03. Januar 2019

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Tagebucheintrag, 03. Januar 2019, 14.07 Uhr, WG


Und das war's mit all meinen Plänen fürs neue Jahr. Ich bin krank. Und ich weiß nicht, wie krank ich bin, weil Arztpraxen nach Tod stinken, vielleicht habe ich nur den berühmt berüchtigten Männerschnupfen, aber im Nachhinein war es keine besonders gute Idee, alle meine Nächte in Berlin in viel zu dünnen Sachen an der Spree zu verbringen.


Und jetzt liege ich hier. Schreiben ist anstrengend, denken ist anstrengend, ich habe heute eine ganze Staffel Brooklyn 99 geschaut, weil Jake mich normalerweise aufheitert. Aber jetzt kann ich keine Bildschirme mehr sehen und ich kann nicht lesen, weil Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen. Ich kann auch nichts essen, weil alles eklig schmeckt, ich kann nicht rauchen, weil ich dann direkt spüre wie belegt meine Bronchien oder so sind und ich hasse Tee. Ich weiß, dass Tee trinken so eine Winterromantik haben sollte, aber ganz ehrlich, Kaffee oder irgendwas anderes Warmes mit einem Schuss Rum tut es ja auch. Ich trinke ausschließlich Tee, wenn ich krank bin und selbst dann trinke ich nur Tee, weil einfach warmes Wasser zu trinken noch lächerlicher wäre. Ich kann auch nicht wirklich aufstehen, weil dann mein Kopf hämmert und jetzt habe ich hier seichtestes Techno laufen und angefangen, meiner Mutti ihr Stirnband zu stricken. Da passt sogar der Tee zu.

Ich bin gerade um solide sechzig Jahre gealtert.


Ich kann mir nicht einmal Leute einladen, die mich unterhalten, wie so ein König (in meinem Fall Königin) auf dem Sterbebett, weil ich aussehe, als wäre ich seit mindestens drei Tagen tot und das nimmt der Sache alle majestätische. Ich fühle mich auch wie auf dem Sterbebett. Richtiger Männerschnupfenkandidat (ich möchte mich an der Stelle entschuldigen, ich weiß, dass das nicht auf alle Männer zutrifft, der Begriff ist sehr sexistisch und ich werde ihn nie wieder verwenden). Jedenfalls wäre ich jetzt bereit, mein Testament zu verfassen und das bisschen Geld, das mich hoffentlich noch bis zum Ende des London-Aufenthalts (danach kann ich wieder arbeiten, hoffe ich) tragen wird, meiner Mama vermachen. Zusammen mit dem Stirnband. Mein restliches Gras kann François haben, dieses Tagebuch soll am besten niemand zu Gesicht bekommen. Meine Klamotten kann Henni haben und auf dem Mauerpark verkaufen, Sem sollte im Idealfall nichts von meinem Ableben mitbekommen, seine Mutter hat Krebs, er braucht nicht noch mehr Stress und Trauer, also schenke ich ihm das Geschenk des Vergessens, Elias darf meinen restlichen Kram als erstes durchschauen, dann Henni und dann darf Mama alles wegschmeißen oder ein paar sentimentale Andenken behalten. Elliott wird just in dem Moment auftauchen, in dem man mich schön zurechtgemacht (nicht schön, richtig cool zurechtgemacht) in einem offenen Sarg durch London trägt und im richtigen Moment werde ich husten und wieder aufwachen und das wird dann voll das Weltwunder und ich werde ein bisschen froh sein, das Tagebuch verbrannt zu haben, weil sonst niemand mir geglaubt hätte, dass das tatsächlich alles purer Zufall statt ausgeklügelter Planung war.


Okay, ich werde dramatisch. Vielleicht sterbe ich auch gar nicht.

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