Kapitel 36

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„Du hättest es mir sagen können, das weißt du doch, oder?", frage ich Lucy, als wir am nächsten Tag auf einer Picknickdecke auf der Wiese im Park sitzen. Ich musste sie unbedingt sofort heute sehen, weil ich so dringend mit ihr über Max Beichte reden musste. Sie konnte kaum hallo sagen, da sind die Worte schon einfach aus mir herausgesprudelt, ohne dass ich was dagegen tun konnte. Ich habe von vorne bis hinten alles erzählt, kein Detail dabei ausgelassen und das in einer so hohen Geschwindigkeit, dass Lucy mich ab und an unterbrechen musste, weil sie gar nicht mehr mitkam. Ich fühle mich etwas besser, weil ich mir diesen ganzen verkorksten, seltsamen Abend von der Seele reden konnte. Einzig und allein meine Bettgeschichte mit Max konnte ich noch nicht über die Lippen bringen, zu sehr grusele ich mich vor meinem eigenen Verhalten. Lucy würde mich niemals für etwas verurteilen, was ich tue, aber sie wäre sehr besorgt um mich, weil ich mich immer stärker verändere und das macht ihr Angst. Als ich allerdings mit ihrem Verhältnis zu Max angefangen habe, sind ihre Gesichtszüge entglitten. Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass ich sie dafür verurteilen und anschreien werde. Das hätte ich vielleicht vor einem Jahr getan, aber weshalb sollte ich unsere Freundschaft wegen etwas zerstören, das schon so lange her ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann? Außerdem liebe ich Max nicht mehr, Lucy hingegen könnte ich niemals verlieren.
„Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, ob ich es tun sollte oder besser nicht und dann hatte ich doch zu viel Angst, du könntest sauer auf mich sein. Damals wärst du sicherlich sehr sauer gewesen. Außerdem hat mich Max darum gebeten, es dir nicht zu sagen. Ganz ehrlich, ich glaube, ihm war es einfach nur verdammt peinlich, was zwischen uns war und irgendwann haben wir es einfach vergessen. Ich bin nun wirklich nicht sein Typ, davon sollte keine Menschenseele erfahren. Ich wollte keine Geheimnisse vor dir haben und das ist auch die einzige Sache, von der ich dir nicht erzählt habe, aber verletzen wollte ich dich noch viel weniger", erklärt sie mir ihre Sicht der Dinge und ich merke an ihrem Ton, dass es ihr wirklich leid tut.
„Okay, ich gebe zu, es wäre komisch gewesen, zu wissen, dass meine beste Freundin und mein Freund eine Vergangenheit miteinander haben, aber das war alles, bevor ich mit Max zusammenkam, das ist völlig okay. Zumindest ist es jetzt für mich okay", versuche ich ihr, das schlechte Gewissen auszureden. Früher hätte ich vor Eifersucht bestimmt gekocht, trotzdem hätte ich die Beziehung zu Max nicht beendet, weil ich mir immer eingeredet habe, dass ich mit ihm zusammen sein muss, dass ich ihn brauche, um mehr wert zu sein. Aus der Sicht meiner Großmutter ist man ohne einen anständigen Mann an seiner Seite keine richtige Frau.
„Also bist du nicht böse auf mich oder eifersüchtig oder so? Du verzeihst mir?"
„Soll ich jetzt sauer auf dich sein, weil du mit jemandem geschlafen hast, mit dem ich erst anschließend eine Beziehung hatte und den ich gar nicht mehr liebe? Lucy, so schnell kann uns nichts auseinander bringen." Ich kann mich mit der Affäre von Max und Lucy nicht mal trösten und mir einreden, dass Max und ich jetzt quitt sind, da ich ihn betrogen habe, während er seine Affäre vor der Beziehung mit mir hatte.
„Aber du bist sauer auf Sara", rutscht es Lucy heraus und guckt gleich darauf so, als würde sie die Worte am liebsten wieder zurücknehmen. Unwillkürlich zucke ich zusammen, als ich Saras Namen höre und schon schießen mir wieder Bilder in den Kopf, wie ich ihr die Haare rausreiße. Oh ja, wie sauer ich auf sie bin, was vermutlich auf Gegenseitigkeit beruht.
„Das mit Sara ist aber etwas völlig anderes als bei dir. Nik hat mich eiskalt abserviert und sich lieber mit ihr vergnügt, das kannst du nicht miteinander vergleichen."
„Tut mir leid, falls du diese Frage gerade nicht hören willst, aber ich muss es endlich von dir hören. Bist du so richtig in Nik verliebt?"
„Ja, das bin ich", kommt die Antwort sofort, ohne dass ich überlegen muss, denn das ist mir mittlerweile glasklar. Nur Nik scheint das nicht so klar zu sein, schließlich hat er mir vorgeworfen, dass ich ihn nur ausnutze und im selben Moment gemeint, ich hätte mir nie Hoffnungen machen sollen. Ob er mir wirklich nicht angemerkt hat, wie tief ich mittlerweile für ihn empfinde?
„Das ist doch total widersprüchlich", meint Lucy daraufhin und regt sich erneut über sein Verhalten auf. Während ich ihr den ganzen Abend nochmal beschrieben habe, hat sie ständig irgendwelche Flüche bezüglich Nik ausgestoßen. Ich glaube, wenn sie ihm das nächste Mal über den Weg läuft, muss ich sie festhalten, damit sie nicht auf ihn losgeht.
„Der Kerl ist einfach so ein Idiot, der von Gefühlen wirklich keine Ahnung hat. Er hatte noch nie eine Beziehung, war noch nie verliebt. Ich schätze mal, dass daher seine Inkompetenz herrührt, nicht zu erkennen, wenn jemand wirklich etwas für ihn empfindet. Oder er stößt einen von sich, wenn er merkt, dass da Emotionen im Spiel sind, weil er Angst davor hat. Keine Ahnung, warum man sich sonst so dämlich verhalten sollte, aber das sind doch immer diese Klischees", vermutet Lucy. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man mit 23 Jahren noch nie verliebt oder verknallt war, das kann doch gar nicht möglich sein. Es gab seit der Grundschule eigentlich kein Jahr, in dem ich nicht für jemanden geschwärmt habe. Natürlich waren das nie tiefgründige Gefühle in dem noch sehr jungen Alter, aber irgendwas hat man doch immer empfunden. Nik kann Frauen doch nicht ausschließlich als Mittel zum Zweck für sein Vergnügen sehen.
„Weißt du, welche Vermutung Max hatte? Er denkt, dass Nik das alles deshalb getan hat, weil er der Meinung ist, dass ich meine Leben für ihn ruiniere und einfach nur Angst um mich hat. Das klingt doch dämlich, oder?", erzähle ich Lucy von dem einzigen Teil, den ich bei meinem Bericht ausgelassen habe, weil ich eigentlich nicht zu viel darin hinein interpretieren wollte, aus Angst, mir falsche Hoffnungen zu machen. Trotzdem lässt mich das einfach nicht los und ich will ihre Meinung dazu hören.
„Ich habe keine Ahnung. Nik ist einfach so verschlossen, so undurchschaubar, dass man einfach nicht die Chance bekommt, ihn zu verstehen, weil er das ganz einfach nicht will. Er hat eine richtige Schutzmauer um sich gebaut, als ob er Angst davor hat, verletzt zu werden. Doch über die Zeit, die ich ihn mittlerweile kenne, kann ich mir vorstellen, dass er wirklich denkt, dass du dir was im Leben kaputt machst. Du bist nicht gerade ein Mädchen, das seinem Beuteschema entspricht. Die anderen sehen immer eher so aus wie Sara und kommen aus einer ganz anderen Welt als du und vor allem suchen die sich meistens genauso nur einen Kerl für eine Nacht, wie er sich ein Mädchen für eine Nacht. Sara hatte da etwas Pech und mit dir war von vornherein alles anders", meint Lucy und verunsichert mich damit nur noch mehr. War es mit mir nur etwas anderes, weil ich so brav war? Warum ist er von seinem Beuteschema abgewichen? Warum muss das alles so kompliziert sein? Warum muss Nik alles so kompliziert machen, kann mir nicht einfach alles erklären? Nein, ausgerechnet er macht mir Vorwürfe und scheucht mich zurück in die Arme meines Exes. Für diesen Kerl bräuchte ich eine Anleitung.
„Das Beste, was ihr machen könntet, wäre miteinander zu reden. Wenn du auf all deine Fragen niemals Antworten kriegst, macht dich das noch wahnsinnig. Reden war schon immer die beste Möglichkeit zur Konfliktlösung, keine Ahnung, warum das nie jemand einsieht, sonst könnte man sich so einige Dramen sparen." Es entsteht Schweigen zwischen uns, weil ich Zeit zum Nachdenken brauche. Wenn es so einfach wäre, mit Nik zu reden, hätte ich das schon längst hinter mich gebracht, oder? Aber wann habe ich denn wirklich versucht, mit ihm über diese Probleme zu reden? Und wenn er mich angezickt hat, bin ich einfach davongerannt, anstatt mich ihm zu stellen. Vielleicht bin ich auch selber mit daran schuld, dass es so ist, wie es ist, weil ich meinen Mund nie aufbekommen habe und nicht nur, weil Nik so kalt geblieben ist. Ich habe kaum einen Versuch gestartet, seine Mauer mit Worten einzureißen.
„Du hast wahrscheinlich Recht, aber lass uns endlich über ein anderes Thema sprechen. Mir qualmt so der Kopf. Am Samstag bist du da, ja? Das wird sicherlich wieder tot langweilig und irgendjemand muss mich davon abhalten, mich nicht zu erschießen. Aber komm bloß nicht wieder auf die Idee, mich mit in einen Club zu nehmen", warne ich sie, denn noch mehr Aufregung kann ich in meinem Leben gerade nicht gebrauchen. Am Samstag feiere ich meinen 19. Geburtstag oder besser gesagt, meine Eltern feiern ihn. Nein, sogar feiern ist der falsche Begriff für dieses steife Zusammentreffen von Leuten, die mir nichts bedeuten. Es wird genauso wie beim letzten Mal ablaufen, es wird ein Haufen reicher oder bedeutender Leute anwesend sein, die ich kaum kenne, um das gute Image zu polieren. Dieses Mal werden sich meine Eltern ganz besonders Mühe dabei geben, denn schließlich hat die Trennung von Max ja so ein schlechtes Licht auf mich und die gesamte Familie geworfen. Ich fand es noch nie so albern wie dieses Jahr, sich so in sein gesellschaftliches Ansehen hineinzusteigern. Als ob in fünf Jahren jemand sagen würde: „Und wie geht es Victoria? Die hat sich doch vor fünf Jahren von diesem Max getrennt." Es wird niemanden mehr interessieren und dass kurz nach eine Trennung hier und da mal über einen geredet wird, ist doch auch ganz normal. In meinen Kreisen zerreißt man sich zwar noch stärker das Maul als irgendwo sonst, aber sogar das wird irgendwann vergehen. Man kann doch auch gar nicht sein ganzes Leben immer nur nach anderen ausrichten. Na gut, vielleicht haben meine Eltern einfach immer zu viel mit unserer Beziehung rumgeprahlt, wahrscheinlich hätten sie Max demnächst noch zu einem Antrag gezwungen und meinem Vater war die Beziehung zu seinen Eltern wahrscheinlich viel wichtiger als mir, schließlich hat er oft geschäftlich mit ihnen zu tun gehabt.
„Na klar bin ich dabei und keine Angst, diesmal bleibt auch alles so stinklangweilig, wie es sein soll. Kann ich Ben mitbringen? Das wird ihn zwar umhauen und er wird ziemlich schnell wieder gehen wollen, aber ich habe beschlossen, ihn langsam in mein Leben zu integrieren. Er macht so viel mit mir, ich kenne all seine Freunde und seine Familie, während ich ihn immer eher versteckt habe."
„Ja, na klar, dann sind es schon zwei, die nicht völlig ätzend sind. Es freut mich, dass es dir jetzt scheinbar wirklich sehr ernst mit Ben ist." Kurz überlege ich, ob ich nicht auch noch die anderen einladen sollte, aber zum einen würden sie es vermutlich genauso ätzend finden wie ich und Lucy und zum anderen würden meine Eltern anfangen, Fragen zu stellen, woher ich diese Leute kenne und warum ich ausgerechnet mit denen etwas zu tun haben muss. Die hätten sie wahrscheinlich gleich des Grundstücks verwiesen, das werden sie auch mit Ben versuchen. Ich will die Menschen, die ich mag, wirklich nicht verleugnen, aber ich will mich auch ungern an diesem Tag mit meinen Eltern streiten.

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