Kaffeepause

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Lene
Auch die folgenden Fächer brachten nicht den gewünschten Beitrag zu meiner Bildung bei, stattdessen wurde ich immer unruhiger und zog in regelmäßigen Abständen panisch mein Handy aus dem Rucksack um zu sehen ob eine neue Stufe meiner Terrorisierung erreicht worden war. Dabei lief ich sogar Gefahr von den Adleraugen von Frau Ring, meiner Geschichtslehrerin erfasst zu werden, was mich in ewige Ungnade gebracht hätte. Doch niemand bemerkte meinen übermäßigen neurotischen Drang das Handy zu kontrollieren. Was jedoch auffiel war mein Mangel an Interesse. Wie soll ich sagen, bisher war ich immer Frau Rings Lieblingsschülerin gewesen, denn Geschichte begeisterte mich schon als ich klein war. Besonders den zweiten Weltkrieg fand ich unglaublich spannend und exakt dieses Thema behandelten wir gerade. Dementsprechend wurde ich nicht nur einmal von meiner Geschichtslehrerin aufgerufen, doch leider hatte ich nur selten eine Antwort auf ihre Fragen. Ich hatte ja nicht einmal Antworten auf meine Fragen! Wieso begann Pascal ausgerechnet jetzt mit diesen Anrufen? Wieso nicht schon früher? Was bezweckte er damit? Was könnte ihn stoppen?
Meine Aufmerksamkeit galt uneingeschränkt dem Display. Beinahe überzeugte ich mich selbst dass ich vorhersehen konnte, wann es aufleuchten würde.
Doch glücklicherweise tat es das nicht.

Als es zum Ende der Stunde klingelte stieg ich nur langsam von meinem Platz auf. Meine Beine fühlten sich an, als hätte man mir Blei in die Schuhe gelegt. Nur schleppend kam ich voran. Frau Ring warf mir fragende Blicke zu, denn meine Klassenkameraden hatten bereits den Saal fluchtartig verlassen und ich hatte noch nicht einmal mein Buch vom Tisch geräumt. Doch sie traute sich nicht zu fragen. Womöglich hatten alle Angst vor meiner Antwort, denn seit meine Mutter die Familie verlassen hatte dachte die halbe Welt, es hätte mich traumatisiert. Zugegeben, es war kein sehr angenehmes Gefühl wenn die eigene Mutter einem den Rücken kehrt, doch nach ihrem Umzug hatte mein Vater mich in eine Therapie geschickt. Sicherlich hätte sie ihm mehr geholfen als mir, denn er war der Patient- so wie er sich zu Hause benahm.

Endlich hatte ich alle Materialien beisammen und konnte den Raum verlassen. Ich warf der Geschichtslehrerin einen entschuldigenden Blick zu, sie lächelte nur mitleidig. Hatte die eine Ahnung!

Die nächsten Stunden hatte ich frei was mir wirklich missfiel. Nicht die Tatsache von einer Freistunde, dagegen hat ja wirklich niemand etwas auszusetzen, doch ohne eine Ablenkung würde ich nur weiter um mein Handy geistern und darauf hatte ich absolut keine Lust. Vielleicht sollte ich einfach zu einer Bäckerei gehen, mir einen Kaffee gönnen und mich entspannen. Dabei müsste ich doch bestimmt auf andere Gedanken kommen.
Ich leckte über meine trockenen Lippen. Hmm, ein Kaffee wäre in der Tat genau das Richtige.

Etwas fröhlicher, auf Grund meines genialen Einfalls, stellte ich meine Schultasche an eine Wand des Aufenthaltsraumes und zog meinen Geldbeutel hervor. Während ich ihn mir in die Tasche steckte lief ich auf die Einganstür zu schob entschieden alle negativen Gedanken soweit nach hinten wie nur möglich in mein Gehirn. Als mir die frische Herbstluft entgegenschlug war ich schon beinahe der Überzeugung mir alles eingebildet zu haben, so unrealistisch fühlte es sich an. Der ganze Stress in der Schule... konnte es nicht sein dass meine Nerven überspannt waren?

Diese Erklärung gefiel mir weitaus besser als die, dass Pascal wieder da war. Es versetzte mich in eine heitere Stimmung und ich begann zu pfeifen. Auch nachdem ich das Schild der Bäckerei sah, steigerte sich meine Laune und erst Recht als ich eine warme Tasse mit aromatisch duftendem Kaffee in den Händen hielt. Erleichtert setzte ich mich ans Fenster und sah nach draußen. Wie schön sich das Laub der Bäume verfärbte, durch die ein paar Sonnenstrahlen fielen und die Straße in goldgelbes Licht tauchte. Ich bemerkte einen Mann mit einem kleinen weißen Hund, der auf der gegenüberliegenden Seite vorbeilief. Sein Hund zog kräftig an der Leine vor Begeisterung und auch der Mann wirkte in seinem herbstlichen Aufzug, mit leichtem Schal und einer Weste, überaus fröhlich.

Heute würde auch ich mit Alien einen Spaziergang unternehmen, nahm ich mir fest vor. Mein Cockerspaniel liebte besonders große Blätterhaufen. Ich würde meine Hand darauf verwetten dass er immernoch hineinspringen würde, wenn er schon steinalt war.

Schmunzelnd nahm ich einen großen Schluck aus meiner Tasse und spührte neue Energie in mir aufkommen. Wieso noch Gedanken an Pascal verschwenden? Meine letzte Begegnung mit ihm war lange her, knapp drei Jahre. Wie unwahrscheinlich dass er genau jetzt aufkreuzen würde. Ich sollte nicht so viel Träumen. Ich verwechselte bereits die Realität mit Fiktion. Es gab keinen Grund paranoid zu werden!

Mit einem letzten großen Zug leerte ich die Tasse und ging an den Schalter um zu bezahlen. Die Kassiererin lächelte mir zum Abschied freundlich zu. Sie kannte mich gut, ich war Stammkundin.

Leichten Schrittes bewegte ich mich zum Schulgelände zurück. Weil mir noch etwas Zeit bis zum Sportunterricht blieb, wählte ich eine längere Route, einmal über das Feld. Die Sonne schien mild in mein Gesicht und belebte meinen Geist. Ich atmete tief die frische Luft ein und klaute hin und wieder eine Weintraube aus dem Wingert am Wegesrand. Die Trauben schmeckten fruchtig und ich genoß den Spaziergang.

So verbrachte ich einige unbeschwerte Minuten in der Natur, bis ich das Dach der Turnhalle sehen konnte. Angekommen im Alltag betrat ich den Aufenthaltsraum, schnappte meine Schultasche und wollte gerade gehen, als ich innehielt und stutzte. Die Tasche war ungewöhnlich schwer. Vorsichtig setzte ich sie ab und öffnete den Reisverschluss.

Auf den ersten Blick wirkte der Inhalt nicht außergewöhnlich: Ein Packen Papier, mein Mäppchen und ein Haufen Bücher und Hefte. Ich nahm die Bücher heraus und legte sie neben mich auf den Boden. Als ich erneut hineingriff berührte meine Hand etwas kühles, raues. Ich zog es heraus und riss die Augenbrauen nach oben. Ein Stein?!
Wieso legte mir jemand einen Stein in meine Tasche?
Wieder griff ich hinein und wieder zog ich einen Stein heraus. Verwirrt drehte ich den Stein in meiner Hand, kramte weiter in meiner Tasche und zog insgesamt acht mittelgroße Steine heraus.

Alle hatten nichts auffälliges an sich, keine Markierung, keine besondere Form, nichts!

Irritiert blickte ich hinter mich. Auf einer Bank sah ich Emily und Katja aus meinem Mathekurs. Sie aßen noch ihr Mittagessen und unterhielten sich. Mit einem der Steine in der Hand rannte ich zu ihnen.
„Habt ihr zufällig gesehen wer mir Steine in die Tasche gelegt hat?", fragte ich die beiden.
„Tut mir leid, wir sitzen noch nicht so lange hier. Vor uns war niemand in diesem Raum", meinte Katja und betrachtete das Objekt in meiner Hand. Sie schien genauso verwirrt wie ich.
„Wieso legt dir jemand Steine in deinen Rucksack?"' fragte sie und runzelte die Stirn.
„Das ist die Frage", erwiederte ich und bedankte mich bei den Mädchen.

Grübelnd lief ich zurück. Diese schweren Dinger würde ich ganz sicher nicht mit mir herumschleppen. Bestimmt handelte es sich nur um einen dummen Scherz. Noch einmal blickte ich prüfend in die Tasche um sicherzugehen dass ich alle Fremdkörper entfernt hatte.
Ich zuckte mit den Schultern und schleppte die Steine nach draußen, wo ich sie in ein Gebüsch schmiss.

Anschließend räumte ich alle Bücher wieder zurück und packte meine Sachen für Sport. Dabei fiel mein Handy aus der Tasche. Ich hatte wohl das Fach mit dem Handy nicht richtig verschlossen. Hoffentlich hatte es keinen Sprung im Display.

Schnell hob ich es auf. Glück gehabt, es war noch ganz.

Plötzlich blitzte das Display auf. Eine neue Nachricht. Zitternd entsperrte ich und eine miese Vorahnung beschlich mich.
Da war es wieder, dieses flaue Gefühl im Magen. Von der heiteren Stimmung war nichts mehr übrig.

Ich öffnete die Nachricht und wünschte mich sofort an einen anderen Ort, ganz ganz ganz weit weg.

„Hallo meine Prinzessin. Nur noch acht Tage bis zu unserer Wiedervereinigung. Ich kann es kaum erwarten. -P"

Schock. Ein krampfhafter schmerzender Schock erfasste mich. Mein Sichtfeld verschwamm und in meinem Kopf dröhnte das gehässige Lachen aus dem Telefonat. Ich fiel. Mehrere Meter raste ich auf den Erdboden zu und wusste dass ich in den nächsten Sekunden aufprallen würde. Diesen Sturz konnte ich unmöglich überleben.

Ohne einen weiteren Gedanken ausführen zu können klappte ich zusammen und fiel ich in Ohnmacht.

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