Neuanfang

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Randi
„Das wars jetzt also? Endgültig?"
Frustriert blickte Joey mich an und ich erkannte in seinen Augen echte Trauer. Wir saßen auf der Veranda vor Myas Haus auf einer Hollywoodschaukel, beide ein Bier in der Hand. Von drinnen schallte dumpf die Musik zu uns. Ganz melancholisch hatten wir uns zu meinem letzten Abend in Buenos Aires getroffen um meinen Abschied zu zelebrieren. Über zweis Stunden saßen wir nun schon draußen und redeten ohne Unterlass über die alten Zeiten. Mya befand sich aus Rücksicht im Haus und kümmerte sich um die Gäste. Als sie gehört hatten dass ich die Stadt, ja sogar das Land verlassen würde, waren zahlreiche Gäste eingetrudelt und aus einer kleinen Runde wurde eine Megaparty.

„Wann fliegst du morgen?", fragte Joey und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche.
„Um 18:05 Uhr fliege ich los und lande um kurz nach 11 Uhr in Frankfurt. Es gibt eine Stunde Zeitverschiebung", murmelte ich fast unbeteiligt.
„Und dein Bruder?"
„Augustín kommt klar!"
„Ich meinte Diego?"
„Was soll mit ihm sein?"
„Freust du dich nicht ihn zu sehen?"
„Nein?!"
„Du freust dich nicht deinen Bruder nach all den Jahren wieder zu sehen?"
„Ganz genau: nach all den Jahren!"
„..."

Wir tranken beide einen Schluck.
„Dir geht das ziemlich am Arsch vorbei, oder?", setzte mein Freund erneut an, verschluckte sich allerdings und hustete stark.
„Was sollte mich das alles noch interessieren?", raunzte ich und warf Joey nur einen kurzen Blick zu, der sich wild auf die Brust klopfte und nach Luft lechzte. Mit einem kräftigen Hieb schlug ich ihm auf den Rücken. Joey hustete noch ein bisschen, dann rieb er sich den Rücken und blickte mich vorwurfsvoll an.

„Komm schon Mann! Du lässt alles hinter dir und startest ein neues Leben. Fühlst du dich nicht irgendwie komisch dabei?", fragte er und schaute mich verständnislos von der Seite an.
Ich verzog keine Mine. „Ob ich hier lebe oder irgendwo anders am Arsch der Welt, ich kann es sowieso nicht beeinflussen", sagte ich ungerührt.
Da platzte auch schon Mya zu uns
„Joey ich brauche dringend deine Hilfe. Davíd pöbelt da drinnen rum und ich hab echt Angst das er eine Schlägerei anzettelt", redete sie aufgeregt. Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte sie sich mir zu und verschwand so schnell wie sie gekommen war. Joey eilte hinter ihr her.

Um eine Schlägerei zu verhindern zog sie ernsthaft Joey in Erwägung? Sie musste ihn wirklich lieben um ihm so etwas zu zu trauen.

Ich stand auf und schüttelte meine Beine aus. Die Bierflasche stellte ich neben der Hollywoodschaukel ab und bewegte mich ein paar Schritte im Vorgarten von Myas Familie. Die Villa war von einer kalkweißen Wand umgeben und top gesichert. Es hatte die Familie einige Zeit gebraucht um Joey, einen Jungen aus der Villa 13, zu akzeptieren, doch anscheinend hatten sämtliche Schmeicheleien meines Kumpels gefruchtet. Er ging hier ein und aus.

Frustriert kickte ich einen Kieselstein vor mir her. Er prallte am Stamm einer Stachelpalme ab und landete wieder vor meinen Füßen. Parallel zur Einfahrt erstreckte sich ein künstlich angelegter Teich, der von einem breiten Steg gekreuzt wurde. Darauf lief ich nun und betrachtete die Spiegelung der Eingangslichter an der Wasseroberfläche. Die Seerosen hatten ihre Blütenköpfe bereits geschlossen und warteten auf den Sonnenaufgang. Wie friedlich alles wirkte.
Erschöpft setzte ich mich und brach mit meiner Hand die Wasseroberfläche. Die Lichter verschwammen und kleine Wellen breiteten sich aus.

Morgen würde ich das alles hier verlassen. Keine Villa 13 mehr, keine Freunde, Familie und kein Augustín. Alles würde sich ändern. Ganz so egal wie ich vor Joey getan hatte war mir der Neuanfang nicht, doch was würde es nützen ihn zu verunsichern. Er konnte mir nicht helfen, das konnte niemand. Es lag nun in meiner Hand die Zukunft zu gestalten. Fakt ist nur: ich würde wiederkommen. Ich konnte dieser Welt nicht einfach den Rücken zukehren und tun als ob es nicht weiter existiere. Auch wenn meine Mutter erwartete dass ich das tun könnte.

Ich schluckte schwer. Augustín hatte die Neuigkeiten über meine Abreise nicht gerade gut aufgenommen. Er war noch ein Kind. Er glaubte, ich würde ihn verlassen, ihn vergessen. Ihn hier zu lassen brannte in meinem Herzen wie Feuer. Doch ich konnte ihn nicht mitnehmen. Und wenn ich in Deutschland die Schule beendete, konnte ich meinen kleinen Bruder zu mir holen und ihm das beste Leben ermöglichen. Das hatte ich mir doch immer für ihn gewünscht.

Drei Jahre. Solange müsste ich die Oberstufe besuchen. Ich hatte nur kurz mit Diego geredet. Ich würde bei ihm wohnen in einer anscheinend ziemlich ländlichen Gegend. Hoffentlich war das nicht sterbenslangweilig. Die Schüler waren dort sicherlich zum größten Teil Bauern, von denen hielt ich mich besser fern.

Ich musste mich konzentrieren. Augustíns Zukunft lag allein in meiner Hand. Wenn das bedeutete dass ich vorübergehend einbüßen musste, nahm ich das gerne in Kauf!

„Randi? Bist du noch da?"
Joey stand auf der Veranda und blickte sich suchend um. Er hatte mich auf dem Steg nicht entdeckt. Besser so, dachte ich. Im Moment wollte ich noch etwas für mich sein um meine Gedanken zu sammeln. Keine Emotionen! Das hatte ich mir geschworen.

🍃🍃🍃

Einige Stunden später- es kam mir wie ein Wimpernschlag vor- betrachtete ich resigniert meinen Koffer. 15 Kilogramm meines Lebens waren mir übrig geblieben und nun in diesen Koffer gequetscht. Es war zum Verrücktwerden. Mein Flugticket steckte in meiner Jackentasche und verlieh mir ein ungutes Gefühl. Ich schnappte mir den Griff und zog meine Habseligkeiten hinter mir her ins offene Wohnzimmer. Meine Mutter saß auf dem Sofa, einer Zeitschrift zugewandt. Desinteressiert blätterte sie Seite für Seite um und überflog die Texte nur grob.

Augustín befand sich in seinem Zimmer. Man hörte ihn dumpf schluchzen. Ohne meine Mutter eines Blickes zu würdigen ging ich zu der löchrigen Zimmertür und klopfte zögernd.
„Augustín... ich muss nun los", krächzte ich, bemüht um meine Standhaftigkeit.
Er antwortete nicht.
„Villeicht willst du dich noch von mir verabschieden?", setzte ich erneut an, doch auch diesmal erhielt ich keine Antwort.
„Ich werde zurück kommen. Irgendwie wird alles gut", sagte ich und tief im Inneren meinte ich es auch so. Ich ließ von der Tür ab und drehte mich zum gehen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Augustín stürmte auf mich zu. Sein kleiner Körper drückte sich mit enormer Kraft an meinen.

Runde Kulleraugen blickten zu mir herauf und ich sah Tränen in ihnen glitzern. „Versprich es!", bettente er „Versprich das du wieder kommst!"
Ich nickte stummund schloss ihn in eine lange Umarmung.

„Zeit zu gehen", rief meine Mutter und unterbrach unseren Gefühlsausbruch. Schnell strich ich meinem Bruder durch sein krauses Haar und wandte schnell den Blick ab. Beinahe rannte ich zum Ausgang und erst als die Villa 13 hinter mir im Staub versank, ließ ich die brennenden Tränen zu.

When Worlds CollideOn viuen les histories. Descobreix ara