59. Walki-Talki-Desaster

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Ich ging in die Hocke und streichelte Amandas Köpfchen, das noch immer weiß strahlte. Ob wohl ich früher oft hier oben gewandert war, fühlte ich mich nun orientierungslos und verloren. Seit ich die Holzstiegen hinter mir gelassen hatte, waren etwa zwanzig Minuten vergangen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ich die Mönchshöhe erreichte, doch wenn sich dort wirklich die Lauenstein-Brüder herumtrieben, dann musste ich vorsichtig sein!
Ich beschloss, den Pfad zu verlassen, mich durch das Unterholz zu schlagen und die Mönchshöhe von der anderen Seite zu betreten. Noch immer besaß ich keine Idee, was zu tun sei, sollten die Lauensteins Mara tatsächlich in die Höhlen der Mönchshöhe zerren. Sollte ich mich auf sie stürzen, ihnen Amanda auf den Hals hetzen, meinen Schutzstein ablegen und die freien Kräfte walten lassen? Keine dieser Taktiken überzeugte mich.

Ich umrundete eine Gruppe flacher Felsen, kletterte über eine entwurzelte Kiefer, erklomm einen mit Himbeerbüschen überwucherten Hang. Es wurde merklich heller zwischen den Bäumen, Sterne funkelten, ein untrügliches Anzeichen dafür, dass ich auf der Kuppe angekommen war und es bis zur Mönchshöhe nicht mehr weit sein konnte. Gleich dahinten, links über mir musste sie jeden Augenblick auftauchen. Schwarzes, mächtiges Gestein. Wenn sich dort oben jemand herumtrieb, ich würde ihn sehen!
Gebückt lief ich weiter, von Baum zu Baum, von Gebüsch zu Gebüsch. Jetzt sah ich das dunkle Tal, erahnte den Fluss, erblickte ein paar Lichter, die aus den Häusern Grubenhagens zu mir heraufleuchteten.

Die angenehme Kühle des Waldes wich allmählich der unangenehmen Hitze des offenen Geländes. Die Sonne war schon längst untergegangen, wann wurde es endlich kühler? Ich dachte wieder an Mara in ihrem Käfig, an Lyff in der Kiste und Erik, den unbekannten Jungen. Welche unmenschliche Bruthitze mussten sie ertragen!
Noch zehn Meter, dann stand ich auf dem Plateau. Die Felsen der Mönchshöhe musste jeden Moment auftauchen. Ich schaute nach links. Nichts. Ich schaute nach rechts und da war sie! Dort, wo sie eigentlich nicht sein durfte. Schlagartig wurde mir klar, was passiert war. Ich hatte den falschen Weg gewählt. Anstatt mich heimlich, still und leise an meine Gegner heranzuschleichen, lief ich ihnen direkt in die Arme! Wie konnte ich so dämlich sein? Mir brach der Schweiß aus, selbst an Körperstellen, die mir bisher unbekannt gewesen waren.
Nur einen Steinwurf von mir entfernt, lediglich von ein paar Kieferästen verborgen, erkannte ich den Umriss eines großen Wagens. Lauensteins Transporter! Ich sah den undeutlichen Schatten eines Menschen aussteigen, sah ihn mit irgendwelchen Gegenständen an der Außenhaut des Wagens herumhantieren. Amanda kauerte zwischen meinen Beinen. Ich erwartete jeden Moment ihren todesmutigen Sprung, die gebleckten Reißzähne, ihr gefährliches Fauchen, doch es blieb dieses Mal aus. Ihr Kopf war weiß wie Kuchenmehl. Ein gutes Zeichen.

Ich nahm Amanda auf den Arm und bewegte mich langsam, Schritt für Schritt zurück in Richtung Wald. Geräuschlos, mit angehaltenem Atem, immer den Schatten des Transporters im Blick.
Nach wenigen Sekunden hatte mich der kühlende Wald zurück. Ich atmete auf und versteckte mich hinter einem besonders üppig wuchernden Brombeerstrauch. Vorn am Plateau: keine Bewegung.
Ich musste pinkeln und gerade als ich mich aufrichtete und den Reißverschluss herunterzog, knackte das Walki-Talki an meinem Gürtel und pfiff seine Störgeräusche in ohrenbetäubender Lautstärke in die Tiefen des Waldes. Ich fluchte durch zusammengepresste Zähne, griff nach dem Gerät und suchte verzweifelt den Lautstärkeregler, als bereits Lyffs Stimme aus dem Lautsprecher plärrte.

„Hey, Lupo! Alles klar? Ich bin's, Lyff! Lupo? Unser Wagen hält jetzt an. Irgendwo im Wald, glaube ich. Sind lange bergauf gefahren, der Transporter hat ganz schön geheult. Lupo? Hallo? Hörst du mich? Alles klar bei dir?"

Ich fand den Regler und versuchte, die Lautstärke zu minimieren, doch ich musste zu fest gedreht oder gedrückt haben, denn das Rädchen löste sich, brach heraus und fiel irgendwo zwischen meine Füße auf den moosbedeckten Waldboden. Panisch versuchte ich, es auszustellen, doch das gelang mir nicht, also warf ich das Walki-Talki kurzerhand gegen den Stamm einer Tanne, wo es auseinander sprang und zerbrochen auf dem nadeligen Boden landete.
Ein letztes verzerrtes Stimmchen drang aus den Trümmern.

„Luuuupo? Hall ... Haallooo?"

Plötzlich hörte ich hinter mir ein Knacken. Schritte. Zerbrechende Äste. Jemand atmete schwer. Dann vernahm ich die Stimme einer Frau. Rau. Kratzig.

„Das hat mir gerade noch gefehlt! So ein scheiß Wanderer!"

Ich hörte ein mechanisches Klicken, dann ein Surren und spürte kurz darauf ein schmerzhaftes Zwicken im Nacken. Ich griff mir an den Hals, wollte mich umdrehen, wollte protestieren, schreien.

Die Welt ist gemein zu mir, alles verschwört sich gegen mich, dachte ich, als sich der Wald um mich herum  zu drehen begann, schneller und schneller, ein Wirbel aus Braun und Grün und Schwarz und Grau. Ich merke, wie mir übel wurde, wie ich stürzte.

Und dann war da nichts mehr, absolut nichts.

Lupo Scholz dreht auf (Fantasy/Humor)Where stories live. Discover now