Am Ende hat das ranzige Fett im Jägerstübchen das Fass zum Überlaufen gebracht."

Sven schien fassungslos.

„Sie hat dich dafür verantwortlich gemacht?"

„Ich hätte die Lokalität wohl gewissenhafter auswählen sollen! Außerdem mag Mara wohl keine Fettnäpfchentreter. Sie will jemanden mit Rückgrat, jemanden, der ihr eine Stütze ist, jemanden, der sich nicht ständig selbst im Wege steht."

Sven schüttelte den Kopf.

„Einen Fels, an den sie sich lehnen kann? Wie vorgestern ist das denn? Wir Männer haben auch Gefühle, machen auch mal Fehler!"

Mir blieb nichts, als ratlos mit den Schultern zu zucken und einen großen Schluck von dem eiskalten Bier zu nehmen. Danach fühlte sich meine Speiseröhre an wie eine Bobbahn.

„Du bist jetzt Katzenpapa? Ein hübsches Tierchen!"

Amanda war zu Sven hinüber gelaufen und hatte ihm ihren Kopf auf den Schoß gelegt.

„Sie ist mir vor drei Wochen zugelaufen. Eines Abends saß sie vor dem Küchenfenster und wollte rein."

Das schien Sven zu interessieren.

„Also hat sie sich quasi dich ausgesucht!"

Der Gedanke gefiel mir. Allein schon dafür hatte es sich gelohnt, sich mit Sven zu treffen.

Genau wie ich hatte er in seinem Leben schon vieles angefangen und lange Zeit nichts davon beendet. Eine Ausbildung zum Tischler, ein Ingenieursstudium. Er hatte in Bad Harzburg ein kleines Restaurant eröffnet, das nach einem halben Jahr Pleite ging. Am Ende hatte er auf seinen Bauch gehört, der gutes Essen liebte, hatte angefangen erst in der Bundesrepublik, dann in ganz Europa Restaurants zu testen, auch kleine Lokale und Provinzrestaurants, und für Fachzeitschriften darüber zu schreiben. Bald waren seine Artikel kein Geheimtip mehr.

In seiner Freizeit baute er Raumschiffmodelle aus Star Trek und Star Wars, die er seinen Wochenendgästen gern bei Bier, Wein und selbst kredenzten Snacks in seinem riesigen Bastelkeller präsentierte.

Die eine oder andere Idee für meine Monster hatte ich Sven zu verdanken. Mit Papier, Holz, Kunststoff kannte er sich aus, spezielle Klebetechniken waren seine Passion.

Ich erzählte ihm von Rebecca, von Frau Scheck, ihrem Mann, meinem zerstörten Schlafzimmer, von Silva Mystica, Pastor Lauenstein und dem Gespräch am morgigen Sonntag, und meiner finanziellen Lage. Sven saß die ganze Zeit über ruhig da, nippte ab und zu an seiner Bierflasche und kraulte Amanda das Köpfchen. Ich spürte wie gut es mir tat, den ganzen Quatsch einmal laut aussprechen zu können, auch wenn Sven keine Lösungen für all das parat hatte.

„Klingt als hättest du eine Menge Mist am Hacken!"

Dem konnte ich nur zustimmen.

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Where stories live. Discover now