Kapitel 1

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19 Jahre später...

Misstrauisch sah Liv sich in der Kneipe um. Es roch nach Bier und ungewaschenen Körpern. Ein paar Tische weiter spielten zwei Männer Karten.
Sie wusste nicht wie viele Karten der Eine der beiden schon in den Ärmeln seiner schwarzen Jacke verschwinden gelassen hatte. Nach der Zehnten hatte sie aufgehört zu zählen. Der Mann ihm gegenüber hatte davon nichts mitbekommen. Er trug ein ordentliches, sauberes Hemd und schaute unsicher zwischen seinen Karten und dem Haufen aus Goldmünzen, der auf dem Tisch lag, hin und her.
Es hätte Liv keine große Mühe gekostet unauffällig am Tisch der beiden Männer vorbei zu gehen und die Goldmünzen in ihre Tasche verschwinden zu lassen. Wenn die Männer es bemerkt hätten, wäre sie schon längst in den dunklen Gassen der Stadt untergetaucht. Doch der Mann mit der schwarzen Jacke war ein regelmäßiger Kunde von ihr und er zahlte für jeden seiner Aufträge großzügig. Nicht dass Liv viel Geld zum Überleben gebraucht hätte, doch man konnte ja nie wissen.
Sie riss sich vom Anblick der beiden Männer los und ließ ihren Blick unter ihrer schwarzen Kapuze weiter durch den Raum wandern. In den dunklen Nischen am anderen Ende des Raumes konnte sie einen der jungen gut aussehenden Adligen vom Hof des Königs erkennen. In der einen Hand hielt er eine Bierflasche und die andere war irgendwo unter der Kleidung des hübschen Mädchens auf seinem Schoß verschwunden.
Liv wusste nicht genau was es war, aber sie hatte auf einmal das Bedürfnis dem Mann mit bloßen Händen die Augen auszureißen, nur damit er das Mädchen nicht mehr allein mit seinem Blick komplett entblößte.
Schnell wendete sie sich ab und ließ ihren Blick weiter durch den Raum wandern. Am heutigen Abend war ausnahmsweise mal nicht viel los in der dunklen Kneipe. Nicht wirklich die beste Situation für einen neuen Auftrag und der Mann mit der schwarzen Jacke zwei Tische weiter schien auch nicht sonderlich interessiert zu sein.
Nachdenklich ließ sie das Bier in ihrer Hand in der Flasche kreisen, bevor sie es in einem Zug hinunter kippte. Sie würde morgen wieder kommen.
Gerade wollte sie von ihrem Holzstuhl aufstehen, als die Eingangstür der Kneipe laut knarrte. Kalte Winterluft wehte herein und ließ sie unbemerkt aufschauen. Ein Mann mit schwarzem Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, betrat den Raum. Ein Schwert hing an seiner Seite, ansonsten waren keine Waffen zu sehen.
Aus Erfahrung wusste Liv jedoch, dass solche Personen haufenweise Dolche unter ihrer Kleidung trugen. Sie selbst war eine dieser Leute.
Die wenigen Gäste in der Kneipe waren verstummt. Selbst der Mann vom Hof des Königs riss seinen Blick für einen kurzen Moment von der Schönheit in seinen Armen los. Der Fremde schaute sich suchend um und für einen Moment blitzten haselnussbraune Augen unter seiner Kapuze auf, als er sie entdeckte. Unter seinem Blick wendeten sich die anderen Gäste der Kneipe schnell wieder ihren Beschäftigungen zu, während er ohne seine Kapuze abzunehmen zwischen den Tischen hindurch langsam auf sie zu ging. Vielleicht hatte Liv sich auch geirrt und es würde an diesem Abend doch noch zu einem Auftrag kommen.
Der Mann hatte ihren Tisch erreicht und ließ sich ohne zu fragen auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Unbemerkt musterte sie ihn. Unter dem Umhang konnte sie nicht sagen wie alt er war, doch anhand seines Ganges schätzte sie ihn ungefähr auf zwanzig.
Da er nichts sagte, räusperte sie sich unter den Blicken der anderen Gäste, bevor sie fragte: „Kann ich etwas für sie tun?" Unter seiner Kapuze konnte sie erkennen, wie sich seine Lippen zu einem hämischen Grinsen verzogen: „Allerdings!" Seine Stimme war warm, doch hatte sie auch einen eiskalten Unterton.
Ihre Mundwinkel wanderten nach oben und sie lehnte sich betont gelassen auf ihrem Stuhl zurück. „Ich höre" ,sagte sie laut, um die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sie zu ziehen und den jungen Mann vor ihr womöglich aus der Fassung zu bringen.
Der jedoch behielt sein Grinsen bei und beugte sich über dem kleinen Tisch näher zu ihr. „Ich hätte da so eine Sache mit ihnen zu bereden" ,sagte er so leise, sodass Liv sich ebenfalls vorbeugen musste, um ihn zu verstehen.
Durch den Schein der Kerze, die auf dem Tisch stand konnte sie unter der Kapuze nun sein ganzes Gesicht erkennen. Sonnengebräunte Haut, haselnussbraune Augen, lockiges braunes Haar und zum Teufel verdammt nochmal!
Doch es war bereits zu spät. In einer blitzschnellen Bewegung hatte der Mann ihr einen Dolch an die Kehle gehalten und sie über den Tisch hinweg mit seinen starken Armen an sich gezogen. Das kalte Metall war nur noch wenige Zentimeter von ihrer Kehle entfernt und sie spürte den Puls des Mannes gegen ihren Rücken schlagen, während sie wütend die Luft ausstieß.
Der Adlige und der Mann mit dem ordentlichen Hemd, der Karten gespielt hatte, waren mit den Schwertern in der Hand aufgesprungen und schauten abwartend den Mann hinter ihr an. Fast im selben Moment wurde die knarrende Tür der Kneipe aufgestoßen und weitere Soldaten des Königs kamen herein.
Wieso war sie nur so unglaublich dumm gewesen? Doch für Selbstmitleid war später noch Zeit. Mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen drehte sie sich vorsichtig zu dem Mann um, der sie immer noch in seinem eisernem Griff festhielt, sodass seine Klinge beinah ihre Kehle streifte. Seine schwarze Kapuze war heruntergefallen und er grinste sie triumphierend an.
Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Wange spüren, als sie gelassen sagte: „Nicht schlecht Captain! Aber sie haben vergessen mit wem sie es zu tun haben."
Noch während sie das letzte Wort sprach, trat sie dem Captain der königlichen Wachen mit voller Kraft auf den Fuß, sodass er vor Schmerz aufstöhnte und den Dolch an ihrer Kehle einige Zentimeter sinken ließ. Das reichte ihr, um sich mit einer fließenden Drehung aus seinem Griff zu lösen und einen ihm zuvor verborgenen Dolch an seine Kehle zu halten.
Er schnaubte überrascht, bevor sie immer noch mit der Kapuze im Gesicht laut verlangte: „Wenn euch das Leben eures Captain lieb ist, dann lasst eure Schwerter fallen und sprecht!"
Die Soldaten in der Kneipe rührten sich nicht. Langsam bewegte sie ihren Dolch näher auf die Kehle des Captain zu. „An eurer Stelle würde ich jetzt tun, was ich von euch verlange" ,sagte sie bedrohlich leise. Der Captain vor ihr neigte leicht den Kopf, ein stummer Befehl, und die Soldaten ließen ihre Schwerter fallen.
Sie lächelte zufrieden: „Na geht doch! Und jetzt erst einmal, welches Schwein hat mich verraten?" Eigentlich wusste sie es schon und so schaute sie den Mann mit der schwarzen Jacke mit einem bedrohlichen Grinsen auf den Lippen eindringlich an.
„Das hätte ich mir auch denken können!" ,sagte sie mehr zu sich selbst, ohne die Klinge an der Kehle des Captain auch nur einen Millimeter sinken zu lassen. Der Mann mit der schwarzen Jacke schluckte unter ihrem Blick und trat unbemerkt einen Schritt in Richtung Tür zurück.
Sie schüttelte leicht den Kopf. „Hast du etwa allen ernstes geglaubt diese Idioten hier lassen dich frei, wenn du mich verrätst?" ,fragte sie in die Richtung des Verräters, der unbemerkt einen weiteren Schritt auf die Tür zugegangen war. Er presste die Lippen aufeinander und schwieg demonstrativ. Liv wusste genau, dass er nicht vor den Wachen floh sondern vor ihr. Doch sie schnaubte nur belustigt, bevor sie mit scharfer Stimme verlangte: „Jetzt alle raus hier! Verschwindet!"
Wieder rührten die Wachen in der Kneipe nicht einen Muskel. Ihre Loyalität war wirklich bemerkenswert. Genervt verdrehte sie die Augen und zog einen weiteren verborgenen Dolch hervor, den sie dem Captain zusätzlich an die Kehle hielt.
Der junge Mann vor ihr zog scharf die Luft ein und bedeutete mit einem minimalen Nicken seinen Wachen ihrem Befehl zu folgen. Der Mann, der Karten gespielt hatte, öffnete protestierend den Mund, doch der Captain brachte ihn mit einem einzigen Blick zum schweigen.
Liv blieb wachsam, während die Wachen nacheinander die Kneipe verließen und den Verräter mit einem Schwert in seinem Rücken mit sich zogen. Die anderen Gäste der Kneipe hatten sich ebenfalls aus dem Staub gemacht und der Barmann war hinter der Theke verschwunden. Nachdem die Eingangstür knarrend ins Schloss gefallen war, wendete sie sich wieder dem Captain vor ihr zu.
„Sie werden ihnen jetzt folgen und dann werden sie nie wieder auch nur einen Fuß in diese Kneipe setzen. Ist das klar?" ,flüsterte sie leise an seinem Ohr.
Der Captain biss sich grinsend auf die Lippe: „Eine Frage hätte ich da noch." Fast im selben Moment spürte sie wie eine Klinge in seiner Hand, die sie nicht bemerkt hatte, ihren Umhang durchtrennte und leicht ihren Unterarm streifte.
Ihre Augen weiteten sich vor Angst und die Dolche in ihrer Hand fielen klirrend zu Boden. Jetzt hatte sie verloren! Wie benebelt taumelte sie rückwärts, während der Captain sich aus ihrem Griff löste und sie mit voller Wucht gegen die Wand drückte. Ihre Schulter pochte unter dem Aufprall, doch sie spürte nur die Flüssigkeit, die aus einem kleinen Schnitt an ihrem Unterarm und durch den Riss in ihrem schwarzen Umhang floss.
Der Captain hielt ihr einen Dolch an die Kehle und drückte sie weiterhin mit ganzer Kraft gegen die Wand. Sie wehrte sich nicht.
Auf seinen Lippen lag ein triumphierendes Lächeln, als er leise sagte: „Ich glaube eher sie haben vergessen mit wem sie es zu tun haben!"
Dann fiel ihm die Flüssigkeit auf, die auf den verdreckten Holzboden der Kneipe tropfte. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, als er das silberne Blut erkannte, das aus ihrem Unterarm floss. Silbernes Blut, nicht rotes! Das einzige an ihr, was zeigte, was sie war. Eine Gestaltwandlerin! Vom König allein durch ihre Existenz zu quälender Folter und schlussendlich zum Tode verurteilt.
Die einzige Chance, die sie noch hatte, war sich zu verwandeln, doch bei dem festen Griff des Captain würde das nicht gerade einfach werden.
Dieser schaute sie unter ihrer Kapuze hindurch eindringlich an und atmete einmal tief ein, wobei sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte, bevor er sich so nah wie möglich zu ihr beugte und beinah unhörbar sagte: „Ich weiß nicht wer du bist, doch ich bitte dich: Verwandele dich auf keinen Fall! Wenn die da draußen sehen was du bist und der König davon erfährt, dann bist du innerhalb der nächsten zwei Tage nicht mehr am Leben."
Sie schnaubte amüsiert: „Und was soll ich laut deinem Rat tun, Captain? Mich gefangen nehmen lassen?" Der Captain nickte leicht und sie verdrehte die Augen.
„Woher soll ich bitte wissen, dass du mich nicht verrätst?" ,fragte sie misstrauisch. Er schaute sie aus seinen haselnussbraunen Augen eingehend an: „Vertrau mir einfach, bitte! Ich kann dafür sorgen, dass es niemand erfährt."
Er sagte die Wahrheit oder er konnte so gut lügen wie kein anderer und wenn er Recht hatte, dann würde sie, selbst wenn sie nach Süden flog, nirgendwo sicher sein.
Also nickte sie leicht und er hielt ihr ein schwarzes Tuch aus einer Tasche seines Umhangs hin, ohne auch nur daran zu denken den Dolch an ihrer Kehle sinken zu lassen.
„Wickele es um deinen Arm. Es sollte das Blut bis wir am Schloss sind zurückhalten" ,erklärte er leise.
Ohne ein Wort zu sagen tat sie was er von ihr verlangte und wickelte das Tuch um ihren nackten Unterarm, bevor sie den Ärmel ihres Umhangs wieder herunterzog und den Captain abwartend ansah.
„Gib mir deine Waffen! Einen Dolch kannst du meinetwegen behalten" ,verlangte er mit ernster Stimme.
Sie verdrehte die Augen, während der Captain von ihr abließ und ihr statt dem Dolch ein Schwert an den Rücken hielt. Genervt holte sie die zehn versteckten Dolche und das schöne Schwert an ihrer Seite hervor und legte es dem Captain in die Hand, der ihre Waffen an seinem Gürtel verstaute. Den Dolch in ihrem Stiefel ließ sie jedoch wo er war.
Nachdem sie fertig waren, stieß der Captain sie in Richtung Eingangstür. „Verwandele dich nicht, sonst bist du so gut wie tot" ,sagte er noch ein letztes Mal an ihrem Ohr, bevor er die Tür aufstieß und sie in die Eiseskälte von Vasilias stieß.

Der fliehende FalkeWhere stories live. Discover now