S u l l i v a n

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Am liebsten würde ich mich köpfen. Köpfen, häuten und dann auf dem Scheiterhaufen verbrennen. So sehr hasste ich mich. Wie hatte ich nur wieder so abweisend reagieren können? Wieso fuhr jedes Mal diese dicke Mauer in mir hoch, wenn das Gespräch nur in die Richtung meiner Eltern ging? Warum konnte ich es nicht überspielen? Warum...

–––––

Harry stand am nächsten Morgen wieder vor meiner Tür, doch statt eines schüchternen Lächelns, thronte in ihrem Blick ein Nebel aus Zweifeln. Aus Distanz und Rückzug. Ich versuchte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken, doch statt ihn zu erwidern, ließ sie es einfach geschehen. Keine Ahnung, ob sie zu überrumpelt war oder nicht wollte.

Am Tag darauf war es praktisch nicht mehr zu übersehen, dass sie sich distanzierte. Sie fuhr mich zur Schule, verschwand dann aber ganz plötzlich und ich sah sie den Tag über nicht mehr wieder. Sie war mir gegenüber nicht unhöflich, sie war einfach schweigsam und schien über ihren Gedanken zu brüten.

Mich machte es kirre.

Ich wollte sie nicht verlieren, aber einfach so über meinen inneren Schweinehund zu springen und ihr von meinen Eltern erzählen, konnte ich nicht. Nicht mal bei Conall hatte ich es in den vergangenen Jahren hinbekommen, da konnte ich es bei ihr erst recht nicht.

Die Verzweiflung in mir stieg und linderte meine Konzentration, sodass ich bei Mr. Harris eine erneute Verwarnung kassierte. Nach der Stunde fühlte ich mich ausgelaugt und schlecht.

Dieses abartig nervige Gefühl konnte ich auch nicht los werden, da mir jeglicher Sport untersagt war. Erst recht das Eishockey Training. Verdammtes Knie!

Ich blieb stehen und holte Luft. Das Laufen mit den beknackten Krücken war der Horror. Besonders wenn man niemanden hatte, der einen so niedlich von der Seite anlächelte wie Harry es sonst tat.

Mein Blick sprang über die Köpfe der Menschen, die sich im Schulflur tummelten. In mir versteckte sich die Hoffnung, dass ich unter ihnen Harrys hellbraunen Haarschopf ausmachen würde, doch die Suche war vergebens. Statt auf Harry fiel mein Blick auf Conall. Er stand vor seinem Spind und räumte seine Bücher ein. Ich legte den Kopf schräg und biss mir von innen auf die Wange. Ich stand mit Harry nun vor dem gleichen Dilemma wie mit ihm. Es war exakt das Gleiche. Ich rastete aus, sie verstanden nicht warum und wandten sich ab.

Ich atmete tief durch und durchquerte den Flur mit großen Schritten. Ich kämpfte mich durch den Pulk an Schülern bis ich neben Conalls Spind stehen blieb. Meine Schulter stieß gegen das kalte Metall, während ich mich vorbeugte, um Conalls Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

»Können wir uns kurz unterhalten?«

Er seufzte und warf mir einen flüchtigen Blick von der Seite zu. Seine Neugier und Verblüffung versuchte er in Schacht zu halten.

»Worüber?«, fragte er halbherzig. Er war nicht bereit mit mir zu reden, aber ich brauchte seinen Rat.

»Über Geheimnisse«, sagte ich leise. Sofort schoss Conalls Kopf zu mir. Seine rechte Augenbraue war skeptisch in die Höhe gezogen, während seine Augen ruhelos zwischen meinen hin und her sprangen.

»Okay?«

Er nickte und vor lauter Erleichterung verschwand der Druck von meinem Brustkorb. Conall schloss den Spind und schwang sich seinen Rucksack wieder über den Rücken. Dann machten wir uns auf den Weg nach draußen. Wir ließen uns auf der halbhohen Mauer neben dem Schulgebäude nieder. Unsere Füße baumelten in der Luft.

»Also«, sagte Conall und sah mich an. Ich schluckte und holte dann Luft.

»Ich weiß nicht, wie ich aus der Scheiße rauskomme.«

Greatest PretendersWhere stories live. Discover now