16. Oktober 2018

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16. Oktober 2018, 14 Uhr, Uni


"Wo warst du gestern?" 

"Auskatern", gestand ich knapp. Mir ging es besser. Oder zumindest weniger schlecht.

 "Du trinkst zu viel." Ich grinste nur und folgte Sem in den Vorlesungssaal. Sem und ich hatten abgesehen von dem Studiengang und der Tatsache, beide in London zu sein, nur unsere Unpünktlichkeit gemeinsam. Ich hatte ihn gerne, seit wir zusammen eine viertel Stunde lang den Raum für die Einführungsveranstaltung gesucht hatten. Er war entspannt, redete lieber über andere als über sich und das reichte mir schon. Außerdem bestand er nicht darauf, dass wir außerhalb der Uni etwas machten.


"Scoot over a bit, will you?" raunte ich einem Mädchen in der letzten Reihe zu und Sem und ich plumpsten auf die zwei jetzt freien Randplätze. Ich reckte mich kurz. In der geheimen und nicht besonders realistischen Hoffnung, Elliott zu sehen. Von den hundert Leuten im Raum hatten genau zwei Hüte auf und beide wirkten zumindest von hinten sehr weiblich. Ich schnitt eine Grimasse und packte mein Zeug aus.


"Ich wünschte, du könntest leise schlucken", flüsterte mir Sem wenig später zu. Ich schaute zu ihm rüber. Er machte sich vorbildlich Notizen, ich hatte bis dato nur sarkastische Kommentare über die Vortragsweise des Dozenten gemacht. So viel zu meinen guten Vorsätzen.

"Das wünsche ich mir auch." Ich nahm demonstrativ noch einen großen Schluck Wasser. Sem schien sich noch nicht ganz sicher zu sein, ob er mich noch nett oder schon nervig fand. Er entschied, vorerst nichts zu sagen. Was für meinen eindeutigen Provokationsversuch natürlich eine Enttäuschung war.


"Hey", sagte ich nachdem wir anderthalb Stunden dagesessen und uns gelangweilt hatten und jetzt sehr langsam unser Zeug zusammen räumten (weil das alle anderen aufhielt), "meine Mitbewohner wollen heute was trinken gehen, magst du mitkommen?" Sem runzelte die Stirn. Ich war auch versucht, die Stirn zu runzeln. Hatte ich mich nicht noch vorhin gefreut, ihn nicht außerhalb der Uni zu sehen?

"Kurze Frage", setzte er an, „Willst du was von mir oder versuchst du nur sehr sozial unbeholfen nett zu sein?"

"Das zweite. Ich hab mich gerade erst verliebt, falls es dich beruhigt. Und wenn ich mich erst mal verliebt habe, dann halte ich mich auch an die Person."

"Du gibst viel zu schnell sehr private Informationen über dich preis. Aber klar, ich komme mit. Schreibst du mir wann und wo?"

"Ich schaue jeden Abend eine Folge Friends vorm Einschlafen und habe meine Jungfräulichkeit in der zehnten Klasse verloren", verkündete ich weitere private Informationen. Sem musste lachen. Damit hatte er sich wohl für nett statt nervig entschieden.

"Bis dann", sagte ich mit einem Zwinkern und winkte, bevor ich in einen anderen Flur abbog. Sem schüttelte den Kopf.


***

16. Oktober 2018, 21 Uhr, wieder im Nickle's


"That's Sem", stellte ich ihn vor und zwängte ihn in unsere Ecke. Henni sah enttäuscht aus. Sie war durchaus darauf fixiert, ausschließlich mit sehr gut aussehenden Kerlen befreundet zu sein. Nicht, dass Sem eine Katastrophe war. Aber gut aussehend war was anderes. Alexa nickte ihm zu. Es war ein unfassbarer Aufwand gewesen, sie in die Bar zu bekommen und ihr freundliches Nicken war ein einziger Triumph für mich. Jesús war schon betrunken. Keine Ahnung, wie er das gemacht hatte. Carla und Ala waren nett und betrieben Smalltalk. Henni schaute sich nach attraktiven Menschen um. Jesús fiel für sie leider weg, der war mein Mitbewohner. Und Henni hatte auch kein Faible für Spanier. Ich versuchte nicht gehässig zu grinsen. Gott, war ich inzwischen ein Arschloch. Wenn ich Menschen und ihre Fehler zu gut kannte und sie dann auch so regelmäßig vorgeführt bekam, wurden sie irgendwie schwerer zu verzeihen.


"Ich hole dir was zu trinken, was möchtest du?", fragte ich Sem.

"Bier?" Ich nickte und versuchte nicht zu erfreut zu wirken. Ich hätte ihm auch fruchtige Cocktails zugetraut. Und er hatte sich nicht mal daran gestört, dass ich ihm was ausgab. Sehr sympathischer Mensch, der Liebe.


Und dann ging ich zur Bar. Es war nicht der Barkeeper vom letzten Mal, sondern eine junge Frau mit sehr tätowierten Armen. Das war nicht wirklich das, was ich mir erhofft hatte. Naja. Ich würde es trotzdem versuchen.

"Hi. I'd like two pints." Sie nickte. Vom Charakter her schien sie genauso, wie der andere Barkeeper drauf zu sein.


"Can I ask you something?", fragte ich, während sie den Schaum des ersten Biers abgoss und das Glas dann wieder ein bisschen nachfüllte. Sie nickte wieder, konzentrierte sich aber nach wie vor auf das Bier.

"I met a guy here two days ago and I forgot to give him my number", begann ich. Sie zog eine Augenbraue hoch, ohne mich anzuschauen. Das war immerhin mal eine Reaktion.

"Could I give you my number and if he ever passes by, you hand it to him?" Sie seufzte.

"Look, I've got pictures", ich hielt ihr zwei frisch ausgedruckte Fotos unter die Nase, die ich extra deswegen mitgebracht hatte, "average heigt, stupid hat, stubble, broad smile." Sie stellte mir das erste Bier hin und ich tat, als wäre das ganze ein Tauschgeschäft und legte die Bilder auf den Tresen. Kurz hielten wir sehr unangenehmen Augenkontakt. Ich kam mir erbärmlich vor.


"Sure", sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit und reichte mir einen Zettel. Ich schrieb ihr meine Nummer auf.

"Two beers. There you go. Good luck, finding your guy, weird girl."


Ich war zufrieden. Der erste Schritt in Richtung Elliott war getan.

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