S u l l i v a n

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»Was ist das? Woher– Warum hast du nichts gesagt?« Seine Stimme überschlug sich und mit ihr mein Herz. F*ck.

»Ich– ich wollte dir nicht noch mehr Stress machen. Du–«

»Sully, ich hab eine Grippe, keinen verdammten Krebs«, erwiderte Conall aufgebracht. Er klappte den Laptop zu und legte ihn beiseite. Als er mich wieder anblickte, ließ der Ausdruck in seinen Augen mir beinahe das Blut gefrieren.

»Sullivan. Was hast du gemacht?«

Ich wich seinem Blick aus und blieb stumm. Es brachte nichts, Conall eine weitere Lüge zu präsentieren. Er war nicht dumm. Das begriff ich in dieser Sekunde. Er würde mir keine meiner Lügengeschichte länger abkaufen, wenn ich ihm nicht zumindest einen Teil der Wahrheit erzählte. Doch das konnte ich nicht. Es würde einen zu großen Rattenschwanz hinter sich herziehen.

Während ich versuchte mich in Luft aufzulösen, blickte mich Conall unentwegt an. Als dann seine Stimme ertönte und die Stille durchschnitt, zuckte ich kaum merklich zusammen. »Ich versteh dich einfach nicht, Sullivan.«

Wie ferngesteuert hob ich meinen Kopf, richtete meinen Blick auf Conall und wünschte mir im nächsten Moment es nicht getan zu haben. Denn das, was ich in seinen Augen wiederfand, war pure Enttäuschung. Und sie sorgte dafür, dass sich mein Magen zusammenzog. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich jeden Moment übergeben müssen.

»Warum lügst du?« Ich musste schlucken. »Und sag ja nicht, dass du es nicht tust. Du tust es bereits seit längerem und inzwischen hat auch ständig diese dämliche Hand damit zu tun.«

»Ich–« Meine Stimme kam ins Stocken und versagte letztendlich. Conall schüttelte nur den Kopf, schlug die Decke zurück und erhob sich aus seinem Bett. Zu jeder anderen Situation hätte ich wohl einen Witz über seine Rudolf-Pyjamahose gemacht, doch nicht heute.

»Ich hab dir immer alles von mir erzählt.« Conall begann durchs Zimmer zu laufen »Wie die Sache mit meinen Eltern, dass sie eigentlich kurz vor der Scheidung stehen, mein Vater aber nicht will, weil das ein schlechtes Licht auf seinen Ruf als Pastor werfen würde. Oder mein« Er dämpfte seine Stimme und kam einen Schritt auf mich zu, bevor er fortfuhr. »mein erstes Mal, das wirklich grauenhaft war.« Er fuhr sich durch seine Haare und trat wieder zurück. »Oder von–«

»Ich hab's verstanden«, fiel ich ihm ins Wort. Ich fuhr mir einmal quer durchs Gesicht, bevor ich meinen besten Freund wieder anblickte. Die nächsten Worte verlangten alles von mir. »Aber davon kann ich dir einfach nicht erzählen.«

Conall verschränkte die Arme vor der Brust und gab ein abfälliges Schnauben von sich. »Du kannst mir nicht erzählen, wieso deine verdammte Hand in Gips liegt?«

Stumm schüttelte ich den Kopf. Es ging nicht. Dafür müsste ich ihm alles erzählen und... dazu war ich einfach nicht bereit. Ich wollte nicht, dass er wusste woher ich kam und zu was ich bestimmt war.

»Kannst du mir denn dann vielleicht erzählen, warum du bei deiner Großtante wohnst? Nein vermutlich auch nicht. Denn schließlich ignorierst du diesen riesengroßen Elefanten einfach, obwohl er schon seit Jahren zwischen uns steht.« Der abfällige und zugleich verbitterte Ton in Conalls Stimme versetzte mir einen Stich ins Herz. Er hatte es all die Jahre gewusst und nie etwas gesagt. Er hatte immer den Anstand zu warten und ich? Ich war grauenhaft gewesen und hatte ihm nie eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage gegeben.

Es ließ mich wütend werden. Wütend auf mich selbst.

»Sully, in einer Freundschaft muss man sich die Wahrheit sagen.« Er pausierte, um tief durchzuatmen. »Und du erzählst nur Lügen.«

Ich schluckte und blickte meinen Freund mit großen Augen. »Was willst du damit sagen?«

»Dass ich nicht weiß, ob wir noch länger befreundet sein können, wenn du mich nicht endlich in diesen Teil deines Lebens einweihst.«

Nein.

»Ich würde das nicht sagen, wenn es um etwas Lapidares ginge, doch hierbei... seitdem wir uns kennen, hältst du etwas vor mir geheim und das fühlt sich einfach scheiße an. Denn ganz offensichtlich vertraust du mir nicht genug, wo ich dir mein ganzes Leben anvertrauen würde.«

Nein. Ich konnte ihn nicht verlieren. Nicht nachdem ich schon das Eishockey verloren hatte.

»Diese Freundschaft ist unausgeglichen.«

Wieder schluckte ich und versuchte das Brennen in meinen Augen zu unterdrücken.

»Sie ist ungesund für mich.«

Er konnte unsere Freundschaft nicht auf Eis legen. Nein, das ging nicht.

»Denn statt auf dich sauer zu sein, bin ich es auf mich. Ich gebe mir die Schuld, obwohl es eigentlich deine ist.«

Ja, das war es. Ich war Schuld. Ich allein.

»Sullivan?«

Ich blickte auf und bereute es erneut. Conall erhoffte sich, dass ich ihn hiervon abhielt. Dass ich etwas einwandte, dass ich ihm vielleicht endlich alles erzählte. Dass... Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht den einzigen Menschen, der alles auf mich hielt, der mich als jemand Großartiges sah, die Sicht verklären. Ich konnte ihm nicht die Wahrheit über mich erzählen.

»Es tut mir leid.« Meine Stimme war rau und brach, kaum dass ich die Worte hinausgebracht hatte.

Ich verlor gerade meinen besten Freund. Er entglitt mir und ich hatte keine Chance das zu verhindern.

Ohne noch ein weiteres Wort von mir zu geben, erhob ich mich von Conalls Schreibtischstuhl und verließ sein Zimmer. Meine Gedanken kreisten, während ich die Treppe nach unten lief, Conalls Mom ein aufgesetztes Lächeln entgegen brachte und letztendlich aus der Haustür verschwand. Ich lief zu meinem Truck, ließ mich auf den Sitz fallen und lehnte meinen Kopf nach hinten. Meine Augen schlossen sich automatisch, während ich einen tiefen Atemzug nahm.

Ich fuhr gerade mein Leben vollständig an die Wand.

Greatest PretendersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt