Kapitel 41

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Tief durchatmen und aufhören zu zittern. Es gibt nichts wovor ich Angst haben müsste, denn ich tue das Richtige, davon bin ich überzeugt, auch wenn diese Überzeugung im Moment leicht bröckeln mag. Natürlich besteht das Risiko, dass Nik keine Lust mehr darauf hat, noch ein Wort mit mir zu wechseln, vielleicht will er mich nie wiedersehen und sehr wahrscheinlich ist es, dass sich zwischen uns trotz aller Bemühungen keine Art von Beziehung je wieder entwickeln kann, aber damit muss ich umgehen können, denn viel mehr plagt mich der Gedanke, nichts mehr unternommen zu haben. Warum sollte in jedem Fall der Junge um das Mädchen kämpfen? Warum soll ich nicht die Initiative ergreifen können? Selbst wenn es keine Zukunft für uns gibt, will ich mich später nicht ärgern, dass ich es nicht wenigstens versucht habe. Ich kann nicht alles dem Zufall oder anderen Menschen überlassen, was in meinem Leben passiert, ich muss die Dinge auch selber in die Hand nehmen. Wenn Nik mich abweist, ist es eben so, viel schlimmer als momentan kann es mir danach nicht gehen. Dass aus einem Frauenheld mit einem Mal ein treuer Freund wird, funktioniert ausschließlich in Büchern und Filmen, zu viel erhoffen sollte ich mir dementsprechend nicht. Je weiter ich meine Erwartungen herunterschraube, desto weniger kann mich Niks Entscheidung am Ende verletzen. Wer weiß schon, mit wie vielen Frauen er sich in letzter Zeit vergnügt hat und ich weiß ebenso wenig, ob ich mich bei ihm je gefühlsmäßig sicher fühlen kann, dabei darf ich allerdings nicht vergessen, dass ich genauso mit Max geschlafen habe, ohne dass wir noch zusammen waren. Das macht mich wenig besser als ihn. Ich sollte ihm womöglich davon erzählen, obwohl ich nicht weiß, ob ich das kann. Ich schäme mich selber zu sehr dafür.
Nun keimt doch die Angst in mir auf, nicht die richtigen Worte zu finden und ich all das, was ich zu sagen habe, nicht aussprechen werde, aber ich muss mich dem endlich stellen. Meine Mutter hat meine Entscheidung akzeptiert, wir haben noch lange miteinander geredet, wodurch ich das Gefühl hatte, eine völlig andere Frau kennenzulernen. Mir war nie bewusst, wie viel sich meine Mutter von der Seele reden muss, wie schlimm es ihr eigentlich mit ihrer Mutter geht, wie stark ihre Schuldgefühle mir gegenüber sind und wie sehr sie all die Menschen in ihrem Umfeld oft für deren Oberflächlichkeit verabscheut. Jetzt habe ich dafür zu sorgen, dass ich mich schnell aus diesem Teufelskreis befreie, bevor es zu spät ist.
Gerade habe ich vor, bei Nik zu klingeln, da öffnet sich die Haustür und eine Frau steht vor mir, die ich jetzt um nichts in der Welt hätte sehen müssen. Eine Lawine aus Wut und Enttäuschung kommt über mich und reißt mein ganzes Vorhaben mit sich. Was zum Teufel hat Sara hier zu suchen? Die Antwort dieser Frage erscheint eindeutig, ich will sie einfach nicht wahrhaben, nicht jetzt. Mein erster Instinkt schlägt mir vor, ihr ins Gesicht zu spucken, allerdings zweifle ich stark an, dass das die feine englische Art ist, mit der ich mich von ihr abgrenzen würde. Das gibt es einfach nicht, dass ich hier auf das Mädchen treffe, mit dem Nik schon mehrmals geschlafen hat, wo ich mich endlich mit ihm aussprechen wollte. Von Sekunde zu Sekunde, in denen wir uns einfach nur schockiert anstarren, sehe ich immer weniger Sinn in meinem Vorhaben. An die Möglichkeit, Sara hier zu treffen, habe ich nicht einmal gedacht, wo ich doch mittlerweile genau weiß, wie eng ihre „Freundschaft" mit Nik doch ist. In meinem dummen, verliebten Hirn habe ich sie vollkommen verdrängt und mir gedacht, dass sie nur etwas miteinander hatten, um mich eifersüchtig zu machen und das mittlerweile wieder Geschichte ist. Ich habe immer versucht, alles positiver zu sehen, als es ist, wenn es um Nik geht. Ich will immer noch am liebsten nur das Gute in ihm sehen. Das war von Anfang an mein Fehler, sonst hätte ich mich womöglich niemals auf ihn eingelassen, denn war er jemals kein Arschloch? Das wollte ich manchmal nur ausblenden. Wie konnte ich mich dann nur in ihn verlieben, wenn er so ein...
„Jetzt hör schon auf, so viel zu grübeln und voreilige Schlüsse zu ziehen. Das sieht man dir richtig an, wie du in Gedanken jedes mögliche Szenario durchgehst und dass du es schon bereust, hergekommen zu sein, obwohl das gar nicht nötig ist. Du solltest mich erstmal die Sache aufklären lassen", merkt mir Sara sofort an. Bin ich so leicht zu durchschauen? Damit überrumpelt sie mich ziemlich, da ich erwartet habe, dass die Situation eigentlich eindeutig ist und sie mir jetzt nur unter die Nase reiben will, dass sie hat, wonach ich mich sehne.
„Was soll ich dann tun? Was soll ich denken?", fahre ich sie an, da ich mir kaum vorstellen kann, was sie mir noch großartig erklären will.
„Wie wäre es, wenn du mir mal zuhörst, Prinzessin? Nik ist gar nicht da, ich komme also nicht gerade aus seinem Bett. Das ist es, was du am meisten befürchtest, richtig? Glaubt mir, ich kenne das, denn mir ging es nie anders. Das macht einen fertig. Oft genug war ich auf der Suche nach ihm oder bin ihm zufällig begegnet und habe ihn mit seiner neuesten Eroberung getroffen. Egal, wie oft es passiert ist, einem wir ständig von Neuem der ganze Boden unter den Füßen weggezogen, immer und immer wieder. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie schlimm es sich angefühlt hat, als du plötzlich diese Eroberung warst. Ich war hier, um mit ihm zu reden, mich zu entschuldigen, aber hier ist keine Spur von ihm. An sein Handy ist er gerade nicht gegangen, keine Ahnung, ob er nicht kann oder ob es an mir liegt. Er redet gerade nicht sonderlich viel mit mir. Wir haben uns heftig gestritten, das solltest du vielleicht wissen und wie könnte es anders sein, ging es dabei um dich", eröffnet mir Sara und ich bin sprachlos, dass sie so viel darüber mit mir redet, dass sie ihre augenscheinliche Niederlage so offen mir gegenüber zugibt.
„Ihr habt wegen mir gestritten?", frage ich ganz verblüfft, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann. Das passt so gar nicht zu den Szenarien in meinem Kopf.
„Oh ja, wenn du wüsstest, wie Nik mich angeschrien hat, weil er mein Verhalten dir gegenüber sowas von beschissen fand. Als ich ihm dann auch noch vorgeworfen habe, dass er dich nicht besser behandelt, hat er mich stehen lassen und seitdem ist Funkstille zwischen uns, schon seit einer ganzen Weile. Da bist du überrascht, was?", fragt mich Sara mit so einem kühlen, emotionslosen Ton, der mir mehr Gänsehaut bereitet, als wenn ich ohne Jacke in der Arktis stehen würde.
So schockiert ich eben noch war von unserer Begegnung-ich bin auch von ihrem Geständnis wahnsinnig geschockt-so doll fällt die Anspannung von mir. Ich würde fast behaupten, dass ich Erleichterung verspüre, die ich kaum genießen kann, da mir das alles so unlogisch erscheint. Aus welchem Grund verhält sich Nik gegenüber Sara auf diese Weise, wenn er mich auch nicht gerade auf Händen getragen hat? Er ist doch derjenige, der vor meinen Augen mit ihr rumgemacht hat und genau wusste, wie er mich am meisten verletzen kann. Außerdem erklärt sich mir nicht, warum Sara mir das alles erzählt. Das ergibt doch alles keinen Sinn.
„Er ist eben eine Dramaqueen und wehe du sagst etwas, das ihm nicht passt, da ist Polen aber offen. Weißt du, vielleicht hat mein Geschmachte wirklich keinen Sinn mehr. Ich habe es versucht, Jahre lang wollte ich ihm näher kommen, doch nichts hat funktioniert. Ich war wie Luft für ihn und dann kommst du, eine, die er sonst eigentlich nicht mal mit dem Arsch angucken würde und innerhalb so kurzer Zeit hast du ihn an dich gebunden. Das ist wohl der Moment, in dem ich endlich einsehen sollte, dass es vorbei ist für mich, dass ich einfach nicht die Schöne bin, die aus dem Biest einen anständigen Kerl machen kann. Diese Rolle passt ehrlich gesagt tausendmal besser zu dir, das habe ich von Beginn an gemerkt, aber das wollte ich nicht akzeptieren. Ich wollte nicht für umsonst so lange um ihn gekämpft haben. Hiermit räume ich also das Spielfeld, bevor ich meinen wahren Traummann da draußen noch verpasse", bekennt sich Sara im Prinzip zu einer Friedenserklärung zwischen uns, jedoch komme ich vor Überraschung über diese unerwarteten Worte kaum hinterher.
„Ich habe Nik nicht an mich gebunden, wir reden nicht mehr miteinander und er will mit mir genauso wenig eine Beziehung führen wie mit dir", widerspreche ich ihren Worten. Vielleicht räumt sie deshalb das Spielfeld, weil sie sich sicher ist, dass ich Nik genauso wenig bekommen kann wie sie und das wenigstens einen Hauch von Gerechtigkeit für sie darstellt.
„Der Kerl hat, seitdem er dich kennt, mit keiner anderen mehr geschlafen oder überhaupt was Richtiges angefangen, das soll schon was heißen. Glaub mir, Schätzchen, ich kenne Nik lange genug. Man mag es ihm als Außenstehender nicht anmerken, aber er hat sich verändert und ich habe die starke Vermutung, dass das daran liegt, weil er sich in dich verknallt hat", antwortet Sara, woraufhin ich fast lachen muss. Die Vorstellung, Nik könnte dazu tatsächlich im Stande sein, ist viel zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem macht mein Herz einen Freudenhüpfer, weil sie es ihm dennoch zutraut.
„Das bezweifle ich stark, schließlich hat er mir klar und deutlich gemacht, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben sollten. Außerdem hat er mir erzählt, dass er mit dir letztens noch geschlafen hat und danach sah es auch ziemlich aus, als ihr den einen Abend später zusammen in den Club gekommen seid. Allgemein kannst du mir nicht sagen, dass er mit keiner mehr etwas hatte, wenn man euer Rumgemache bedenkt."
„Ach, das ist doch Bullshit! Nicht so, dass ich es nicht gern getan hätte, aber von Nik bekomme ich nur Abweisungen, da lief rein gar nichts. Warum er dir diese Lüge aufgetischt hat, ist ja wohl ganz klar: Er will dich loswerden, gerade weil er sich in dich verknallt hat. Ihm machen solche Gefühle ganz einfach Angst, weil er sich damit nicht auskennt und vermutlich ist auch wieder dieses ausgelutschte „Ich hab dich nicht verdient!" mit im Spiel", meint Sara mit herzzerreißender, melodramatischer Stimme, dabei kreisen meine Gedanken nur um einen Satz: Er hat nicht mit Sara geschlafen! Das könnte bedeuten, dass es mit Sandy genau das Gleiche ist, vielleicht lief gar nichts zwischen den beiden, zumal Sandy auch eines der Mädchen ist, die er sonst mit dem Arsch nicht angucken würde. Erneut macht sich ein Hoffnungsgefühl in mir breit, das ich nicht auskosten kann, in der Angst, wieder enttäuscht zu werden. Mir wurde heute schon einmal gezeigt, wie schnell es in die Brüche gehen kann.
„Und was das Rumgemache betrifft, ist doch in diesem Zusammenhang absolut durchschaubar. Er hat es mir zwar nicht direkt gesagt, aber es ist zu offensichtlich, dass er dich nur damit von sich stoßen wollte. Als du weg warst, war ich Luft für ihn." Noch mehr solcher Geständnisse würden mich emotional völlig überfordern. Es kann doch nicht alles das reinste Schauspiel gewesen sein, denn falls ja, sollte Nik seine Karrierepläne nochmals überdenken. Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll, ob ich dem allen überhaupt Vertrauen schenken darf. Umso klarer wird mir, dass ich Nik ganz dringend finden muss.
„Ich kann das gerade einfach nicht glauben. Das heißt wohl, dass ich wirklich sehr dringend mit ihm reden muss. Du weißt nicht zufällig, wo ich Nik finden kann?" Zunächst zweifle ich an, dass sie mir eine Antwort geben wird, allerdings scheint sie tatsächlich das Handtuch geworfen zu haben, sonst würde sie sich wohl kaum so verhalten, hoffe ich zumindest, denn im schlimmsten Fall kann das eine fiese Taktik sein, um mich loszuwerden und in Wahrheit sitzt Nik in seiner Wohnung. In manchen Situationen muss man einfach vertrauen, um wen es auch geht, sonst bleibt man in einer Sackgasse stecken.
„Ich vermute mal, dass er sich um diese Uhrzeit irgendwo in der Uni rumtreibt. Wenn er nicht an sein Handy geht, bedeutet das meist, dass er in einer Vorlesung sitzt oder lernt. Falls du dort nicht fündig wirst, dann sicherlich heute Abend im Club. Dann wünsche ich dir viel Glück. Je nachdem, wie es läuft, sieht man sich vielleicht wieder", verabschiedet sich Sara zwar immer noch ohne große Emotionen, wirkt mittlerweile aber schon gefasster als vorhin. Irgendwas an ihrem Ton sagt mir, dass sie die Wahrheit sagt.
„Ach, bevor ich es noch vergesse: Es tut mir leid", dreht sie sich nochmal schnell um und ist so schnell verschwunden, dass ich gar nichts mehr darauf erwidern kann. Selten habe ich ein Gespräch erlebt, das seltsamer und zugleich aufschlussreicher war. Sie muss stärker sein, als man annehmen würde, schließlich hat sie mir gerade dabei geholfen, aus mir und Nik vielleicht doch noch sowas wie ein Pärchen zu machen, was ich immer noch nicht in meiner Zukunft sehen kann. Wie konnte sie sich dazu durchringen, wenn es ihr jedes Mal das Herz zerreißen wird, wenn sie uns zusammen sähe?

Diabolic Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt