Kapitel 47

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Liv lag auf dem kalten Steinboden, die Hände um ihren Körper geschlungen und driftete zwischen Bewusstlosigkeit und Realität hin und her. Sie hatte sich nicht mehr von der Stelle bewegt, seit Kieron bei ihr gewesen war. Sogar Zayn hatte sie komplett ignoriert, wenn er kam.
„...und nicht mal der Captain wird dir nachtrauern..." Die Worte hallten durch ihre Gedanken und weckten Erinnerungen, die sie nicht grundlos jahrelang verdrängt hatte. Erinnerungen von Blut, Schrecken und Tod. Erinnerungen an eine Zeit, wo sie diese Sachen beinah genossen hätte.
„Monster! Monster! Monster!" Kilians Blick, als sie am Anfang ihrer Flucht die beiden Soldaten, ohne zu zögern, getötet hatte. Zayns Worte... Kierons Worte... „Monster!"
Noch nie in ihrem Leben hatte Liv sich so sehr selbst gehasst. Sie glaubte nicht mehr daran Fiona je wiederzusehen. Alles war ihre Schuld! Sie hatte versagt... Sie war ein Monster und sie würde sterben, bevor sie die Chance bekam ihre Vergangenheit irgendwie wieder gut zu machen.
Liv dachte an Kilian, während sie das Licht der Fackeln beobachtete, das unter der Tür hindurch schien. Sie dachte an sein Lächeln, an seine Worte. „Es spielt keine Rolle, was wir waren. Es kommt darauf an, was wir sind, Liv." Worte, die er vor einer gefühlten Ewigkeit zu ihr gesagt hatte und die ihr damals mehr Kraft gegeben hatten, als jeder Sieg in den Arenen, den sie je erlangt hatte. Doch er hatte falsch gelegen. Es spielte immer eine Rolle, was man gewesen war, denn irgendwie würde das auch immer ein Teil von dem bleiben, was man war und sie war ein Monster und ein Teil von ihr würde es auch bis zu ihrem Tod bleiben.
Liv wollte gerade die Augen schließen, um wieder in die viel angenehmere Bewusstlosigkeit abzutauchen, als sie auf einmal Stimmen vor der Tür hörte, dann das Klirren von Schwertern, zwei dumpfe Geräusche, als wäre jemand in voller Länge auf dem Boden aufgeschlagen und dann Stille. Liv lauschte angestrengt, als sie erneut leises Geflüster hörte, doch sie konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. War Zayn zurück gekommen? Oder Kieron? Wer stand vor der Tür ihrer Zelle und drehte nun den Schlüssel im Schloss herum?
Ihre Instinkte schrien ihr zu sich aufzurichten, sich zu wappnen, doch was hatte sie schon noch zu verlieren? Also blieb Liv stumm auf dem kalten harten Steinboden liegen und starrte die Tür an. Quietschend wurde diese nun aufgestoßen und das warme Licht einer Fackel flutete den Raum. Liv blinzelte und versuchte die Gestalt zu erkennen, die ihre Zelle betrat und mit schnellen Schritten auf sie zukam. Und dann war er da!
Die braunen gelockten Haare, die wirr von seinem Kopf abstanden, seine starken Hände, die ihr sanft die blutverkrusteten Haare aus dem Gesicht strichen und die haselnussbraunen Augen, die sie voller Sorge musterten.
„Kilian!" ,flüsterte sie mit rauer Stimme, während sie versuchte die Tränen zu unterdrücken, die ihre Wangen hinunterlaufen wollten. Es musste ein Traum sein, eine Halluzination!
Für einen Moment erschien ein leichtes Lächeln auf seinem wunderschönen Gesicht. „Hallo Liv" ,murmelte er leise, „Hast du mich vermisst?"
Liv wusste nicht, was es war, doch sie war sich sicher, dass das hier die Realität war. Er war tatsächlich gekommen, um sie zu befreien!
Am liebsten hätte sie vor Glück laut gelacht, doch stattdessen sah sie ihn ernst an und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus: „Ich... ich habe mich geirrt, Kilian. Ich hätte bleiben sollen. Ich hätte dir vertrauen sollen. Ich... ich kann nicht ohne dich gegen die Welt kämpfen."
Er strich sanft über ihre verdreckten Wangen und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, als eine leise Stimme ihn unterbrach. „Wir müssen uns beeilen, Kilian! Es könnten jederzeit weitere Wachen kommen, die uns gehört haben" ,sagte Helena sanft, aber entschieden.
Liv sah an Kilian vorbei und betrachtete die drei Gestalten, die in der Tür der Zelle standen und zu ihnen sahen. Helena umklammerte zwei Messer in ihren Händen und schaute unsicher in den Gang hinaus, doch als sie Livs Blick bemerkte, lächelte sie ihr leicht zu. Da war keine Verurteilung in ihren Augen, bloß Verständnis und Freundlichkeit. Die Erinnerungen an die Worte, die Liv ihr an den Kopf geworfen hatte, ließen sofort eine Welle der Reue durch sie hindurch fluten und sie wandte sich schnell von Kilians Mutter ab.
Erleichtert atmete Liv aus, als sie Fiona neben Helena stehen sah. Das Mädchen warf ihr ebenfalls ein Lächeln zu, doch Liv konnte das Grauen sehen, das dieser Ort in Fiona auslöste und das sie hinter ihrem Blick versteckt hielt.
Die dritte Gestalt kam Liv ebenfalls bekannt vor. Es war die schwarzhaarige Dienerin, Crow, die in der Eingangshalle neben Fiona die Treppe hinunter gekommen war. Kaum hatte Liv Crows ausdruckslosen Blick aufgenommen, wandte die Dienerin sich ab und starrte auf einen Punkt an der Wand über ihr.
Das Klirren ihrer Ketten riss Liv aus ihren Gedanken, als Kilian sich daran machte mit einem Schlüssel ihre Hand- und Fußgelenke zu befreien. Zitternd rieb Liv sich die bloße gerötete Haut und zwang erneut die Tränen der Erleichterung zurück. Sie würde frei sein, den Himmel erneut sehen.
Vorsichtig half Kilian ihr dabei sich gegen die Wand zu lehnen, bevor er ausprobierte, welcher Schlüssel den Reifen um ihren Hals öffnen würde. Ihr Kopf dröhnte und ihr ganzer Körper zitterte vor Schmerz, doch sie versuchte möglichst still zu halten, während ein Schlüssel nach dem anderen nicht in das winzige Schloss an der Rückseite des Reifens passte. Kilian stieß einen leisen Fluch aus und Livs Nägel bohrten sich in ihre Handflächen, als sie realisierte, was los war. Kein Schlüssel würde sie von dem eisernen Reifen befreien, der ihr ihre Gabe geraubt hatte.
Wieder durchbrach Helenas Stimme die Stille: „Wir haben keine Zeit dafür. Wir müssen los! Es gibt sicherlich auch eine andere Möglichkeit das Ding loszuwerden, wenn wir uns nicht mehr im Schloss des Königs befinden." Sie hatte Recht und als Kilian Liv fragend musterte, nickte sie entschlossen und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Ihre Knie zitterten, aus mehreren Wunden floss Blut und ihr Blick wurde an den Rändern dunkel, doch sie zwang sich in der Realität zu bleiben, während Kilian ihr zur Tür der Zelle half.
„Fiona und Crow, ihr stützt Liv, ich gehe vor und Mutter du gehst hinten" ,erklärte er schnell, während er ihr einen langen Dolch in die Hand drückte, „Wenn uns Wachen begegnen, setzen wir sie so schnell wie möglich außer Gefecht. Wir haben keine Zeit zurück zu blicken." Bei seinen letzten Worten schaute er Crow an, die seinem Blick nur für einen kurzen Moment stand hielt.
Kilian übergab Liv den beiden Mädchen, die unter ihrem Gewicht zusammen zuckten. Angestrengt versuchte Liv aufrecht zu stehen, während sie Kilians Dolch so fest wie möglich umklammert hielt und weiterhin gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfte. Dann setzten sie sich in Bewegung.
Liv versuchte sich auf Kilian zu konzentrieren. Er hielt in der einen Hand sein Schwert und in der anderen eine Fackel, mit der er ihnen den Weg leuchtete und Liv konnte sehen, wie angespannt und wachsam er war. Kurz blickte sie über ihre Schulter. Die Tür ihrer Zelle war bereits in der Dunkelheit verschwunden und Liv schwor sich nie wieder dorthin zurück zu kehren. Lieber würde sie sterben, als von Zayn und Kieron ein weiteres Mal misshandelt zu werden.
Nachdem sie die erste eiserne Tür, die die Zellen der Gestaltwandler von denen der anderen Gefangenen trennte, durchquert hatten und den Raum mit Zayns Foltertisch erreichten, spürte Liv deutlich, wie Fiona sich neben ihr verspannte. Liv drückte mit ihrer Hand, die über Fionas Schulter lag, leicht den Arm des Mädchens. Fiona nickte ihr kurz dankbar zu, während sie bewusst ein- und ausatmete.
Liv wollte es eigentlich gar nicht hören, doch sie musste es einfach wissen. „Hat...hat Zayn dir nach dem Fest noch irgendetwas angetan?" ,fragte sie leise, sodass nur Fiona und Crow, die überrascht aufblickte, es hören konnten.
Fiona schüttelte den Kopf. „Nein hat er nicht! Ich bin früh gegangen" ,antwortete sie leise, doch Liv konnte das Grauen bei der Vorstellung in ihrer Stimme deutlich hören.
Sie schwiegen alle, während die leisen Geräusche der Gefangenen zu ihnen drangen. Einige von ihnen hatten es sicherlich verdient in einem Kerker zu sitzen, doch die meisten hier unten waren höchstwahrscheinlich unschuldig. Ein Wort gegen den König, ein mitleidiger Blick für einen Gestaltwandler oder Einen aus den Armenvierteln, ein geklautes Brot, um nicht zu verhungern,... Sie hatten ein Leben in Gefangenschaft nicht verdient und doch konnten sie keinen von ihnen mitnehmen.
Eine Last fiel von Livs Schultern, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Kerker verließen. Sie musterte die beiden bewusstlosen blutenden Wachen am Boden nur kurz, bevor sie unter Schmerzen stöhnend mit Crows und Fionas Hilfe die Treppe hinaufstieg. Kilian warf ihr einen kurzen besorgten Blick über die Schulter zu, doch sie schüttelte beinah unmerklich den Kopf und bedeutete ihm weiter zu gehen.
Der erste Gang, den sie durchquerten, war leer, genauso wie der Zweite. Liv blieb trotzdem wachsam, während sie versuchte so leise wie möglich zu humpeln. Mittlerweile war sie sich sicher, dass ihr Knöchel gebrochen war, sowie zwei oder drei Rippen, denn das Laufen und Atmen war eine unglaubliche Qual und immer noch lauerte die Bewusstlosigkeit hinter ihr, bereit wie ein Wolf jeder Zeit zuzuschlagen.
Liv biss die Zähne so fest zusammen, dass es wehtat, während sie den dritten und vierten Gang entlangliefen. Noch immer war ihnen niemand begegnet, doch obwohl es Nacht war, hatte Liv das ungute Gefühl, dass es einen Grund dafür gab. Irgendwas stimmte nicht und Kilian wusste dies ebenfalls dem Blick zu urteilen, den er ihr zu warf.
Sie passierten zwei weitere Gänge, ohne einen Zwischenfall, wobei Kilian immer vorsichtiger wurde. Er schaute wachsam um jede Abbiegung und hatte mittlerweile nicht nur sein Schwert, sondern auch das Gegenstück zu dem Dolch, den sie umklammert hielt, kampfbereit in der Hand.
Die nächste Abbiegung kam in Sicht und Liv meinte so etwas, wie das Rascheln von Kleidung zu hören. Sie bedeutete Kilian mit einer Handbewegung vorsichtig zu sein, während er vor ging und kurz um die Ecke blickte. Blitzschnell sprang er jedoch wieder in Deckung und presste sich an die Wand. Liv konnte so etwas wie Angst in seinen Augen aufblitzen sehen und ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Dann hallte plötzlich eine Stimme durch den Gang, die sie nur zu gut kannte. „Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass ich dich hier treffen würde, Kilian" ,rief Zayn laut und ihre ganze Gruppe zuckte zusammen.
Automatisch suchte Liv den Gang nach Fluchtmöglichkeiten ab, doch da war nichts. Kein Fenster, kein Balkon, keine versteckten Türen. Nur die goldenen Wände und roten Teppiche. Sie fluchte innerlich und blickte hoffnungsvoll in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Eine Wand aus Soldaten hatte sich dort gebildet, die mit gezogenen Schwertern auf sie zukamen.
Kilian schaute jeden von ihnen kurz an. „Wir haben keine Zeit zurück zu blicken" ,wiederholte er leise seine Worte von vorhin. Dann verschwand er um die Ecke. Liv folgte ihm gestützt von Fiona und Crow und auch Helena trat kurz nach ihnen um die Abbiegung.
Ungefähr in der Mitte des langen Ganges stand Zayn mit vor der Brust verschränkten Armen und grinste sie triumphierend an. Hinter ihm baute sich ebenfalls eine Mauer aus Soldaten und Wachen auf. Liv wusste es sofort. Sie waren verraten worden und bei Kilians wütendem Blick, den er der Person links neben Liv zu warf, wusste sie auch von wem.
Zayn breitete immer noch grinsend die Arme aus. „Komm her, Crow. Der König wartet bereits in seinen Gemächern auf dich" ,sagte er an die Dienerin gewandt und Liv ließ die Schulter der jungen Frau augenblicklich los, als hätte sie sich verbrannt.
Langsam trat Crow auf Zayn zu. Ihr Blick war auf ihre Füße gerichtet und sie schaute niemandem in die Augen.
„Crow?!" ,flüsterte Fiona verletzt und ihre Finger krallten sich in Livs Schulter.
Die Dienerin hielt inne und sah Fiona traurig an. „Es ist meine Arbeit, Fiona. Es... es hat nichts mit dir zu tun. Du bedeutest mir wirklich viel!" ,sagte sie verzweifelt.
Liv beobachtete, wie Fiona die Tränen über die Wangen liefen und so etwas wie Wut blitzte kurz in ihren Augen auf, doch im selben Moment war es schon wieder verschwunden.
„Es tut mir Leid!" ,sagte sie leise an Liv gewandt, während Crow ohne einen Blick zurück in den Reihen der Soldaten verschwand.
Liv ignorierte Fionas Worte und richtete stattdessen ihre Aufmerksamkeit auf Zayn, der sie interessiert musterte. „Ich glaube der Captain hätte doch um dich getrauert" ,stellte er mit schief gelegtem Kopf beinah amüsiert fest, „Ist es nicht so Kilian?"
Liv sah zu Kilian und beobachtete, wie ein grausames Grinsen sich auf sein Gesicht stahl. „Soll ich dich daran erinnern, wie es das letzte Mal ausgegangen ist, als wir uns im Kampf gegenüber standen?" ,fragte er Zayn provozierend.
Dieser biss nun ebenfalls wütend die Zähne zusammen. „Unter unfairen Bedingungen" ,zischte er zurück.
Kilian schaute demonstrativ die Soldaten hinter Zayn an, bevor er mit hochgezogenen Brauen antwortete: „Und jetzt sind die Bedingungen fairer?"
Zayn grinste gelassen. „Allerdings!" ,sagte er und mit einem kurzen Blick auf Liv fügte er hinzu, „Und der Wert des Einsatzes scheint sich ebenfalls erhöht zu haben."
Liv lief es kalt den Rücken hinunter, als sie verstand, was Zayn meinte. Er hatte erkannt, wie viel Kilian ihr bedeutete und das hieß wiederum, dass er wusste, dass er sie gegeneinander ausspielen konnte.
Auf der anderen Seite des Ganges hatten mittlerweile ebenfalls die Soldaten und Wachen Aufstellung bezogen und versperrten ihnen den Rückweg. Liv sah über die Schulter zu Helena, die ihren Blick angespannt erwiderte. Dann drückte sie Fionas Hand, die immer noch zusammen gesunken neben ihr stand, sich jedoch die Tränen vom Gesicht gewischt hatte. Kilian hatte Angriffsstellung angenommen und das Schwert und der Dolch lagen geübt in seinen Händen.
Zayn schaute ihn ein letztes Mal grinsend an, bevor er lässig eine Hand hob und laut rief, sodass es von den Wänden widerhallte: „Angriff!"
Die Wachen und Soldaten stürzten mit gezückten Schwertern auf sie zu und Zayn verschwand hinter ihren Reihen. Liv konnte gerade noch sehen, wie Kilian drei Soldaten gleichzeitig in die Knie zwang und Helena sich den Männern zuwandte, die aus der anderen Richtung kamen, als der erste Soldat auf sie und Fiona losging.
Instinktiv stieß Liv Fiona zur Seite, duckte sich unter dem Schwert des Angreifers hindurch und schlitzte ihm mit ihrem Dolch die Wade auf. Schreiend ging der Mann zu Boden und Liv versuchte sich unter Schmerzen wieder aufzurichten. Der blutbesudelte Dolch glitt ihr aus der Hand, als Fiona zu ihr gerannt kam und ihr wieder auf die Füße half. Sie hielt den Dolch in der Hand, den Liv ihr damals geschenkt hatte und eine Mischung aus Stolz und Grauen fuhr bei dem Anblick durch Livs Körper.
In diesem Moment sah sie, wie ein Soldat hinter Fiona auftauchte und das Mädchen an den Schultern packen wollte. Blitzschnell griff Liv nach dem Dolch in Fionas Hand und schleuderte ihn in das Gesicht des Soldaten, der sofort zu Boden ging. Dann hob sie Kilians Dolch vom Boden auf, während sie sich an Fionas Schulter fest klammerte. Der Schmerz war in den Hintergrund getreten und zu einem dumpfen Dröhnen geworden, doch sie wusste, dass sie trotzdem das Bewusstsein verlieren würde, wenn sie ihren Knöchel zu sehr belastete.
Während Fiona zitternd neben ihr stand, erledigte Liv zwei weitere Soldaten, bevor sie Zeit hatte sich nach Kilian umzusehen. Er hatte sich bereits ein Stück vorgekämpft und hinterließ dabei einen Weg aus schreienden Leibern, doch die meisten Soldaten hielten trotzdem stand.
Ohne auch nur kurz inne zu halten, rief er laut: „Kommt her! Wir müssen uns beeilen, sonst kommen gleich noch viel mehr Soldaten!"
Fiona und Liv gingen so schnell wie möglich auf ihn zu, während Helena sich ebenfalls einen Weg zu Kilian erkämpfte. Wären sie nicht mitten in einem Kampf um Leben und Tod gewesen, wäre Liv wahrscheinlich stehen geblieben, um den eleganten Kampfstil von Helena fasziniert zu beobachten, doch dafür blieb keine Zeit.
Als Liv gemeinsam mit Fiona Kilian erreichte, nahmen sie das Mädchen in ihre Mitte und Liv ließ Fiona los und stützte sich stattdessen an Kilians Schulter ab, während sie humpelnd einen Soldaten nach dem anderen zu Fall brachte. Sie kassierte zwei kleinere Schnittwunden an den Armen, doch es war nichts, was noch einen großen Unterschied zu ihrem generell beschissenen Zustand machte.
Als Kilian und sie so gut wie alle Wachen in ihrem Weg zur Seite geräumt hatten, steigerten sie das Tempo und Liv griff erneut nach Fionas Schulter, während Kilian die Führung übernahm. Helena lief nur wenige Schritte hinter ihnen und trieb sie zur Eile an. Immer wieder blieb sie stehen und warf ihre Messer, die beinah jedes Mal ihr Ziel perfekt trafen. Nur noch wenige Soldaten traten ihnen in den Weg und Liv erlaubte sich Kilians Körper mit ihren Augen nach Verletzungen abzusuchen. Der Stoff seines Umhangs war an mehreren Stellen gerissen, doch nirgendwo konnte sie silbernes Blut erkennen. Das war gut! Wenn Zayn sah, dass Kilian ebenfalls ein Gestaltwandler war... Liv wollte sich seine Wut gar nicht erst ausmalen.
In diesem Moment zerriss ein Schrei die Luft und sie wirbelten alle drei herum. Livs Atem stockte, als sie den Grund erkannte. Zayn stand umgeben von den restlichen Soldaten in dem breiten Gang. Die Klinge seines Schwertes lag an Helenas entblößtem Hals und einer seiner Arme stellte sicher, dass sie auf keinen Fall entkommen konnte. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, während die tödliche Klinge bedrohlich nah an ihrer Haut lag. Ein Tropfen rotes Blut lief ihren Hals hinunter.
„An deiner Stelle würde ich deinen nächsten Schritt gut überdenken" ,sagte Zayn an Kilian gewandt, der an Liv vorbei gegangen war und sein Schwert gezogen hatte.
„Lass sie los!" ,rief er laut und Liv hörte die Angst in seiner Stimme so überdeutlich, dass sie schluckte.
Zayn hatte es ebenfalls gehört und grinste zufrieden. „Sie ist deine Mutter nicht? Ein hübsches Ding" ,fuhr er fort, während er die Klinge noch näher an Helenas Hals drückte. Liv beobachtete, wie Kilians Hände sich zu Fäusten ballten und es seine gesamte Selbstkontrolle beanspruchte nicht auf den Lord loszugehen.
Helenas Stimme klang heiser, als sie leise sagte: „Geht! Bitte! Es ist in Ordnung! Es ist..."
Zayn unterbrach sie laut: „Schnauze Miststück!"
Kilian zuckte leicht, doch er schaffte es sich im letzten Moment zusammen zu reißen.
Helena begann erneut zu reden, während sie Kilian eingehend ansah: „Bitte, Kilian! Rette sie! Sie ist die einzige Zukunft, die uns noch bleibt. Bitte! Ich liebe dich! Denk daran, was du verspro..."
Wieder unterbrach Zayn sie. „Ich sagte du sollst den Mund halten Verräterin!" ,sagte er mit vor Hass verzehrtem Gesicht. Dann schnitt er ihr die Kehle durch.

Der fliehende FalkeWhere stories live. Discover now