Ich lasse ein oberflächliches Gespräch nach dem nächsten über mich ergehen. Irgendwelche Paare jeglichen Alters, die so tun, als wären sie wahnsinnig an mir interessiert und ein nettes Lächeln bei mir lassen, denen ich den gleichen Gefallen tue, ohne dass es mir allzu schlimm vorkommt, allen von vorne bis hinten etwas vorzumachen, schließlich kriege ich von jedem hier Geschenke. Zu etwas Dankbarkeit kann ich mich immerhin auch durchringen. Es sind wenigstens einige Leute aus meiner Jahrgangsstufe erschienen, doch selbst mit denen ist es nicht sonderlich einfach, sich zu amüsieren. Das mag zum einen daran liegen, dass die Party an sich total lahm ist, zum anderen stimmt die Chemie zwischen uns nicht mal annähernd so wie zwischen mir und Lucy. Das Einzige, was mir bleibt, ist ein Glas nach dem anderen zu leeren, was keine großartige Wirkung erzielt, da es sich nur um Hugo und nicht mal um richtigen Sekt handelt. Es ist nicht so, dass es hier nichts anderes zu trinken gibt, jedoch scheint das den Männern vorbehalten zu sein. Vielleicht ist das auch besser so, schließlich will ich nicht zu betrunken werden und auf eine Weise auffallen, wegen der ich mich am nächsten Tag am liebsten vergraben würde.
Ich puhle mir gerade hoch konzentriert Essensrester von den Häppchen, die es hier wie Sand am Meer gibt, aus den Zähnen, als ich schon wieder von hinten angesprochen werde. Erschrocken drehe ich mich um und nehme leider etwas zu spät den Finger aus dem Mund. Seit wann bin ich denn so ein Trampel? Wenn ich dachte, das sei das Schlimmste an der Situation, dann habe ich mich gewaltig getäuscht. Vor mir steht nicht nur mein Vater, sondern auch der Grund, weshalb dieser Tag noch viel schlimmer ist, als in meiner Erwartung, inklusive seiner Eltern.
„Darf ich dir den Generalstaatsanwalt vorstellen, Victoria? Das ist Björn Johansson, wir haben damals zusammen studiert", stellt mich mein Vater diesem Mann im unpassendsten Moment vor, von dem ich gar nicht glauben kann, dass er tatsächlich Niks Vater sein soll. Bis auf die bleiche Haut und das blonde Haar haben die beiden wenig gemeinsam. Okay, nein, das stimmt eigentlich gar nicht, sie sehen sich gerade besonders ähnlich, Nik sieht nur aus wie der Badboy schlechthin, während sein Vater wie der perfekte Geschäftsmann erscheint. Bei diesem Vater ist es wirklich kein Wunder, dass Nik so gut aussieht. Und wie gut, ich könnte schon wieder Stunden damit zubringen, ihn anzustarren. Dieses Hemd lässt ihn zwar noch ernster wirken, als er sonst schon aussieht, gleichzeitig verleiht es ihm noch mehr Autorität, die mich weiche Knie bekommen lässt. Kann er nicht einmal scheiße oder albern aussehen, oder ist das vollkommen unmöglich? Ich könnte gerade nicht froher darüber sein, meine Nonnenkluft gegen dieses Kleid eingetauscht zu haben, sonst würde ich neben ihm wie eine Witzfigur aussehen.
„Und das ist seine Frau Sophie, Chefärztin der Gynäkologie", werde ich nun auch mit seiner Mutter bekannt gemacht. Zu meiner Überraschung geben mir beide die Hand, obwohl die eben noch zur Hälfte in meinem Mund gesteckt hat, doch ihre freundlichen Gesichter scheinen deshalb nicht schlecht über mich zu urteilen. Ich würde fast behaupten, ihr Lächeln wäre echt, doch zu viel Vertrauen habe ich in den Schein nicht. Ich weiß, wie gut manche Leute darin sind, wirklich jedes Gefühl vorzutäuschen. Sophie passt perfekt in das Bild der Familie mit ihren blonden Haaren und dem hellsten Teint, den ich je gesehen habe, auch wenn sie völlig andere, viel weichere Gesichtszüge als die Männer besitzt. Ich habe mir oft vorgestellt, wie seine Eltern wohl aussehen, doch nicht einmal habe ich erwartet, dass ich sie tatsächlich zu Gesicht bekomme. In meiner Fantasie waren sie tätowiert und gepierct, eine Art Biker-Pärchen, wie es im Buche steht, manchmal waren sie auch eine sehr sanfte Version von Goths. Man kann sich meine Überwältigung vorstellen, vor allem, als seine Mutter mich umarmt und mir herzlichst zum Geburtstag gratuliert. Kurz bekomme ich Angst, dass Nik seinen Eltern vielleicht etwas von uns erzählt hat, doch schnell stelle ich fest, wie schwachsinnig dieser Gedanke ist und sehe ein, dass diese Frau im Gegensatz zu meiner Mutter einfach nur sehr nett ist. Was war wohl Niks erster Eindruck, als er auf meine Eltern getroffen ist? Und was mögen sie von ihm halten? Oder seine Eltern von mir? So viele Fragen, deren Antworten ich nur zu gern erfahren würde und die dennoch keinerlei Bedeutung haben. Mir ist nie bekannt gewesen, dass unsere Väter miteinander befreundet sind.
„Ich habe gehört, Sie fangen an, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Eine sehr gute Entscheidung, mit Jura können Sie nichts falsch machen, insofern sie einen Funken Interesse dafür verspüren, aber wie kann man sich nicht für das Recht interessieren?", lacht Björn und legt seine Hand auf Niks Rücken.
„Unser Junge hier, Nikolaus, hat sich hingegen entschieden, seine Mutter nachzuahmen und Medizin zu studieren, allerdings sehe ich ihn eher in der Chirurgie als in der Gynäkologie."
Ich kann nicht anders, schon als er Niks, ich meine Nikolaus vollständigen Namen nennt, entflieht mir ein Lachen, das einfach nicht zu unterdrücken geht. Wie gern würde ich ihn jetzt damit aufziehen, denn dieser Name ist der letzte, der zu ihm passen würde. Hinzu kommt die Vorstellung, wie der mürrische Nikolaus genervt Babys zur Welt bringt und nicht zu vergessen der Alkohol, der es mir nicht leicht macht, mich wieder zusammenzureißen. Hugo lässt mich eindeutig albern werden, wenn schon nicht betrunken.
„So ein Zufall und ich kann ihn mir vom ersten Eindruck her auch besser in der Chirurgie vorstellen", versuche ich verlegen, meine kleine Panne zu überspielen, in der Hoffnung, nicht wie eine Verrückte rüberzukommen.
„Dann haben Sie ein wirklich gutes Auge, was nicht von Nachteil bei einer Juristin ist. Wir werden uns sicherlich bei der Staatsanwaltschaft begegnen, wenn Sie ein Praktikum dort absolvieren. Vielleicht wird das ja mal ihr Arbeitsplatz, ist bestimmt spannender, als für immer in der Uni hängen zu bleiben", zwinkert Björn meinem Vater freundschaftlich zu und ich beschließe, dass ich diesen Mann mag, genauso wie seine Frau. Es gibt einfach Menschen, die man auf Anhieb mag, die einfach Charisma haben, dazu gehört auch Tom, mit dem ich mich von Beginn an super verstanden habe. Und dann gibt es Menschen, die alles andere als freundlich wirken und trotzdem so fesselnd sind, dass du gar nicht anders kannst, als dich in sie zu verlieben, aus unbeschreiblichen Gründen, obwohl es sicherlich selbst dafür irgendwelche wissenschaftlichen Erklärungen gibt. Ich muss feststellen, dass Nik seinen Charakter auf keinen Fall von seinen Eltern geerbt hat, im Gegensatz zu ihnen kann er nicht mal jetzt ein Lächeln aufsetzen. Gut, mir ist in seiner Nähe auch nicht sonderlich nach lächeln zu Mute, allerdings scheine ich eine bessere Schauspielerin zu sein, als ich dachte oder aber seine Eltern bringen mich unerwartet doch zum Lachen.
„Da kam ich wohl dem Ehrgeiz dazwischen, als ich auf die Welt kam", scherze ich und scheine damit bei Niks Eltern zu punkten. Nicht, dass es mir wichtig wäre, bei ihnen einen guten Eindruck zu machen.
„Den Sinn für Humor konnten wir unserem Sohn leider nicht weitervererben." Oh, wie recht er da hat. „Vielleicht kannst du-ich darf doch du sagen, oder?- noch ein Wunder vollbringen. Wir werden uns mal umschauen, wo es diese gut riechenden Häppchen gibt", verabschiedet sich Sophie und gibt Nik dabei den leichten Hinweis, dass er bei mir bleiben soll. Erst, als sie verschwunden sind, realisiere ich, was hier eigentlich passiert ist. Ich bin allein mit Nik, dabei habe ich mich immerhin damit beruhigen können, dass wir kein Wort miteinander wechseln müssen, als ich vorhin auf ihn getroffen bin.
„Wie geht's?"
Wie geht's? Das ist alles, was er mir zu sagen hat? Nach unserem letzten Gespräch, das nicht gerade positiv ausgegangen ist, kommt er an meinem Geburtstag unangekündigt zu mir nach Hause und fragt mich, wie es mir geht?
„Super natürlich, ich habe schließlich Geburtstag. Wer kann sich da schon beklagen?", bemühe ich mich, so gleichgültig wie möglich zu klingen. Zwar sehe ich mit aller Kraft in eine andere Richtung, dennoch entgeht mir nicht die Überraschung, die sich in seinem Gesicht erkennbar macht.
„Das freut mich zu hören. Du siehst gut aus." Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Nik überhaupt versucht, Konversation zu betreiben, doch als ich heraushöre, dass auch ein Hauch Verlegenheit in seiner Stimme mitschwingt, sind es langsam zu viele Überraschungen auf einmal.
„Du bist der Letzte, von dem ich ein Kompliment brauche", gebe ich taff zurück und nutze es aus, dass die kleine Chance besteht, dass er vielleicht verletzlich ist oder die Verlegenheit rührt daher, dass er nicht weiß, wie er mir jetzt am besten noch eine Abfuhr erteilt, was wahrscheinlicher ist.
„Das glaube ich dir, mir würde es vermutlich auch so gehen, nachdem, wie ich beim letzten Mal mit dir geredet habe", lässt sich Nik nicht aus der Bahn werfen, denn seine Stimme klingt wieder wesentlich bestimmter, kälter.
„Ich habe nun wirklich keine Lust, dieses Thema ausgerechnet heute nochmal aufzurollen und schon gar nicht hier zwischen all diesen Leuten, also lass mich bitte in Frieden. Es schien ja alles gesagt zu sein." Damit will ich eigentlich einen galanten Abgang machen und versuche, mich nicht von seinen darauffolgenden Worten verunsichern zu lassen, von wegen, wir sollten die Sache nochmal richtig klären. Nein, danke du Arsch, ich werde mir nicht noch mehr Beleidigungen von dir anhören. Doch da höre ich, wie die Stimme meiner Großmutter meinen Namen durch die Gegend ruft. Anscheinend ist die Hexe auf der Suche nach mir, wohingegen ich darauf verzichten kann, auf sie zu treffen, vor allem in der Gegenwart von Nik. Zum einen möchte ich nicht, dass er merkt, dass sie eine meiner Schwächen ist und zum anderen ist es eine Sache, wenn mein Vater nichts gegen unsere Unterhaltung einzuwenden hat, doch meine Großmutter ist da ein ganz anderes Kaliber. Ich glaube allerdings kaum, dass ich verbergen kann, wie wenig ich Oma leiden kann, egal was ich jetzt tue. Panisch sehe ich mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, da scheint mir das Haus am passendsten. So unauffällig es nur geht, stürze ich darauf zu, bevor meine Großmutter mich entdecken kann und vernehme ein „Warte!" von Nik, ohne dem viel Beachtung zu schenken. Im Haus überlege ich fieberhaft weiter, aber hier wird sie auch suchen, wenn sie etwas von mir will und ohne die vielen Leute, die sich im Gegensatz zum Garten hier drin nicht befinden, dürfte ich mir eine ordentliche Standpauke anhören. Mein Wandschrank, kommt es mir blitzartig in den Kopf und in Windeseile bin ich in meinem Zimmer angekommen, allerdings nicht allein, wie ich erwartet habe. Ich habe in meiner Panik gar nicht vernommen, dass Nik mir gefolgt ist, jedoch bleibt mir nichts anderes übrig, als Nik mit mir in den Schrank zu ziehen, als das Rufen auch im Haus ertönt. Kaum vorzustellen, wie sie reagiert, wenn sie mich mit Nik zusammen in meinem Zimmer entdeckt.
„Was zur Hölle soll das hier werden?", flüstert Nik automatisch, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Wofür ich allerdings weniger dankbar bin, ist die Enge in diesem Schrank und dementsprechend stark ist die Nähe zu ihm. Oh ja, viel zu nah, so nah, dass sich unsere Oberkörper schon berühren. Heiliger Strohsack, das darf nicht wahr sein, dass ich bei der Flucht vor meiner Großmutter erotische Fantasien mit Nik in einem Wandschrank kriege, obwohl ich beschlossen hatte, ihn zu hassen.
„Das erkläre ich dir vielleicht später, wenn sie die Suche aufgegeben hat", flüstere ich zurück, nachdem ich ein paar Mal tief Luft geholt habe. Viel zu nah und viel zu viele Schmetterlinge. Er muss mich für bescheuert halten, weil ich einfach so aus heiterem Himmel weggerannt bin und ihn dann mit in meinen Schrank gezerrt habe. Hoffentlich denkt er nicht, dass ich ihm hier drin an die Wäsche will.
„Okay", ist seine einzige Antwort, doch ich bin erstaunt über die Art, wie er es sagt. Es gleicht eher einem Hauchen und trotz der Dunkelheit spüre ich seinen intensiven Blick auf mir, der mich von oben bis unten ganz genau inspiziert. Jeder Zentimeter meines Körpers wird von kribbelnder Gänsehaut übersäht. Ich muss an all die Zärtlichkeiten denken, die wir miteinander ausgetauscht haben und sehne mich plötzlich so sehr danach, sie zu wiederholen, dass ich den Abstand zwischen uns unerträglich finde. Ich weiß nicht, ob er es ist, der sich mir nähert oder ob ich mich nicht unter Kontrolle habe, doch mit einem Mal passiert das, womit ich am wenigsten heute gerechnet habe. Wir küssen uns und das in meinem verfluchten Wandschrank.

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