Kapitel 29

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Kilian biss die Zähne zusammen, als die Klingen ihrer Schwerter aufeinander schlugen. Liv grinste gelassen, doch Kilian sah die dünne Schweißschicht, die sich auf ihr Gesicht gelegt hatte. Fasziniert beobachtete er, wie die warme Nachmittagssonne ihre Augen zum Strahlen brachte. Wenn sie kämpfte schien eine ihrer Mauern zu fallen und sie wirkte irgendwie... freier.
Ein winziger Moment der Unaufmerksamkeit und schon hatte sich Liv heruntergebeugt und den Griff ihres Schwertes in seine Kniekehle gerammt. In der nächsten Sekunde lag er auch schon auf dem Boden, sein Schwert in ihrer Hand, das sie ihm an die Kehle hielt.
„Du machst es mir zu leicht. Deine linke Deckung ist grauenhaft schlecht" ,stellte sie überheblich fest. Sie wussten beide, dass das nicht stimmte.
Kilian hatte nie im Duell gegen jemanden verloren, abgesehen von seiner Mutter, die ein wenig entfernt an einem Zaun lehnte und sie amüsiert beobachtete. Liv brachte seine Gedanken dazu abzuschweifen und Kilian hatte sich dafür verflucht jedes Mal, wenn sie ihn auf den Boden gelegt hatte. Seine Aufmerksamkeit war in ihrer Gegenwart absolut miserabel geworden.
Sie nahm die Klinge von seinem Hals und streckte ihm den Griff seines Schwertes entgegen. „Noch eine Runde?!" ,fragte sie nun schon zum bestimmt zehnten Mal. Er ergriff das Schwert und stand auf, bevor er den Dreck von seinem Hemd klopfte, das nass an seiner Haut klebte.
Er ging in Angriffsstellung, als seine Mutter plötzlich zu ihnen hinüber rief: „Wieso benutzt ihr nicht eure Fähigkeiten? So langsam wird es langweilig."
Kilian schaute überrascht zu ihr hinüber. Sie hatte ihm beigebracht auch in anderen Gestalten zu kämpfen, blitzschnell die Richtige auszuwählen und sich kurz darauf wieder zurück zu verwandeln. Es war ihm immer wie ein Tanz vorgekommen und es war anfangs schwierig gewesen seine Gabe, während des Kämpfens zu unterdrücken. Die Zeit im Dienst des Königs hatte ihm jedoch auch das gelehrt.
„Wieso eigentlich nicht?" ,sagte er, während er die Ärmel seines Hemdes hochkrempelte und Liv herausfordernd musterte. Sie verdrehte die Augen, doch dann nickte sie zustimmend.
„Ich hoffe deine Mutter hat genug Verbände" ,sagte sie leise, sodass nur er es hören konnte, ein grausames Grinsen auf dem Gesicht. Das war die Frau aus den Arenen, trainiert um eine atemberaubende Show abzuliefern und kaltblütig zu töten.
„Das hoffe ich auch" ,antwortete er, bevor er sich in den braunen Wolf verwandelte und mit einem Satz auf sie zu sprang.
Liv reagierte blitzschnell. In der Gestalt eines weißen Hasen sprang sie zwischen seinen Beinen hindurch, verwandelte sich wieder zurück und wollte ihm schon mit dem Schwert die Hinterbeine wegziehen, doch er sah sie kommen und wich in der Gestalt eines Eichhörnchens zur Seite aus. Dann verwandelte er sich zurück und schaute sie abwartend an.
„Ein Eichhörnchen, wirklich?" ,fragte sie spöttisch, während sie anfing ihn langsam zu umkreisen. Kilian sagte nichts, stattdessen verwandelte er sich in einem weißen Licht zurück in das Eichhörnchen und sprang flink auf sie zu.
Liv verwandelte sich gerade in den weißen Wolf, als er schon auf ihren Rücken gesprungen war, sich in dem weißen Fell festkrallte und seine eigene Wolfsgestalt annahm. Dann lag sie unter ihm und seine scharfen Krallen schwebten über ihrer ungeschützten Brust. Sie atmete schwer und ihre Augen blitzten wütend. Verlieren war wohl auch für sie keine Option.
Er wich zurück und nahm seine menschliche Gestalt an, wobei er das triumphierende Lächeln nicht unterdrücken konnte. Sie schnaufte verächtlich, bevor auch sie sich wieder zurück verwandelte und sich das beinah weiße Haar aus dem Gesicht strich.
„Zehn zu eins" ,brummte sie, bevor sie sich das Schwert an den Gürtel steckte und in Richtung Hütte davon ging.
Kilian schaute ihr nach, bis seine Mutter auf einmal neben ihm stand. „Irgendwie kommt mir das bekannt vor" ,sagte sie leise.
Mit hochgezogenen Brauen schaute Kilian auf sie herab. „Jetzt übertreibst du aber" ,antwortete er gespielt verletzt.
Sie lachte laut auf. „Ich erinnere mich noch an den Tag, als du mir vor Wut einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet hast" ,sagte sie, bevor sie ihm zärtlich über die Wange strich und in die Richtung ging, in die Liv verschwunden war.
„Da war ich 7! Das zählt nicht!" ,rief er ihr noch hinterher. Sie lachte laut und zum ersten Mal, seit er mit Liv hier angekommen war, hatte er das Gefühl, dass sie wieder so war, wie bevor er sie vor zwei Jahren verlassen hatte.

~

Ein Sturm an Gefühlen jagte durch Liv hindurch, während sie so gelassen wie möglich auf die Hütte zu ging. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust und es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung nicht verzweifelt laut aufzuschreien. Mit schnellen Schritten verschwand sie hinter der Hütte und sobald sie sicher war, dass sie niemand sehen konnte, ließ sie sich auf dem dreckigen Boden nieder, das Gesicht in den Händen vergraben.
Sie hatte verloren. Zum ersten Mal überhaupt gegen eine andere Person in einem Duell. Doch das war es nicht, was sie beunruhigte. Kilian war ein unglaublich guter Kämpfer und ihr ebenbürtig. Es war klar, dass sie irgendwann mal gegen ihn verlieren würde. Doch so?
Abgelenkt durch etwas, dass sie nicht benennen konnte. Es war einfach plötzlich da gewesen, als sie ihn ansah mit seinem konzentrierten Blick und den haselnussbraunen Augen, die verspielt funkelten. Sie hatte sich nicht bewegen können und als sie es doch schaffte, hatte er bereits über ihr gelegen. So nah, dass das Gefühl nur noch stärker geworden war. Nur ihre Wut hatte es bändigen können.
Hatte er es bemerkt? Wusste er, was manchmal in ihr vorging, wenn sie bei ihm war? Spürte es es auch? Sie wusste es nicht. Sie wollte es nicht. Das alles war falsch und gefährlich.
Liv konzentrierte sich auf ihre Atmung. Ein, aus, ein, aus,... Sie beruhigte sich, doch dieses Gefühl krallte sich in ihre Erinnerungen. Ein leises Flüstern, dass auch nicht weg ging, als sie die Kälte zurück holte und ihre Mauern wieder eine nach der anderen hochzog.
Sie stieß einen Fluch aus, als sie plötzlich die Stimme von Helena vernahm: „Kilian kann auch nicht verlieren. Er hat glaube ich bis heute noch nicht ganz verstanden, dass es manchmal besser ist zu verlieren, als zu gewinnen."
Sie stand nur wenige Schritte von Liv entfernt und lächelte sie an. Liv antwortete nicht. Sie schaute in Richtung Wald und versuchte Helenas Blick auszuweichen, bei dem sie immer das Gefühl hatte, als könnte diese Frau ihr direkt in die Seele gucken.
„Ich glaube das hat er von seinem Vater" ,fuhr sie leise fort. Jetzt schaute Liv sie an. Ein trauriges Schimmern lag in ihren Augen und sie hatte den Blick in die Ferne gerichtet, in die Vergangenheit. War das Liebe? Diese Trauer, diese Sehnsucht.
„Kilian will ihn rächen. Er will den König oder wer auch immer er ist töten" ,murmelte Liv mehr zu sich selbst. Helena schaute sie an. Die Trauer in ihrem Gesicht wurde noch deutlicher.
„Ich weiß und ich werde ihn nicht daran hindern, aber ich habe Angst um ihn. Ich will ihn nicht auch noch verlieren" ,antwortete sie traurig.
Liv überraschte es, dass Helena so offen zu ihr war. Sie war eine Diebin, eine Mörderin und Jemand, der wusste, wie man solche Informationen gegen sie verwenden konnte. Doch Helena schien in ihr noch jemand anderen zu sehen, als diese Person, die sie schon immer gewesen war. Es beunruhigte Liv, doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
„Hast du ihm das gesagt?" ,fragte sie an Helena gewandt.
Die rötlichen kurzen Haare wippten, als sie leicht den Kopf schüttelte. „Er würde so oder so nicht auf mich hören. Dafür ist er viel zu stur" ,sagte sie mit einem Auflachen, bei dem Liv sich fragte, wie sie es überhaupt schaffte zu lachen.
Liv wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Es war ihr vorher nicht klar gewesen, doch wenn Kilian so weiter machte wie bisher, würde er wohl irgendwann da enden, wo sie gerade war. Ohne Hoffnung, ohne Vertrauen.
Sie wollte Helena versprechen, dass sie das verhindern würde, dass sie ihn beschützen würde, doch die Worte schafften es nicht mal in die Nähe ihres Mundes. Man versprach nichts, was man nicht halten konnte.
Stattdessen stand Liv auf und musterte Helena für einen Moment. Dann fragte sie aufrichtig: „Kann ich dir bei irgendwas auf dem Hof helfen?"
Überrascht schaute Helena sie an. Dann nickte sie langsam. „Komm mit, dann zeige ich dir was du machen kannst" ,sagte sie lächelnd. Das Lächeln erreichte nicht ihre Augen, doch es war besser als diese Trauer.
Liv wusste selbst nicht, wieso es sie kümmerte, wieso sie nicht wollte, dass diese Mutter sich so sehr um ihren Sohn sorgen musste. Vielleicht weil auch Liv sich mehr um Kilian sorgte, als sie es je bei einer anderen Person getan hatte.

Der fliehende FalkeTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang