Kapitel 15

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Ein lautes Krachen und kurz darauf energische Worte, die dumpf an Kilians Ohren dröhnten: „Wach verdammt nochmal auf!" Jemand rüttelte ihn wach. Verschlafen blinzelte er.
„Na los mach schon Kilian!" ,wieder diese Stimme.
Langsam öffnete er die Augen. Fast im selben Moment schlug etwas laut klatschend gegen seine Wange. Der darauffolgende brennende Schmerz brachte ihn langsam in die Realität zurück. Fluchend öffnete er ganz die Augen und schaute in das ernste Gesicht von Liv, die sich über ihn gebeugt hatte und bereits zum zweiten Schlag ausholte. Blitzschnell hatte er seine Finger um ihr Handgelenk gelegt.
„Einmal reicht!" ,grummelte er.
Sie entriss ihm ihren Arm sofort wieder, bevor sie sich in einer fließenden Drehung von ihm entfernte und auf die andere Seite des Bettes trat.
„Steh auf! Sofort!" ,zischte sie leise, während sie ihr Schwert und ihre Dolche einsammelte und an ihren Gürtel steckte.
„Wieso?" ,fragte Kilian immer noch ein bisschen verschlafen.
Die Sonne war anscheinend gerade erst aufgegangen, denn die wenigen Strahlen, die durch das kleine Fenster ins Zimmer schienen erreichten nicht einmal die gegenüberliegende Wand.
Kaum hatte er seine Frage gestellt, kam auch schon die Antwort, nun vom Fenster, wo Liv wachsam über den Platz spähte. „Zayn ist hier!" ,zischte sie leise, bevor sie sich vom Fenster abwandte und ihn abwartend ansah.
Bei ihren Worten war er augenblicklich hell wach und sprang aus dem Bett. Im nächsten Moment hatte er bereits seine Stiefel übergestreift und Hemd und Umhang übergeworfen. Während er Schwert und Dolche an seinem Gürtel verstaute, schaute er sie mit gerunzelter Stirn an.
„Woher weißt du, dass er hier ist? Wie viel Zeit haben wir?" ,fragte er leise.
„Nicht viel" ,zischte Liv, „Den Rest erklär ich dir später. Jetzt komm!"
Wie auf Kommando hallte fast im selben Moment das Schlagen von Hufen auf Stein über den Platz und ein lautes Horn ertönte. „Alle auf die Straßen! Sofort! Befehl des Königs!" ,brüllte jemand kurz darauf.
„Zum Teufel verdammt nochmal!" ,entfuhr es Liv und sie warf vorsichtig einen Blick durch das kleine Fenster. Kilian konnte bereits hören, wie die Türen der Häuser lautstark aufgerissen wurden. „Sie sind zu viele und Zayn ist ebenfalls bei ihnen. Wir kommen niemals ungesehen durch die Tür nach draußen" ,sagte Liv währenddessen angespannt.
„Und wie bitte sonst?" ,fragte Kilian leise, während er ebenfalls ans Fenster trat und vorsichtig auf den Platz hinunter spähte. Um die zwanzig Soldaten zerrten nacheinander die verängstigten Bürger auf die Straße, wo sie sie in einer großen Gruppe zusammen drängten. Einige trugen noch ihre weißen Nachthemden. Ein kleiner Junge weinte, während er in dem Getümmel verzweifelt seine Eltern suchte. Und in der Mitte von allem thronte Zayn mit hoch erhobenem Kinn und einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen auf einem majestätisch großen Hengst.
Kilian schluckte. Jetzt hatten sie mehr als ein Problem.
Fragend schaute er zu Liv, die ihn ernst musterte, bevor sie entschieden sagte: „Du musst dich verwandeln!"
Kilians Augen weiteten sich. „Das ist ein Scherz oder?!" fluchte er beinah unhörbar.
Liv schüttelte den Kopf. „Hast du eine bessere Idee?" ,fragte sie fast schon ein bisschen genervt. Unter ihnen hörte man Gepolter und Rufe.
„Du hast eine halbe Minute, ansonsten flieg ich ohne dich. Also mach schon!" ,zischte Liv ihm zu, bevor sie an ihm vorbei trat, ihr langes Schwert zog und sich breitbeinig vor die Tür stellte.
Kilian fluchte innerlich. Wenn er sich nicht verwandelte, würde Zayn ihn gefangen nehmen und wussten die Götter wie lange er dann überhaupt noch zu leben hatte. Die eiskalte Winterluft, die in diesem Moment durch die zerschlagenen Scheiben herein wehte, erinnerte ihn jedoch augenblicklich auch wieder daran wie schmerzhaft es werden konnte sich hier und jetzt zu verwandeln.
„Fünfzehn Sekunden!" ,hörte er Liv flüstern. Sie schaute ihn nicht an, doch etwas sagte ihm, dass sie nicht zögern würde für ihn zu töten.
Er atmete tief ein, während er seinen Umhang so fest es nur ging um sich wickelte und den Sitz seines Schwertes überprüfte. Es war nicht unmöglich und doch spürte er wie Angst vor dem bevorstehenden Schmerz an seinen Gliedern empor kroch. Zwei Jahre lang hatte er es nicht mehr getan, zwei endlos lange Jahre, doch das spielte nun keine Rolle mehr.
Polternde Schritte waren nun auf der Treppe zu hören, die in ihr Zimmer nach oben führte.
Er schloss die Augen, das Bild eines braunen Adlers vor Augen, der jeden Morgen an seinem Zimmer im Palast vorbei geflogen war. Weißes Licht blitzte um seinen Körper auf und kurz darauf durchzuckte ihn ein unbeschreiblicher Schmerz, während seine Glieder sich langsam veränderten. Stöhnend biss er sich auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien. Es dauerte nicht lange, dann schmeckte er auch schon den metallischen Geschmack des Blutes in seinem Mund. Seines eigenen Blutes!
Gerade als er das Gefühl hatte, dass der Schmerz ihn komplett zerreißen würde erlosch das weiße Licht um seinen Körper. Der Schmerz jedoch blieb. Fluchend öffnete er die Augen und fand sich auf dem Holzboden des Zimmers wieder in der Gestalt eines braun gefiederten Adlers. Es hatte geklappt!
Ein leises Kreischen ließ ihn unter Schmerzen aufblicken. Ein weißer Falke mit sturmgrauen Augen saß auf der winzigen Fensterbank und schaute ihn abwartend an. Es war Liv! Da war keine Sorge in ihren Augen zu sehen, nur eiskalte Berechnung. Er neigte leicht den Kopf, zum Zeichen, dass sie los fliegen konnte. Sie musterte ihn einen Moment prüfend, bevor sie seiner Aufforderung nachkam und sich in den Himmel hinaufschwang. Das Poltern auf der Treppe war nun kurz vor ihrer Tür angekommen.
Den Schmerz ignorierend, der immer noch durch seine Adern schoss, schwang sich Kilian auf die Fensterbank hinauf, wobei er einen leichten Schlenker in Richtung Wand nicht verhindern konnte. Krachend fiel der verschmutzte Spiegel zu Boden und zerbrach in tausend Stücke. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr zurück zu sehen, bevor er sich ebenfalls in den morgendlichen Himmel hinaufschraubte.
Gerade rechtzeitig, denn beinah im selben Moment betraten drei Soldaten das Zimmer, doch mehr als einen zerbrochenen Spiegel fanden sie nicht vor.

Der fliehende FalkeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt