Enthüllungen

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Randi
Zufrieden packte ich am nächsten Morgen meine Tasche. Sicherlich lag Miss Oberschlau in ihrem Bett und heulte. Mädchen hatten doch immer Angst vor Krabbeltieren und Geistern. Außerdem war das erst der Anfang! Sie würde sich wünschen, sie hätte mich von Anfang an besser behandelt. Irgendjemand musste die arrogante Ziege in die Schranken weisen.
Gut gelaunt setzte ich mich an den Esstisch, begutachtet von argwöhnischen Blicken seitens meines Bruders.
„Alles klar?", fragte ich betont beiläufig und schmierte mir einen Toast mit einer dicken Schicht Marmelade.
„Jaja... du scheinst gut gelaunt zu sein", lächelte er. Offensichtlich spielte sich in seinem Kopf ein Film voller Harmonie ab. Er glaubte an die heile Welt.
Was ein Anfänger...

Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass ich bald los müsste. Ich verabschiedete mich von Diego, der angesichts meiner Sorge zu spät zu kommen große Augen machte. Auch an die Badezimmertür klopfte ich, um mich von Anisa zu verabschieden. Diese Tür würde ich ganz bestimmt nicht öffnen!
Aus der Garderobe pflückte ich noch eine Felljacke von Diego. Meine Klamotten waren noch nicht alle geliefert worden, weswegen ich ein paar Sachen von Diego vorläufig benutzte.

Den Schulweg über freute ich mich sehr. Ungewöhnlich, doch ich hatte schließlich einen echten Grund zur Freude. Rache ist süss, dachte ich und kicherte.
Es dauerte nicht lange, da erblickte ich in geringer Entfernung das Schulgebäude. Erneut schauten die Schüler mir hinterher, als ich an ihnen vorbei lief. Die Reaktionen waren wieder gemischt, doch heute dauerten sie nicht so lange an. Langsam gewöhnte das Kaff sich anscheinend an mich.
Unauffällig blickte ich mich suchend um. Möglicher Weise war Lene schon da. Wie würde sie reagieren? Ahnte sie, das die Nachricht und das Video von mir stammten?
Sicher nicht. Wahrscheinlich war sie total in Panik geraten. Die nächsten Nachrichten würden sie noch mehr verunsichern. Das harmlose Video war noch nichts im Vergleich zu dem, was sie noch erwarten würde.
Ich grinste diabolisch in mich hinein.
Komm heraus, Lene...

Ich musste noch ein wenig warten, bis ich auf Miss Klugscheisserin traf. Die ersten beiden Stunden hatte ich Informatik. In der Pause war sie nirgends zu sehen. Dabei hatte ich sogar einen vorsichtigen Blick ins Mädchenklo geworfen. Lene hatte doch nicht etwa jetzt schon die Hosen so voll, dass sie sich nicht in die Schule getraut hatte?
So zimperlich schätzte ich sie jedoch nicht ein.
Danach hatte ich Mathe. Wenn ich sie in der folgenden Pause nicht zu Gesicht bekam, würden wir zumindest in Erdkunde aufeinander treffen. Außerdem war Vorfreude doch bekanntlich die schönste Freude!

Ich hätte mich nicht zu früh freuen dürfen...
Absichtlich erschien ich viel früher als die anderen im Raum und setzte mich auf den selben Platz wie gestern- Lenes Platz. Nach und nach trudelten meine Klassenkameraden ein und grüßten mich respektvoll. Ich ignorierte sie. Auch Emma erhielt von mir keine Aufmerksamkeit. Enttäuscht nahm sie weiter hinten Platz und schmollte. Mir sollte es egal sein. Mein Blick war ununterbrochen auf die Tür gerichtet. Bald würde sie eintreten. Miss Perfect würde doch nicht zu spät kommen!
Nur noch eine Minute. Wo blieb Lene?
Die Zeit schien wie in Zeitlupe voran zu schreiten. Ich konnte das Ticken beinahe hören. Lene durfte nicht krank sein, das würde meinen triumphalen ersten Racheakt verhindern.

Doch dann erschien sie, gleichzeitig mit dem finalen Klingeln der Schulglocke. Punktlandung. Mit gesenktem Kopf und wirr abstehenden Haaren eilte sie in meine Richtung, blieb vor ihrem- jetzt meinem- Platz stehen, runzelte die Stirn und gesellte sich zu den staubigen Regalen in die letzte Reihe. Dort saß sie ganz alleine.
Wie bemitleidenswert.
Kommt davon, dachte ich höhnisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
Dann begann ich zu analysieren. Zeigten sich in ihrem Gesicht Angst, Verunsicherung und Ärger? Nein. Sie sah eigentlich ganz normal aus, bis auf ein paar Augenringe. Aha! Hatte sie etwa nicht gut geschlafen?

Der Lehrer betrat das Klassenzimmer und ich wandte ihm den kleinen Teil an Aufmerksamkeit zu, den ich gerade so für ihn erübrigen konnte. Dabei streifte mein Blick Emma, die mit verheulten Augen zwischen Lene und mir hektisch hin und her blickte. Oh Gott, wie konnte man sich nur so peinlich benehmen? Ich verdrehte die Augen und sah lieber Herrn Friedrich an, der motiviert eine Landkarte ausrollte. Hauptstädte, Flüsse, Gebirge- mein Lieblingsthema. Als kleines Kind hatte ich einmal einen Atlas geschenkt bekommen und aus Jux alles auswendig gelernt, inklusive der zugehörigen Flaggen eines jeden Landes.
Der heutige Unterricht gestaltete sich als ein Kinderspiel. Ich konnte mich sogar häufiger melden als Miss Klugscheisser. Das gefiel ihr mit Sicherheit gar nicht.

„Super, Randi!", lobte mich Herr Friedrich, weshalb ich mich stolz auf dem Stuhl zurücklehnte.
„Das ist total dein Ding oder?", fragte er ehrlich verblüfft.
„Mein Privatlehrer hat mit mir stundenlang dieses Thema durchgekaut", erklärte ich, ohne wirklich wahr zu nehmen das ich log.
„Dein Privatlehrer?", kam es von hinten. „Konntet ihr euch das leisten?"
Es war Lene.
„Hast du mir gestern nicht zugehört?", rief ich ironisch und schenkte ihr keinen Blick. „Meine Eltern sind ziemlich reich"
„Ach echt?", spottete sie.
„Bist du blöd?", rief ich und drehte mich nun doch zu ihr um. Böse funkelte ich sie an, doch ihre Mine war seltsam erhellt.
„Vielleicht bin ich tatsächlich blöd, aber immerhin lüge ich nicht", meinte sie ruhig. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus. Was ein neurotischer Zwerg.
„Willst du damit andeuten dass ich lüge?", flüsterte ich bedrohlich und erhob mich von meinem Platz.
„Ja!", grinste sie nur frech. Langsam lief ich auf sie zu.
„Sag das nochmal"
„Randi, Lene, hört sofort auf", versuchte Herr Friedrich die Eskalation zu vermeiden.
„Ich sagte, ja, du bist ein Lügner"
„Lene!"
„Was traust du dich du kleine..."
„Randi, sofort!"
„Erzähl uns doch nochmal von Argentinien. Aber lass diesmal keine Details aus. Ich weiß, dass du nicht aus einer wohlhabenden Familien kommst"
Bedrückendes Schweigen.
Ich blieb stehen und hielt erschrocken den Atem an.
„Du hast keine Ahnung", hauchte ich.
„Doch, zusammen mit einem Haufen Beweise", flötete sie triumphierend.
„Fangen wir bei Joey an und seiner Mya, dann erzähl uns von der Villa. Der eigentlichen Villa, die vielleicht nicht ganz so elegant ist", fuhr sie fort.
„Halt die Fresse!", knirschte ich.
„Wie steht es um deine Familie?"
Ihr Grinsen war so spöttisch.
„Halt einfach die Fresse!"
„Dein kleiner Bruder, der noch immer dort lebt, Augustín..."
Das war zu viel.
„Du Miststück!", schrie ich und stieß ihren Tisch beiseite. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen.
„Wühlst in meiner Vergangenheit und machst dir die Hände schmutzig", brüllte ich zornig und packte sie an den Schultern.
Sie quiekte ängstlich.
Starke Hände umfassten meinen Oberkörper und zogen mich von ihr weg. Ihr Glück. Ich hätte sie töten können.

„Randi, das geht nicht. Wir dulden keine körperlichen Übergriffe", dröhnte Herr Friedrichs Stimme von weitem zu mir. Ich nahm kaum noch etwas wahr, sah nur die ungläubigen und ängstlichen Gesichter der anderen. Keiner wagte sich auch nur einen Mucks von sich zu geben. Schweiß rann meinen Nacken herab und ich keuchte. Mein Atem ging stoßweise und verwandelte sich in ein irres Lachen. Wie grotesk die ganze Situation doch wahr. Ich lächelte gequält zu Herrn Friedrich, dann in die Klasse, entwandt mich aus dem festen Griff und schnappte mir meinen Rucksack. Ohne den Rufen des Lehrers weiter Beachtung zu schenken, verließ ich den Saal, kehrte ihnen allen den Rücken zu. Mich sähen sie hier nicht so schnell wieder. Erst, als das Schulhaus weit hinter mir lag und ich einigermaßen klare Gedanken fassen konnte, zog ich mein Handy aus der Hosentasche hervor. Na warte, du kleine Schlampe. Du bist zu weit gegangen.

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Die Lesenacht startet nun. Lasst mich morgen um 00:00 Uhr wissen, welches Kapitel euch am besten gefallen hat. Viel Spass💕🙈

When Worlds CollideWhere stories live. Discover now