H a r p e r

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Ein schwaches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich unverändert an meine Zimmerdecke starrte. Eigentlich hatte es mich nicht überrascht, dass Sully bei mir vorbeigesehen hatte. Vorgestern hatte ich mir zwar noch gewünscht, dass er es nicht tat, weil ich nicht gewollt hatte, dass er mich so verletzlich sah. Aber inzwischen wusste ich es besser.

Ja, es war komisch gewesen. Aber dafür hatte es auch verdammt gutgetan.

Keine Ahnung wie lange wir einfach nur dagelegen hatten. Lange genug auf jeden Fall, sodass ich irgendwann einfach eingeschlafen war.

Als ich dann vorhin aufgewacht hatte, war ich erst verwundert gewesen, weil von Sully jede Spur fehlte. Aber dann hatte ich ihn auf dem Boden entdeckt. Er saß im Sitzsack, hatte die Beine von sich gestreckt und den Kopf an die Wand gelegt. Es musste unfassbar unbequem sein und doch war er die ganze Nacht geblieben.

Ich hatte schlucken müssen und nicht fassen können, was meine Augen sahen. Er war geblieben. Die ganze verdammte Nacht. Ohne auch nur den Funken einer Ahnung zu haben, wieso es mir so mies ging. Er wusste nichts und dabei hatte er die ganze Wahrheit verdient. Denn auch wenn er es gestern versucht hatte zu unterdrücken, ich hatte das Schuldgefühl in seinen Augen aufflackern sehen. Er gab sich die Schuld. Schuld für etwas, wovon er keinen blassen Schimmer.

Ich seufzte und warf einen erneuten Blick auf mein Handy.

07:34

Mir entfuhr ein unterdrücktes Stöhnen. So lange hatte ich schon seit Monate nicht mehr im Bett gelegen. Das letzte Mal war glaub ich gewesen, als ich krank gewesen war und Dad mich förmlich mit Dvds und Snacks ans Bett hatte fesseln müssen, damit ich mich ausruhte.

Aber in diesem Fall konnte ich keine Sekunde länger liegen bleiben. Ich schälte mich aus meiner Decke, setzte meine Füße auf den Boden und stieg vorsichtig über Sullys Beine. Mein Blick fiel auf ihn und sofort verharrte ich in meiner Bewegung. Von alleine wanderten meine Augen über sein Gesicht, musterten ihn und ließen meine Mundwinkel letztendlich nach oben wandern.

Irgendwie sah er knuffig aus. Mit seinen zerzausten Haaren. Dem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Dem halboffenen Mund. Und de–

Ich schüttelte den Kopf und riss mich von seinem Anblick los. Sully war verdammt freundlich zu mir und ich sollte das nicht vermasseln, indem ich mir irgendwelche dummen Gedanken in meinem Kopf zusammensponn.

Ich unterdrückte mein Grinsen und verließ mein Zimmer so leise wie möglich. Wenn ich ihn schon um einen bequemen Schlafplatz beraubt hatte, dann wollte ich ihm nicht auch noch seinen Schlaf nehmen.

Als ich in der Küche ankam, traf ich prompt auf Dad, der mit seinem Tee am Küchentisch saß, die Zeitung las und sofort aufblickte, als er mich hörte.

»Morgen«, murmelte ich leise und kramte einen Topf aus dem Schrank, um mir Kakao zu machen.

»Morgen, Beanie.« Ich lächelte, nahm die Milch aus dem Kühlschrank, füllte etwas davon in den Topf und stellte sie wieder zurück. Danach verfrachtete ich ihn auf die Herdplatte und stellte sie an.

»Du siehst viel besser aus«, meinte er und stellte seine Tasse vorsichtig auf den Holztisch ab. »Hast du die Nacht geschlafen?«

Zögerlich begann ich zu nicken. Ich war mir nicht sicher, ob Dad bewusst war, dass sich Sully noch immer in diesem Haus befand. Vielleicht dachte er, dass Sully sich irgendwann rausgeschlichen hatte? Aber dann wären seine Schuhe nicht mehr da. Oh, Gott! Was wenn er dachte, dass wir zusammen in einem Bett geschlafen hatten? Was wenn–?

»Hab schon gedacht, du kommst gar nicht mehr aus deinem Zimmer.« Dad grinste und versteckte sich wieder hinter seiner Zeitung. »Das letzte Mal, dass du so lange geschlafen hast, liegt bestimmt schon Jahre zurück.« Er unterdrückte ein kleines Lachen und linste vorsichtig über den Rand seiner Zeitung.

Greatest PretendersWhere stories live. Discover now