1. Ein Abend in Schneening

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MAJA

„Maja, wo bleibst du, verdammt?" Schnell streckte ich meinen Arm aus, damit Angi mich durch das Handy nicht direkt anschrie. Sie hatte mich auf meinem Handy angerufen. Meine beste Freundin Angelina, ihr Freund und ich hatten uns für heute Abend verabredet. Sie wünschte sich, dass wir das diesjährige Stadtfest gemeinsam erlebten. An sich hatte ich nichts dagegen, doch ich wollte nicht wieder das fünfte Rad am Wagen spielen. Bis jetzt hatte es immer gut geklappt, dass Angi mal etwas mit mir und ein anderes Mal etwas mit ihrem Freund Alex unternahm, doch sie hatte sich fest vorgenommen, das Fest mit uns beiden zu feiern. Ich seufzte. Das letzte Mal, als ich mit Alex und Angi unterwegs gewesen war, hatten sie nur Augen füreinander. Genau deshalb hatte ich gehofft, dass Angi vergessen würde, dass ich auch kommen sollte, wenn sie ihren Freund sah. Zu früh gefreut.

„Ich mach mich auf den Weg." „Du bist noch nicht einmal auf den Weg?", fragte sie ungläubig. Mein schlechtes Gewissen meldete sich. Ich wäre mindestens genauso wütend auf sie, wäre ich in ihrer Situation.

„Ich hab es doch nicht weit bis zum Markt."

„Oh, ich glaub, ich sehe Alex da hinten. Ich kann verstehen, dass du nicht mit einem wohlgemerkt super süßen Paar in der Stadt rumlaufen möchtest, aber ich möchte den Abend sowohl mit meiner besten Freundin, als auch mit meinem festen Freund verbringen. Vielleicht wirst du ja dort einen Typen kennenlernen, wer weiß?" Ich lachte. Angi hatte sich schon seit Monaten, um genau zu sein, seit sie mit Alex zusammen ist, bemüht, mich ebenfalls zu verkuppeln, damit wir auf Doppeldates gehen konnten.

„Na gut, ich mache mich auf den Weg. Aber ich möchte mich heute wirklich nicht wie das fünfte Rad am Wagen fühlen, okay?"

„Klaro. Wir werden versuchen, uns nicht die ganze Zeit verliebt in die Augen zu schauen und so weiter, obwohl das schwer sein wird."

„Wenn ich einen Freund hätte, würde ich sagen, dass ich verstehen kann, das das schwer wird. Ich hab aber keinen Freund." Ich grinste.

„Oh, hi Alex", hörte ich Angi im Hintergrund sagen. Die beiden redeten kurz miteinander, dann sprach Angi wieder zu mir. „Ich leg jetzt auf und du machst dich auf den Weg, oke?"

„Ja, mach ich. Bis gleich."

„Tschüs", meinte Angelina und im Hintergrund vernahm ich auch die Stimme von Alex, der sich ebenfalls verabschiedete, dann legte ich auf.

Ich schnappte mir meinen Schlüssel, meine Jacke und Mütze, zog mir die Schuhe an und schrieb dann einen Zettel für meine Familie:

Hey, ich geh mit Angelina und Alex auch auf das Stadtfest. Falls ihr vor mir zu Hause seid, macht euch keine Sorgen. Ich bin pünktlich wieder da.
Hab euch lieb.
LG Maja

Dann trat ich aus der Haustür. Schneeflocken rieselten vom Himmel herab. In unserer Kleinstadt Schneening schneite es oft, zumindest im Winter, was mich sehr erfreute. Ich nahm ein wenig Schnee in meine Hand und sah zu, wie dieser schmolz. Natürlich war meine Hand jetzt sowohl nass als auch kalt. Ich rieb sie an meiner Jeans trocken und steckte sie in die Jackentasche. Während ich mich im Dunkeln Richtung Markt bewegte, versuchte ich, ein paar Schneeflocken mit meinem Mund aufzufangen. Selbst am Rande der Stadt, wo ich wohnte, hörte man die laute, festliche Musik.

Als ich mich dem Marktplatz näherte, nahm ich auch zahlreiche Stimmen wahr. In der Ferne erblickte ich Angis kleine Gestalt in ihrer braunen Jacke. Alex überragte sie um einen Kopf und trug eine schwarze Winterjacke. Im Gegensatz zu ihnen fiel ich mit meiner hellblauen Jacke total auf. Als ich mich durch die teils tanzende, teils lachende Menschenmenge zu meinen Freunden vordrängte, erkannte ich die braunen Haare von Alex und die dunkelbraun gefärbten von Angelina sowie ihre runde Brille.

Meine beste Freundin und ich kannten Alex fast gleich lange. Ich hatte mich schon oft mit den beiden getroffen. Allerdings musste ich mich jedes Mal aufs Neue vor dem Paar wappnen, das zwar aus der Ferne super süß aussah, aus der Nähe aber super nervig war.

„Hey ihr beiden." Nun bemerkten sie mich auch. „Na endlich." Angelina grinste und zog mich dann in eine feste Umarmung. Auch Alex schlang nach Angelina seine Arme um mich.

BEN

Meine Eltern hatten mich auf dieses Stadtfest geschleppt, damit ich neue nette Leute kennenlernte. Selbst waren sie nach ein paar Minuten gegangen, da ihnen die Musik zu laut in den Ohren klang. Und nun stand ich hier und konnte nicht mal einen Kumpel anrufen, denn bei dieser lauten Musik würde keiner mich verstehen. Außerdem feierten alle einen Geburtstag. Da ich nicht der größte Fan von Partys, Festen oder ähnlichen Veranstaltungen wie diesem Stadtfest war, hatte ich abgesagt.

Und so beobachtete ich die Menschen auf den Tanzflächen, die sich mehr oder eben weniger im Takt bewegten.

Neben mir hörte ich eine Dame, die mich ansprach.

"Junger Herr, sollten Sie nicht auch auf die Tanzfläche gehen und ebenfalls tanzen? Vielleicht werden Sie dort jemand Nettes kennenlernen."

Ich starrte die Frau verwirrt an, normalerweise sprachen mich keine fremden Leute an. Nur ein gemurmeltes "Guten Tag" hörte man von ihnen.

Dann fiel mein Blick auf ihren Hund, einen Golden Retriever. Ich beugte mich zu ihm und bewegte vorsichtig meine Hand zu ihm. Zuerst wirkte er misstrauisch, ließ mich ihn dann aber streicheln.

Ich liebte Hunde über alles. Schon seit klein auf hatte ich einen Hund haben wollen und sie dann auch zu einem überredet. Wir besaßen sogar die gleiche Rasse wie die Frau.

"Ich tanze nicht so gerne und habe auch niemanden zu tanzen", gab ich zu, während meine Finger sanft durch das Fell glitten.

"Sind Sie etwa ohne Freunde gekommen?" Zur Antwort nickte ich.

"Dann sind Sie bestimmt hier, um Freunde zu finden."

"Nach meinen Eltern zufolge schon. Aber ich habe ja schon gute Freunde. Also vielleicht nicht die besten, aber ich kann mich gut mit ihnen unterhalten."

Und wenn ich mich nicht mit ihnen unterhielt, dann las ich furchtbar gerne. Ich bevorzugte zwar Thriller, Krimis und Fantasygeschichten, aber ab und zu kam auch ein Liebesroman in meinen Bücherlisten vor. Besonders Kerstin Giers Bücher verehrte ich.

"Das hört sich aber nicht gerade nach guten Freunden an. Sie sollten sich mal hier umschauen, vielleicht ist ja jemand dabei, den Sie mögen. Hier gibt es viele freundliche Menschen. Eine Person zum Beispiel führt jeden Tag frühs noch vor der Schule meinen Oskar aus." Mit ihrem Kopf deutete sie auf den Hund, den ich streichelte.

"Wie heißt sie?"

"Ach, das liebe Mädchen heißt Maja. Maja Schmitt. Sie bringt mir oft Kuchen mit. Sie und ihre Familie sind meine Nachbarn. Eine nette Truppe. Und witzig ist, dass alle Namen der Kinder mit dem Buchstaben 'M' beginnen. Sie haben auch einen Hund, oder?"

"Ja. Auch einen Golden Retriever."

"Dann verstehen wir uns. Zumindest ein wenig. Sie sehen wirklich aus, als könnten Sie einen Partner an ihrer Seite gebrauchen. Versprechen Sie mir eins. Sprechen Sie das erste hübsche Mädchen an, das Sie heute sehen."

"Versprochen." Ich schenkte der Dame ein aufrichtiges Lächeln. Sie war nett und bestimmt eine tolle Nachbarin. Und Sie hatte mich neugierig gemacht. Ich wollte Maja kennenlernen.

Das alte HausWhere stories live. Discover now