H a r p e r

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Es war viertel vor sechs und ich lag hellwach in meinem Bett. Meine Augen blickten in die Dunkelheit und die Nervosität kribbelte in jeder Faser meines Körpers. Ich spürte sie in den Zehen, den Fingern und genauso auf der Kopfhaut. Sie war ein leichtes Kribbeln, das einen immer wieder Zusammenzucken ließ. Sie kitzelte einen und brachte mit der freudigen Aufregung ein grummliges Gefühl in meinen Magen.

Heute war der Tag der Tage. Samstag. Das Eishockeyspiel. Und Sully wird dabei sein.

Ich freute mich so unfassbar für ihn und war zugleich erfüllt von fürchterlicher Angst. Diesmal würde Sully nicht neben mir sitzen und meine Hand halten können, sondern wäre auf der Eisfläche. Er würde spielen, während ich mich bemühen müsste nicht in Panik zu verfallen. Vielleicht würde es eine Ablenkung sein ihn spielen zu sehen, vielleicht würde es all das aber auch nur schlimmer machen.

Mir entfuhr ein tiefer Seufzer. Je länger ich darüber nachdachte, desto weniger hilfreich war es.

Trotz der Vorfreude, Sully endlich in Aktion zu sehen, verkrampfte sich meinen Magen und verlieh mir das Gefühl nie wieder etwas essen zu können. Das Mal, wo ich ihn hätte sehen können, das Mal, wo ich von seiner verletzten Hand erfahren hatte, da hatte ich die Halle während des Spiels einfach nicht betreten können. Erst nach Spielende hatte ich mich getraut hineinzuschleichen, um nach Sully zu sehen.

Ich schüttelte die negativen Gedanken aus meinem Kopf und schlug die Decke zurück. Buttons neben mir, der bis eben halb unter der Decke versteckt gewesen war, gab ein unzufriedenes Grummeln von sich. Er würde gleich noch viel schlechtere Laune bekommen, wenn er erfuhr, dass ich mit ihm nach draußen wollte. Während ein schwaches Lächeln meine Lippen umspielte, schwang ich die Beine aus dem Bett und schlüpfte in meine Sportsachen. Als ich mich Buttons wieder zuwandte, stieß dieser ein herzhaftes Gähnen aus, bevor er sich weiter zusammen kugelte. Es brach mir das Herz ihn aus dem Bett zu zerren, doch Dad würde es ganz und gar nicht lustig finden, wenn ich um diese Uhrzeit alleine joggen gehen würde. Es war zwar noch nie etwas passiert, aber man wusste schließlich nie. Ich lief durch den Wald, die Felder und damit durch die abgelegensten Orte, die es hier gab.

Und genau, weil ich Dads Angst verstehen konnte, zog ich Buttons an seinem Halsband aus dem Bett und hinter mir die Treppe nach unten. Wenn er einmal draußen war, würde er ohnehin wach werden.

Ich schlüpfte in meine Sportschuhe, schloss die dünne Regenjacke, die ich trug und schleuste mich und Buttons nach draußen. Wie vorhergesagt wurde er mit jeder Minute, die er an der frischen Luft verbrachte, wacher und aufgedrehter. Ich joggte los und er folgte mir.

Den Trainingsplan, den ich mit Sully aufgestellt hatte, hatte er die vergangene Woche tatsächlich durchgezogen. Wir waren Montag, Mittwoch und Freitag noch vor der Schule gemeinsam laufen gewesen und an den restlichen Tagen war er entweder länger in der Schule geblieben und hatte dort den Trainingsraum genutzt oder er hatte noch Zuhause trainiert. Zwar beklagte er sich über den Muskelkater und die Anstrengung, aber ich konnte Sully ansehen, dass er all das irgendwie auch vermisst hatte. Das Gefühl ausgepowert zu sein, etwas getan zu haben und zwar etwas Gutes für den eigenen Körper. Wenn man einmal dieses Gefühl liebte, konnte man sich immer wieder neu darin verlieben.

Ich lief mit Buttons um den See, machte einen kurzen Abstecher in den Wald und kreuzte die Felder auf dem Rückweg. Als ich wieder Zuhause ankam, machte sich Dad bereits in der Küche zu schaffen und bereitete das Frühstück zu. Ich sah zu, dass ich mich so schnell wie möglich duschte, um mich dann zu ihm zu gesellen.

»Na, wie geht's dir?«, erkundigte sich Dad und reichte mir die Milch. Ich nahm sie lächelnd entgegen und schüttelte sie mir in meine Tasse.

»Gut, aber ich bin nervös«, gab ich zu und griff nach dem frisch getoasteten Brot.

Greatest PretendersWhere stories live. Discover now