Kapitel 38

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Ich kann mich nicht vom Fleck bewegen, so gern ich es auch täte, doch ich scheine in eine Art Schockstarre gefallen zu sein. Es war die ganze Zeit ein Albtraum, dass Nik auf meine Eltern trifft und jetzt passiert es doch tatsächlich, allerdings unter ganz anderen Umständen als unter denen, die ich mir in meinen naiven Tagträumen ausgemalt habe. Ich habe das Gefühl, in einem sehr verwirrenden Albtraum gefangen zu sein. Kneift mich mal bitte jemand? Aber nein, so oft ich meine Augen auch schließen mag, das Geschehen verändert sich nicht. Unser Wiedersehen habe ich mir ganz anders vorgestellt und ganz bestimmt nicht schon so bald. Um ehrlich zu sein, habe ich mir bisher gar kein Wiedersehen vorgestellt, da ich nicht geglaubt habe, dass es nochmal dazu kommen wird. Er steht nur wenige Meter von mir entfernt und doch erscheint er mir wie eine Fatamorgana. Mein Körper, mein Herz, mein Gehirn-alles ist gerade völlig überfordert, weil ich so überrumpelt wurde. Ich weiß nicht, ob das hier ein Zeichen sein soll, dass ich die Chance ergreifen soll, um mich mit ihm auszusprechen. Mein Körper würde sich am liebsten sofort in seine Richtung bewegen, die Anziehungskraft ist immer noch genauso stark wie vor ein paar Wochen. Mein Gehirn holt mich jedoch wieder in die Realität zurück, bevor ich auf die Idee kommen kann, mich auf Nik zu stürzen.
Und dann passiert das Unvermeidliche: Niks Augen kunden seine Umgebung aus, bis sein Blick an mir hängen bleibt. Natürlich muss ich mich gleich in diesem Blick verfangen und schaffe es somit noch weniger, mich wegzubewegen, obwohl mir immer mehr danach ist. Ich spüre, wie mein Herz von Sekunde zu Sekunde schneller schlägt-oder handelt es sich um Minuten? -während sich meine Atmung hastig beschleunigt. Muss er dabei so unfassbar gut aussehen? Ich hätte es nie erwartet, doch sein schwarzes Hemd sieht wahnsinnig heiß an ihm aus. Wie gerne würde ich die Tattoos nachverfolgen, die leicht hervorgucken und sich dann unter seiner Kleidung verstecken. Oh Gott, reißt euch zusammen, Hormone! Ich halte das nicht aus, wenn ich hier stehen bleibe, bekomme ich bald gar keine Luft mehr. Ich weiß nicht, was diesen Moment für mich so unerträglich macht, ob es der Schock ist, dass er bei mir zu Hause auftaucht ohne Vorwarnung, bei meinen Eltern oder die Intensität und Intimität, die in diesem Blick gesteckt hat und damit all die positiven wie negativen Erinnerungen an ihn, die dabei heraufbeschworen werden. Was es auch ist, endlich setzen sich meine Beine in Bewegung und sprinten förmlich in den Garten.
Hastig sehe ich mich nach Lucy um und werde noch verrückter, weil ich sie in meiner Eile nirgends entdecken kann.
„Alles klar? Du bist puterrot im Gesicht", spricht mich Lucy an, die direkt vor mir steht, ohne dass ich es mitbekommen habe. Jetzt, wo sie es anspricht, bemerke ich, wie sehr ich glühe. Gut möglich, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten habe. Ich gehe fast ein vor Hitze und benötige dringend etwas zu trinken.

„Er ist hier, oh Gott verdammte Scheiße, er ist hier!", flüstere ich hysterisch mit aller Mühe, nicht zu kreischen wie eine Irre, die gerade einen Mord mit eigenen Augen angesehen hat.
„Wer ist hier? Beruhig dich erstmal, du stehst ja kurz vor einer Panikattacke", sagt sie im gleichen Moment, in dem sie mir ihr noch unangerührtes Sektglas überreicht, welches ich dankbar in einem Zug leere. Zum einen habe ich großen Durst, zum anderen hoffe ich darauf, dass mich der Alkohol in der Lage ist, mich zu beruhigen. Wenn das jetzt jemand gesehen hat, hält man mich noch für eine Säuferin, doch ich habe gerade ein wesentlich größeres Problem.
„Nik, er ist plötzlich aufgetaucht mit seinen Eltern. Was macht er hier, verdammt? Was soll ich denn jetzt tun? Ich bin völlig überfordert mit der Situation", versuche ich es ihr irgendwie zu erklären, obwohl es meinem Hirn erschreckend schwer fällt, ordentliche Sätze zu bilden.
„Nicht dein Ernst, oder? Na mit dem habe ich nun wirklich nicht hier gerechnet, aber damit wirst du doch wohl fertig. Dann ist er eben hier, er wird deinen Eltern allerdings wohl kaum sagen, was zwischen euch passiert ist. Ihr tut einfach so, als wärt ihr euch fremd und lernt euch gerade erst kennen und ansonsten zeigst du ihm die kalte Schulter, tust am besten so, als wäre er gar nicht hier. Wenn du dich heute deiner Mutter und deiner Oma widersetzen konntest, dann ja wohl erst recht ihm. Zum Glück habe ich dich dazu überreden können, deine Garderobe noch einmal zu überdenken, dann sieht er wenigstens noch einmal, was ihm eigentlich entgeht."
„Weißt du, wie hilflos ich gerade vor ihm stand? Ich konnte mich kaum bewegen, wie soll ich es da hinkriegen, anderen überzeugend etwas vorzumachen? Oder noch schlimmer: Wie soll ich ihm die Coole vorspielen, wenn ich jetzt schon so überdreht bin?", bin dich nur wenig beeindruckt von ihren eigentlich logisch klingenden Worten. Gerade noch hatte sich der Triumph über mein neues Selbstbewusstsein in mir breit gemacht und innerhalb einer Sekunde war alles dahin und ich traue mir nicht mal das Einfachste zu. Einen Vorteil hatte Max auf alle Fälle: Er hat niemals solch ein Chaos in mir angerichtet.
„Das war nur der erste Schock, jetzt wird alles besser, glaub mir. Sobald du wieder runtergekommen bist und das verarbeitet hast, kannst du ihm auch stolz vor die Augen treten. Du hast mehr Feuer im Hintern, als du denkst", stärkt mich Lucy mit wachsendem Erfolg. Es ist wirklich an der Zeit, endlich mal mein Temperament rauszulassen, ich weiß schließlich, dass es vorhanden ist.
„Vorher brauche ich dringend noch ein oder zwei Gläschen Sekt."
„Na das klingt doch schon viel besser!", freut sich Lucy und hakt sich bei mir unter, bevor wir uns auf die Suche nach etwas zu trinken machen.

Diabolic Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt