Kapitel 29

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„Wahnsinn, also echt Wahnsinn, dass er das für dich getan hat", staunt Tom, als wir zu dritt in meinem Zimmer sitzen, weil Lucy und Tom mit eigenen Augen sehen wollten, dass ich auch keine Märchen erzähle. Eigentlich sollte nur Lucy kommen, doch die hatte sich gerade mit Tom verabredet. Da der sowieso neugierig hoch zehn ist und es genauso liebt, Menschen über ihr Privatleben auszuquetschen, ist er mitgekommen. Besonders mein Privatleben ist jetzt für alle besonders interessant, solange es etwas mit Nik zu tun hat. Ich mag Tom, er gehört zu den Menschen, denen man einfach alles erzählen möchte und die immer ein offenes Ohr haben. Es war kein Problem, ihm von meinem und Niks „Date" zu berichten, schließlich hat er uns schon beim Knutschen auf einer Toilette erwischt. Tom erinnert mich sehr stark an Lucy, deshalb kommen die beiden vielleicht auch so gut miteinander aus.
„Ich kenne diesen Kerl nun schon eine ganze Weile und etwas, was dem irgendwie nahe kommt, hat er noch nie für eine Frau gemacht." Ich kann nichts dagegen tun, dass mein dummes, einfältiges, naives Herz jedes Mal einen erfreuten Sprung macht, wenn Tom sowas sagt und das tut er gerade sehr oft, weil er meine Geschichte kaum glauben kann. Ich muss mich dagegen wehren, mir einzubilden, dass Nik etwas für mich übrig hat, denn das läuft auf nichts Gutes hinaus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nik nicht auch zu anderen Mädchen auf diese Art nett ist, es mag bloß nicht ständig vorkommen. Dennoch ist der Gedanke, dass ich die Erste bin, für die er sowas Bedeutungsvolles besorgt hat, sehr verführerisch. Er würde sich nie binden und ich kann keine Beziehung mit jemandem führen, den meine Eltern sofort verstoßen würden. Das Leben ist mit einem Mal viel komplizierter, als ich es mir vorgestellt habe.
„Ich wusste gar nicht, dass er sich Frauen gegenüber nicht nur wie ein Arsch verhalten kann, allerdings muss es ja einen Grund geben, weshalb sie reihenweise mit ihm ins Bett gehen, manche sogar mehrmals", meint Lucy anerkennend, obwohl ihre Worte viel härter erscheinen. Damit holt sie mich und Tom wieder auf den Boden der Tatsachen zurück-ich bin bei Weitem nicht die einzige, mit der er im Bett gelandet ist. Sofort vertreibe ich die Bilder vor meinem geistigen Auge, damit ich nicht auf die Idee komme, eifersüchtig zu sein.
„Okay, genug davon, was macht ihr heute Abend? Ich habe keine Lust, alleine zu sein", nörgele ich rum, mit dem Hintergedanken, die beiden dazu zu überreden, mit mir auszugehen. Seitdem ich Nik kenne, ganz besonders seit wir uns näher kennen, fällt es mir schwer, die Abende allein in meinem Zimmer festzusitzen. Ich bin viel zu hibbelig, habe Tatendrang und natürlich das Bedürfnis, Nik so oft wie möglich zu sehen. Hoffentlich ist er heute Abend auch unterwegs, ansonsten kann ich nicht garantieren, dass ich nicht plötzlich vor seiner Haustür stehe. Das klingt ja beinahe, als jage ich Nik hinterher.
„Wir lassen uns mal wieder im Club blicken, dieses Mal sind wieder alle dabei. Ana und Josh habe ich schon ewig nicht mehr gesehen und Nik wird nebenbei bemerkt auch da sein. Nicht, dass es dich sonderlich interessiert", erwähnt Tom ganz nebenbei und zieht dabei grinsend die Augenbrauen hoch.
„Lässt mich vollkommen kalt", lüge ich sehr ungeschickt und kann mir ein verträumtes, vorfreudiges Lächeln nicht verkneifen. Ich wünschte, es wäre anders, aber diese Info bringt mich dazu, die Minuten zu zählen, bis wir uns losmachen. Seit vorgestern steht es noch viel schlimmer um mich, als zuvor. Nik hat es definitiv gekonnt geschafft, mich noch mehr um den Finger zu wickeln.
„Und wie geht es Max gerade?", wechselt Lucy wahrscheinlich bewusst das Thema, damit ich mich nicht zu sehr freuen kann. Sie hat ja Recht, noch bin ich mit ihm zusammen, das darf ich dabei nicht vergessen. Nicht, bis ich mich endlich irgendwann von ihm trennen kann. Jeder Gedanken an Nik ist eigentlich ein Schlag gegen Max.
„Wir schreiben jeden Tag", ist das Einzige, was ich zu ihr zu sagen habe. Das ist das Letzte, worüber ich nun tiefergehend sprechen möchte. Sie kann immer weniger gutheißen, was ich Max hier antue, obwohl sie anfangs nichts dagegen hatte, dass ich auf Nik stehe. Vermutlich hat sie nicht mit diesem Ausmaß gerechnet und meine Verknalltheit für etwas gehalten, das bald wieder vergeht. Max hat mich weder auf Nik angesprochen noch auf die Gitarre, was also bedeutet, dass Selina und David ihm nichts gesagt haben und ich hoffe, dass das so bleibt. Ich spiele weiterhin die Kranke, das ist mir erst nach meiner Lüge wieder eingefallen. Wenn ich dann putzmunter durch die Stadt spaziere, ist das doch äußerst verdächtig. Meine Eltern haben genauso wenig davon Wind bekommen, dass ich mit einer Gitarre nach Hause gekommen bin. Falls sie sie irgendwann zu Gesicht bekommen sollten oder hören, wie ich spiele, dann werde ich wenigstens in dem Punkt ehrlich sein. Meine „Gitarrenstunden" sind die perfekte Ausrede, um öfter außer Haus und vorzugsweise bei Nik zu sein. Wobei die Lügen weitergehen. Ich habe das Gefühl, mein Leben besteht aus nichts anderem mehr.
„Wann wollt ihr denn nachher da sein?", lenke ich lieber auf ein anderes Thema, bevor es wieder um Nik oder Max geht.
„Um neun, glaube ich. Gehen wir vorher noch etwas essen?", schlägt Tom vor und bei dem Wort essen sammelt sich sofort das Wasser in meinem Mund zusammen. Meine letzte Mahlzeit ist schon viel zu lange her, ich bin dementsprechend fast am Verhungern.
„Können wir Thailändisch essen gehen? Das hatte ich lange nicht mehr", bettle ich halb. Ich habe Phasen, in denen ich gar nicht essen will und welche, in denen ich nicht genug bekomme. Im Moment stecke ich in der zweiten, was belastender ist, als man denken mag. In unserem Kühlschrank gibt es nie so viel zu essen, erst Recht nicht das, worauf ich Lust habe. Bei uns kommt nichts, was in irgendeiner Weise ungesund ist, auf den Tisch, weil wir Frauen uns ja die Figur damit versauen könnten, zumindest ist das die Ansicht meiner Mutter. Was ist eine Frau schon ohne eine gertenschlanke Figur wert? Meine Mutter würde ich als dürr bezeichnen, wobei sie schon von Natur aus sehr, sehr dünn ist, ich dagegen habe die Kurven der Frauen aus der Familie meines Vaters geerbt, worauf ich stolz bin.
„Aber erst machst du dich noch fertig. In den Klamotten nehme ich dich nicht mit", meint Lucy klipp und klar und zeigt an mir herunter. Nun gut, meine Jogginghose und das schlabberige Shirt sind kein Outfit, mit dem ich ausgehen würde. Mir ist schon vor ein paar Minuten ein Outfit in den Kopf geschossen, in dem ich mich wohlfühle, das aber auch Niks Aufmerksamkeit auf mich lenkt, selbst wenn ich hoffe, dass dazu kein spezielles Outfit nötig ist.

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