Kapitel 2

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Kilian Odair, der Captain der königlichen Wachen, schauderte unter der Eiseskälte, die überall in den Straßen von Vasilias herrschte. Nur wenige Menschen waren unterwegs, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen, während sie an ihnen vorbei gingen. Kilian hielt die junge Diebin, die er dank des Mannes -der König hatte seinen Namen erwähnt, doch Kilian hatte keinen Nutzen darin gesehen sich ihn zu merken- gefasst hatte, fest am Handgelenk.
Den Mann hatten seine Soldaten vor zwei Tagen bei einem Raub in einer der riesigen Villen im Süden der Stadt fest genommen. Sie hatten ihn auf eigenen Wunsch zum König gebracht, wo er flehend angeboten hatte die berüchtigtste Diebin von ganz Vasilias zu verraten, um im Gegenzug freigelassen zu werden. Der König hatte zugesagt, doch war Kilian sich schon da sicher gewesen, dass der Mann trotzdem in den Kerkern unter dem Palast landen würde.
Er musterte die Frau vor ihm unbemerkt. Unter ihrer schwarzen Kapuze hingen vereinzelte, fast weiße Strähnen hervor und ihr Blick war fest auf die Pflastersteine unter ihnen gerichtet.
Es war überraschend gewesen eine Gestaltwandlerin anzutreffen, noch dazu hier im Norden nicht mal zwei Querstraßen vom Palast und damit vom König entfernt. Also entweder sie war unglaublich naiv, was er nicht glaubte oder sie war sich ihrer Sache mehr als bewusst.
Er spürte, wie sie sich leicht verspannte, als sie um eine Ecke bogen und der riesige, goldene Palast vor ihnen auftauchte. In den vielen kleinen Fenstern brannte noch Licht, obwohl es bereits kurz vor Mitternacht war und an manchen konnte man sogar noch vereinzelte Schatten in prunkvollen Kleidern erkennen, die hinter den riesigen Bogenfenstern über die Korridore liefen.
Sein Blick wanderte zum höchsten der drei Türme hinauf, der sich in den sternenklaren Himmel schraubte. Hinter den dicken Mauern befanden sich die persönlichen Gemächer des Königs, die wohl noch nie ein einziger Soldat betreten hatte.
Kilian hatte sich schon oft gefragt, was sich wohl hinter den verschlossenen Türen befand und es gingen mehrere Gerüchte im Schloss hinter vorgehaltener Hand herum, dass wohl dort das Geheimnis seines Triumphes gegen die Gestaltwandler 19 Jahre zu vor versteckt war.
Kilian glaubte nicht wirklich daran, doch dass der König etwas verheimlichte, dessen war er sich sicher. Nicht umsonst hatte er sich freiwillig für den Posten des Captain gemeldet und war wegen seines Kampftalents sofort eingestellt worden, was äußerst selten bei Männern, die vorher noch nie am Hofe gearbeitet hatten, vorkam.
Er hatte vieles in diesen letzten Jahren gelernt. Nicht nur über die Führung von Soldaten, vielmehr über das Verhalten der Menschen an diesem Hof und er war ebenfalls zu dem Schluss gekommen niemandem zu vertrauen, denn jeder von ihnen war dem König treu ergeben. Egal ob Zofe, Dienerin, Soldat, Lord oder Lady.
Ein Nicken zu den Wachen am Tor, das nun vor ihnen aufragte, reichte aus, damit sie zur Seite traten und sie einließen. In der Nacht waren die Seiteneingänge, die sonst immer verwendet wurden, um Gefangene ins Schloss zu bringen, auf Anordnung des Königs verschlossen. So war es schier unmöglich unbemerkt in den riesigen Palast einzudringen.
Sie schritten über einen roten Teppich, der sich durch die komplette Eingangshalle bis hin zu den Treppenaufgängen zog, die zum Thronsaal führten. Kilian überlegte kurz.
Es war riskant die Gestaltwandlerin, die den Blick immer noch nicht vom Boden abgewendet hatte, dem König vorzuführen. Andernfalls würde dieser Verdacht schöpfen, wenn Kilian es nicht tat. Also ging er mit entschlossenen Schritten auf die Treppenaufgänge zu und die Wachen hinter ihm folgten ihm, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen.
Es hatte nicht lange gedauert ihre unumstrittene Loyalität zu gewinnen. Sie hatten alle großen Respekt vor ihm und wussten, dass der König ebenfalls voll und ganz hinter ihm stand.
Der Mann, der die Diebin verraten hatte und jetzt von einem seiner Soldaten geführt wurde, fing leise an zu wimmern, während sie schweigend einen weiteren Korridor in Richtung Thronsaal entlang gingen.
Er hatte Angst vor dem König, genauso wie gefühlt jeder andere an diesem Hof, denn es war kein Geheimnis, was er mit so vielen Gestaltwandlern gemacht hatte und immer noch tat, wenn mal wieder einer von ihnen gefasst wurde.
Kilian selbst hatte noch keinen von ihnen dem König ausgeliefert. Meist hatte er sich irgendwelche Ausreden ausgedacht, um den Posten in der Stadt nicht zu verlassen und nicht mit auf die Jagd gehen zu müssen, die mindestens einmal pro Jahr statt fand. Während seiner bis jetzt zweijährigen Dienste am Hofe des Königs, war die Gestaltwandlerin vor ihm die Erste, die es wagte einen Fuß in die Stadt zu setzen.
Das Wimmern des Mannes wurde lauter, als sie um eine weitere Ecke bogen und die geschlossene Tür des Thronsaals wenige Meter vor ihnen auftauchte. Zwei seiner Soldaten bewachten mit ausdruckslosen Gesichtern die goldene prunkvolle Tür.
Der Mann war immer noch nicht verstummt und sein leises Wimmern hallte stetig von den hohen Wänden des Korridors wieder. In diesem Moment riss die Frau vor Kilian den Blick vom Boden los und funkelte stattdessen den wimmernden Mann wütend an.
„Halt den Mund oder ich reiße dir die Zunge heraus!" ,sagte sie bedrohlich leise und Kilian musste sich ein Schmunzeln verkneifen, während der Mann augenblicklich stumm wurde und die Frau mit vor Angst geweiteten Augen ansah.
Vor ihr hatte er anscheinend noch mehr Angst als vor dem König, der wahrscheinlich hinter der geschlossenen Tür des Thronsaals auf sie wartete, vor der sie jetzt stehen blieben.
Kilian räusperte sich leicht. „Ist der König noch zu sprechen oder hat er sich bereits in seine privaten Gemächer zurück gezogen?" ,fragte er einen der Wachen, der ihm daraufhin wortlos mit einer Handbewegung bedeutete die Tür zu öffnen und einzutreten.
Kilian neigte leicht den Kopf, bevor er die prunkvolle Tür schwungvoll aufstieß und mit der Gestaltwandlerin an seiner Seite den Thronsaal betrat. Der Rest seiner Soldaten folgte ihm, während er langsam auf den Thron zu schritt.
Durch die riesigen Bogenfenster, die am hinteren Ende des Saals aufragten, konnte er die vielen Lichter von Vasilias und das Gebirge dahinter erkennen. Die Wände des Raums waren mit mehreren Gemälden verziert, auf denen die Geschichte des Sieges gegen die Gestaltwandler und den Fall ihrer Hauptstadt Eletheria dargestellt war.
Er bemerkte den verachtenden Blick, mit dem die Diebin die Bilder an der Wand musterte. Er selbst hatte nicht anders geguckt, als er zum ersten Mal in diesem Raum gestanden hatte.
Vor dem Podest, auf dem der Thron stand, blieb er ruckartig stehen und verneigte sich tief. Aus dem Augenwinkel sah er, wie seine Soldaten es ihm gleich taten und der Mann in seiner schwarzen Lederjacke sogar auf die Knie gefallen war.
Unbemerkt verdrehte Kilian die Augen, als er plötzlich bemerkte, dass die Gestaltwandlerin immer noch mit hoch erhobenem Kopf neben ihm stand. Fluchend biss er die Zähne zusammen und zog sie an ihrem Handgelenk ruckartig nach unten. Eine große Hilfe nicht erkannt zu werden war sie auch nicht! Sie wehrte sich nicht gegen ihn, doch man sah ihr an, dass jede Faser ihres Körpers dem König viel lieber ins Gesicht spucken würde, als auch nur den Gedanken daran zu verschwenden sich vor ihm zu verneigen.
Eine ölige, eiskalte Stimme zerschnitt die Stille im großen Saal: „Das reicht!" Und sie richteten sich langsam wieder auf.
Erst jetzt sah Kilian den König an. Er trug noch sein prunkvolles Gewand und ein silberner Umhang hing über den Thron bis auf den Boden herab. Auf seinen kaum noch vorhandenen Haaren saß eine silberne Krone und sein Blick lag herablassend und ohne jegliche Gefühle auf ihnen.
Schon vor seinem Dienst beim König hatte Kilian mehrmals das Gerücht gehört die Krone des Königs sei aus dem silbernen Blut der ermordeten Königsfamilie von Eletheria gefertigt worden und nachdem er den König selbst gesehen und erlebt hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass dieses Gerücht nicht gerade abwegig war.
Nach einiger Zeit des Schweigens wendete der König sich an den Mann, der immer noch vor dem Podest kniete: „Wie ich sehe habt ihr erfüllt, was ihr mir versprochen hattet. Ich bin euch sehr dankbar dafür, doch lässt mich diese eine gute Tat nicht eure zahlreichen schlechten Taten so einfach vergessen. Nehmt es als Geschenk, dass ihr nur ein Jahr, statt lebenslang in meinen Kerkern fristen müsst."
Kilian musste ein verächtliches Schnauben unterdrücken. Nur sehr wenige hielten überhaupt ein Jahr in den Kerkern von Vasilias durch. Die meisten starben nach nur wenigen Monaten.
Das wusste der Mann anscheinend auch, denn seine Augen weiteten sich vor Angst.
„Aber mein König... ihr... ihr sagtet ihr ließet mich frei, wenn ich euch die größte Diebin von ganz Vasilias ausliefere" ,stotterte er verzweifelt.
Der König strich sich mit gerunzelter Stirn über den säuberlich gekämmten Spitzbart. „Habe ich das gesagt? Nun, davon weiß ich aber nichts. Sie müssen sich irren" ,sagte er betont unwissend.
Über das Gesicht des Mannes fingen an Tränen zu laufen. „Aber mein König, ich... ich bitte euch..." ,flüsterte er flehend, als er sofort vom König unterbrochen wurde: „Abführen!"
Der Mann fing wieder an zu wimmern, während zwei Soldaten ihn unter den Armen griffen und aus dem Raum zogen, doch der König hatte sich bereits abgewandt und schaute Kilian fragend an: „Irgendwelche Probleme Captain?"
Kilian schüttelte ausdruckslos den Kopf: „Natürlich nicht, mein König." Bei seinen Worten schnaubte die Diebin neben ihm unter ihrer schwarzen Kapuze verächtlich. Er warf ihr einen verärgerten Blick zu, während der König sich sichtlich amüsiert an sie wendete.
„Ich bin sicher ihr habt es meinem Captain nicht leicht gemacht" ,stellte er fest, „sonst wären sie ihrem Ruf auch nicht gerecht geworden und ich hätte sehr daran gezweifelt, dass sie wirklich die berüchtigtste und gerissenste Diebin von ganz Vasilias wären."
Die Frau grinste leicht unter ihrer Kapuze: „Schön zu hören, dass sie glauben zu wissen wer ich bin."
Kilian fluchte innerlich. Konnte sie denn nicht einfach den Mund halten?
Der König zog bei ihren Worten interessiert die Brauen hoch: „Nun, ich finde es wäre schonmal ein Anfang, wenn ich sie ganz betrachten könnte. Captain!"
Auf Aufforderung des Königs zog Kilian die schwarze Kapuze von ihrem Kopf herunter. Erst jetzt im hellen Licht der Kronleuchter an der Decke fiel ihm auf wie jung sie tatsächlich war. Wahrscheinlich nicht einmal älter als er selbst. Ihre langen fast weißen Haare fielen ein wenig zerzaust über ihre muskulösen Schultern und ihre sturmgrauen Augen musterten den König herablassend von oben bis unten. Ihre Haut war unglaublich bleich, als hätte sie nie die Sonne gesehen und ihre vollen Lippen hatten sich zu einem Grinsen verzogen. Wenn er sie in anderen Umständen zum ersten Mal getroffen hätte, hätte er sie womöglich schön gefunden.
Der König schien ebenfalls überrascht über ihr junges Alter zu sein, doch schon im nächsten Moment hatte er sich wieder gefangen und fragte kalt: „Was ist euer Name?"
Sie legte ihren Kopf leicht schief: „Ist es nicht egal wie ich heiße, wenn ich sowieso in euren Kerkern vermodern soll?"
Der König zog scharf die Luft ein: „Sie erlauben sich aber viel mir gegenüber zu sagen."
„Nun, ich denke, da mir der Tot so oder so bevorsteht bringt es nicht viel höflich zu bleiben" ,sagte sie mit ehrlicher Stimme.
Kilian seufzte innerlich. Das war es dann wohl. Der König würde hier und jetzt vermutlich noch mit seinem eigenen Schwert ihren Kopf vom Körper trennen und Kilians ganzer spontaner Plan, seit er gesehen hatte was sie war, war im Eimer.
Doch der König räusperte sich leicht: „Wir reden morgen noch einmal. Captain! Schafft sie mir aus den Augen und bringt sie in die untersten Kerker. Vielleicht ist sie dann morgen gesprächiger."
Aus dem Augenwinkel sah Kilian, wie die Frau empört den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, doch er unterbrach sie mit einem schneidenden Unterton in der Stimme: „Natürlich mein König!"
Dann verneigte er sich ein letztes Mal vor dem König, bevor er die Gestaltwandlerin an ihrem Handgelenk grob hinter sich aus dem Raum zog und die prunkvolle, goldene Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.

Der fliehende FalkeTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon