Goldener Oktober

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Pascal
Klack klack klack
Wie ein Metronom hallte der Klang meiner Absätze auf dem Parkettboden wieder. Die Schritte, beständig und kurz, trugen mich quer durch den kompletten Speisesaal. Zwischendurch verstummten sie, wenn ich den Teppich passierte, doch dann erklang erneut der Beweis meiner Unruhe und die Geräusche verstärkten meinen Puls, schlugen im Gleichklang.

Von Anfang an war ich der festen Überzeugung gewesen, es wäre das Beste meine geliebte Lene zu mir zu holen. Seit mein Vater mir seine Unterstützung zugesichert hatte, freute ich mich auf den Moment sie wieder um mich zu haben. Wochen vorher konnte ich den süßlichen Duft ihres Shampoos im ganzen Haus wahrnehmen, fühlte regelrecht ihre Präsenz im bislang leer gebliebenen Himmelbett. Selbst drei Jahre später war sie immernoch von bezaubernder Schönheit. Inzwischen waren ihre Haare etwas kürzer, gingen knapp über die Schultern, doch das verlieh ihr ein erwachseneres Aussehen.

Sie war keine 16 mehr, ich hatte einiges verpasst. Doch auch, wenn ich nicht höchst persönlich auf sie aufpassen konnte, hatte mein Vater meinen Job übernommen, ganz zu meiner Beruhigung. Und noch ein weiteres Detail beruhigte mich außerordentlich: meine kleine Lene hatte sich von allen Menschen abgewandt, ganz wie ich es für sie vorgesehen hatte. Keine Freundinnen, keine Freunde, keine Affären. Bis dieser Ausländer sich ihr annehmen wollte.

Von Bitterkeit erfüllt, schüttelte ich mich. Dieser Randi hatte verloren, früher ider später würde er das einsehen. Und Lene würde ihn vergessen, wenn sie das nicht schon längst getan hatte. Hier, in diesem luxuriösen Zugause hatte sie alles was ein Mädchen wollen könnte. Sie würde verstehen.

Nur ich selbst verstand noch nicht ganz. Alec war noch immer nicht zurück gekehrt. Meine Aufgabe war es lediglich gewesen, Lene in das Restaurant und somit in meine Fänge zu locken. Während mein Vater sich dann um ihren Transport gekümmert hatte, kam ich mit meiner Standartlimo am Anwesen an. Inzwischen wartete ich schon mehr als zwei Tage. Wo war mein Vater? Und wo war Lene?

„Haben Sie noch einen Wunsch, Mister Kerr?"
Überrascht drehte ich mich um und sah Katarina auf mich zukommen, eines der neuen Dienstmädchen. Aus ihren aschgrauen Augen sah sie mich abwartend an. Sie war noch sehr jung, höchstens 18, von schlanker, drahtiger Figur und kräftigem Busen. Ihr dichtes rötlich schimmerndes Haar hatte sie dezent hochgesteckt, doch ich war mir sicher, dass es offen getragen von ausdrucksstarkem Volumen geprägt wäre. Gierig leckte ich mir über die Lippen und betrachtete Katarina einmal von oben bis unten. Sie hielt meinem Blick stand, vielleicht wusste sie nichts von meinen Absichten. Doch zumindest diesmal hielt ich mich zurück.

Das einzige Objekt meiner Begierde war momentan Lene. Mir blieb noch genug Zeit mit ihr um mich zwischendurch mit Katarina zu vergnügen, sollte Lene mich kurzzeitig langweilen.

„Danke, das wäre es im Augenblick. Bitte informiere mich nur, wenn Alec wieder im Haus ist.", bat ich sie, woraufhin sie nickte und auf leisen Sohlen den Raum verließ.

Nach jeder verstreichenden Sekunde spührte ich die Aufregung in meinem Magen steigen. Würde mein Vater nur endlich erscheinen, könnte ich zu Lene. Ich war nicht unbedingt für meinen ausdauernden Geduldsfaden bekannt.
Der Tag neigte sich dem Abend. Rötliches Licht der untergehenden Sonne schien durch die großen Fenster und hüllte den Saal in unrealistische Farben. Das Personal richtete kleine Pasteten auf einem Silbertablette, doch ich ließ sie unangerührt. Immer wieder glitt mein Blick auf meine Armbanduhr. Noch kein Anzeichen von Alec. Spielte er mit meinen Gefühlen?

Ich öffnete ein Fenster und betrat den breit ausgelegten Balkon. Von hier erhielt man einen ausgezeichneten Blick über die gesamte Gartenanlage, sowie die Einfahrt und das schmiedeeiserne Tor. Mit festem Griff packte ich das hell gestrichene Geländer und beugte mich ein wenig vor. Die kalte Herbstluft zerzauste meine aufwendig bearbeitete Frisur und spielte mit dem Saum meines Hemdes. Bald würde der Oktober vergehen. Lene würde bleiben.
Diesesmal sollte alles anders laufen. Besser.
Es stimmte, sie war nicht die einzige Frau für mich. Jemand wie ich, der in gewissen Kreisen verkehrte, konnte sich nicht binden auf konventionelle Art und Weise. Ein Mann von meinem Stand war natürlich verpflichtet seine Gene weiterzugeben.

Auch das würde Lene verstehen, oder gar nict erst erfahren. Neben all meinen Liebschaften war sie allerdings mein Liebling. Vielleicht musste ich ihr das so erklären. Sie durfte sich nicht wertlos fühlen, sondern musste einsehen, dass sie unter allen Frauen die einzig wahre ist.

„Schließ das Fenster, Pascal! Der Wind wird stärker."
Die tiefe Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. Unbemerkt war mein Vater herangetreten und lehnte nun lässig am Fensterrahmen. Sofort stürzte ich auf ihn zu und belagerte ihn mit meinen brennenden Fragen. Wo war Lene? Wie fühlte sie sich? Wann konnte ich zu ihr? Warum hatte ihr Transport so lange gedauert?
Alec winkte nur beschwichtigend mit den Händen und bedeutete mir, an der eilig vom Personal gedeckten Tafel Platz zu nehmen.

Während er in Ruhe Hähnchen und gemischten Reis auf seinen Teller häufte, konnte ich es mir kaum verkneifen nicht aufzuspringen und wie ein aufgeregtes Kind durch den Raum zu springen.
„Bitte, iss wenigstens eine Kleinigkeit. Vielleicht geht es im Gefängnis anders zu, aber hier pflegen wir gewisse Tischmanieren, die das gemeinsame Essen miteinschließen.", bemerkte er fast beiläufig.
Also schaufelte auch ich eine winzige Portion auf den Teller und wartete gespannt, bis mein Vater das Wort ergriff.

„Ihr geht es... passabel.", begann er nach einer Kunstpause und bedachte mich mit einem vielsagenden Blick. „Was soll das bedeuten?", fragte ich vollkommen verwirrt. Das Essen auf meinem Teller hatte ich längst vergessen.
„Sie sträubt sich, was hast du anderes erwartet.", rief er und haute mit der Faust auf den Tisch. Die Schüssel klapperten, als bekräftigten sie seine Aussage.
„Sie wird sich einleben und sich daran erinnern, wie glücklich wir waren.", erklärte ich ihm voller Überzeugung. Dafür erntete ich nur ein künstliches Lachen.

„Bist du so blind?", lachte er und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Sie hatte nie ein sonderliches Interesse an dir, an unserer Familie. Ihr Leben bei uns hatte sie sich schon damals ganz anders vorgestellt."

Ein Reiskorn klebte an seinem Oberlippenbart, doch nicht nur deswegen ekelte ich mich vor Alec. Seine Worte hatten mich völlig aus der Bahn geworfen. Verdattert sah ich ihn einfach nur an und suchte verzweifelt in meinem Kopf nach einer passenden Antwort.
„Sie ist freiwillig ins Restaurant gekommen."
„Sie hatte keine Wahl", dementierte er meine Aussage.
„Sie hat gerne hier gelebt."
„Sie ist abgehauen und hat dich in den Knast geschickt."
„Das war ein Versehen!"
„Pascal, sie liebt dich nicht."
„Und ob sie das tut!", brüllte ich, nach Rechtschaffenheit lechzend.
„Sie liebt diesen Südamerikaner."

Schock. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Das konnte es nicht sein. Lene und ich waren füreinander bestimmt.
„Sie hat-", setzte ich an, wurde jedoch von meinem Gesprächspartner unterbrochen:
„-ein neues Leben begonnen. Zumindest war sie gerade dabei."
Nachdenklich wandte ich mich von meinem Vater ab und betrachtete den letzten roten Streifen am Horizont durch die Fenster scheinen.
Seine breite Pranke umfasste mein Handgelenk und er beugte sich zu mir rüber, wirkte vertraulicher, nahbar.

„Doch das ist egal", flüsterte er. „Sie weiß Dinge über unsere Familie, die selbst mich in den Knast bringen würden. Vielleicht kann sie sich im Moment nicht daran erinnern, denn sonst hätte sie mit Sicherheit schön längst etwas ausgeplaudert. Es ist zu riskant, sie frei draußen rumlaufen zu lassen. Eins ist sicher, solange ich lebe, wird Lene Höst bei uns bleiben. Sie braucht Erziehung und eine harte Hand. Ich übernehme das. Sobald sie sich angepasst hat, kannst du mit ihr tun und lassen was du willst."

Ein träumerischer Glanz trat in meine Augen. Noch war es nicht vorbei. Mein Vater würde sich um alles kümmern, dann würde Lene mich lieben und alles wäre perfekt.

„Kann ich zu ihr?", fragte ich hoffnungsvoll, doch wurde bitter enttäuscht.
„Es ist zu früh, mein Sohn. Sie könnte versuchen zu entkommen."
„Aber wo hälst du sie versteckt?"
„Dort, wo niemand sie im Zweifelsfall finden wird."
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Mal wieder ein neues Kapitel😅 ich komme zur Zeit leider überhaupt nicht dazu etwas zu schreiben, denn bald ist schon mein mündliches Abi. In einer Woche geht es dann aber weiter. Bleibt gesund! ❤️

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