Ich kann meine Gitarre seit Tagen nicht mehr anrühren. Ich dachte, es wäre kein Problem für mich, doch da habe ich mich leider erneut überschätzt. Selbst sie erinnert mich nur an ihn und es gibt erschreckend viele Dinge, die ich mit Nik verbinde. Wir waren nicht mal zusammen, wie kann das also sein? Und wie kann es sein, dass ich mit ihm viel mehr verbinde als mit Max? Wenn das nicht einiges über unsere langweilige Beziehung aussagt.
Nach zwei Wochen kann ich mich endlich dazu durchringen, die Gitarre wieder in die Hände zu nehmen, da es mir mittlerweile ziemlich in den Fingern juckt. Meine Lust und Motivation zum Spielen ist gerade erst wieder an die Oberfläche gekrochen, das kann nicht schon vorbei sein. Ich kann mir doch nicht wochenlang mein Leben von einem Kerl versauen lassen, den ich wahrscheinlich einen Scheiß interessiere. Ich habe mir eine Gitarrentasche gekauft, allerdings nicht in dem Laden, aus dem ich auch die Gitarre habe, dazu konnte ich mich nicht durchringen, lieber bin ich ein paar Kilometer weiter gefahren. Mit Tasche und Gitarre bewaffnet mache ich mich aus dem Haus, als meine Eltern auf Arbeit sind und fühle mich dabei wie ein neuer Mensch. Meine Haare haben eine ganz andere Person aus mir gemacht und ich liebe, liebe es! Die braven Kleidchen und Blusen rühre ich so wenig wie möglich an, da ich das Gefühl habe, dass sie mir die Luft zum Atmen nehmen, stattdessen war ich lieber shoppen. Den knielangen Rock habe ich gegen Hotpants eingetauscht und die Bluse gegen ein bauchfreies Top, denn bei dieser Hitze will ich wirklich nicht mehr Stoff als nötig an mir tragen. Dieser Sommer ist aber auch heiß.
Ich fahre mit meinem Fahrrad, das ich schon lange nicht mehr von unserem Grundstück bewegt habe, bis zum Park in der Stadt. Mir tut es in letzter Zeit gut, draußen zu sein und das schöne Wetter zu genießen. Liebeskummer macht viel mit einem, aber nicht alles daran ist schlecht, musste ich feststellen. Wenigstens habe ich endlich eingesehen, dass ich einiges in meinem Leben ändern muss, um glücklich zu werden. Ich muss mich ablenken, aber dabei fallen mir immer mehr Dinge auf, die mir gefallen, Spaß machen und genauso merke ich, dass manches, was schon Gewohnheit geworden ist, mir richtig auf den Keks geht, wie eben auch meine Garderobe. Vielleicht ist das hier meine verspätete Selbstfindungsphase, die die meisten in der Pubertät durchmachen. Meine Mutter kriegt zwar immer noch einen Kollaps, wenn sie mich sehen, aber es wird von Mal zu Mal besser oder besser gesagt ignoriert mich meine Mutter, was mir tausendmal lieber ist als ihre ständigen Vorwürfe. Ich kann mir nicht erklären, warum sie sich so schwer damit tut, obwohl ich doch nichts verbrochen habe, aber manche Menschen sind halt einfach so wie sie sind, ohne dass es einen genaueren Grund gibt, außer dass sie so erzogen wurden. Wenn ich so an meine Großmutter denke, die hätte ihre Tochter wahrscheinlich verbannt, wäre sie so nach Hause gekommen. Dagegen ist meine Mutter ja fast liberal. Ich kann nur hoffen, dass ich Oma nicht allzu bald wiedersehen muss.
Im Park angekommen, der wie immer menschenleer ist, suche ich mir eine Bank, die etwas versteckter ist, wo mich nicht gleich jeder mitbekommt und lade meine Sachen ab. Es ist ein komisches, anfangs unbehagliches Gefühl, in der Öffentlichkeit zu singen und ein Instrument zu spielen, aber als ich letztens jemanden an genau dieser Stelle beobachtet habe, der mich auf diese Idee gebracht hat, bekam ich mit, dass es sonst keine Menschenseele interessiert hat, außer mich, schließlich traut sich bei der Hitze kaum jemand raus und dieser Park ist nicht gerade ein Hotspot für viele, warum auch immer. Also traue ich mich nun auch, schließlich macht das viel mehr Spaß als in meinem Zimmer, wo nebenan meine gereizte Mutter sitzt. Ich glaube, für den Moment habe ich sie erstmal genügend provoziert.
Ich spiele weiterhin am liebsten irische Lieder und habe festgestellt, dass meine Stimme bei dieser Musik am besten klingt. Zwar bin ich nicht die größte Sängerin, aber für die eigene Unterhaltung reicht es aus und ich gehe immerhin keinem auf die Nerven. Ich kann es nicht erklären, aber wenn ich einmal mit einem Lied anfange, dann fühle ich mich, als wäre ich ganz woanders. Dann ist alles vergessen, nichts ist mehr real, es gibt nichts Wichtigeres als die Musik und genau deshalb bin ich unendlich erleichtert, als ich endlich wieder spiele. Endlich kann ich Nik mal wieder vergessen, auch wenn ich mir manchmal vorstelle, wie wohl seine Geige zur Begleitung klingen möge, doch es gelingt mir ganz gut, mich wieder zu konzentrieren, sodass ich nicht an ihn denken muss. Es wie eine Art Therapie, die mir immer besser gelingt und es macht mich stolz, einen Fortschritt zu bemerken. Gerade bin ich in „Galway Shawl" versunken, da merke ich, dass ich beobachtet werde und unterbreche mich sofort erschrocken. Hier sind sonst nie Menschen.
„Das war schön. Tut mir leid, dass ich dich unterbrochen habe", entschuldigt sich Tom bei mir, der mir sogar applaudiert hat. Die Röte weicht wieder aus meinem Gesicht, da mir Tom vertraut ist und mir das vor ihm in keinster Weise peinlich sein muss. Das müsste es mir eigentlich vor niemandem. Könnte meine Mutter sehen, was ich hier tue, würde sie für mich im Boden vor Scham versinken.
„Wow, dich habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen", freue ich mich und umarme ihn ehrlich erfreut über unser Wiedersehen. Er ist zwar Niks Freund, aber was macht das schon, wenn ich ihn gut leiden kann?
„Was ist mit dir passiert?", lacht Tom, jedoch nicht auf eine herablassende Art, sondern wirkt es vielmehr so, als würde er bewundern, was er da sieht. Ich bringe einen kleinen Abstand zwischen uns, damit er mich von oben bis unten betrachten kann und drehe mich stolz im Kreis, damit er meine Haarpracht bewundern kann. Meine Braids habe ich heute oben zu einem Dutt zusammengebunden, den Rest trage ich aber offen.
„Du siehst so verändert aus, aber das steht dir extrem gut. Du siehst so frisch aus, wie kommt das?" Ich freue mich, dass es ihm gefällt, dass es scheinbar keine völlig dämliche, überstürzte Idee war und nicht total albern an mir aussieht. Ich scheine außerdem nicht die einzige zu sein, die bemerkt hat, wie vorteilhaft diese Veränderung für mich war.
„Ich brauchte nach 18 Jahren einfach mal einen Tapetenwechsel, ich konnte mich so stinklangweilig echt nicht mehr sehen", meine ich und es stimmt ja auch, doch dass der Hauptgrund Nik war, muss ich jetzt nicht anschneiden. Nur weil ich das nicht tue, heißt das allerdings nicht, dass Tom nicht von sich aus neugierig wird. Er weiß ja nur zu gut, dass zwischen mir und Nik was lief und dass ich mich nicht mehr blicken lassen sollte ebenfalls jeder mitbekommen haben.
„Stinklangweilig sahst du nie aus, sonst würde sich Nik bestimmt nicht so für dich interessieren, zumindest nicht so stark. Apropos, dich haben wir schon eine Weile nicht mehr bei uns gesehen, warum eigentlich? Gibt es irgendwelche Probleme?" Sein Ton lässt mich vermuten, dass er eine Ahnung hat, was zwischen uns vorgefallen ist. Man müsste schon sehr ignorant oder dämlich sein, um sich das nicht zusammenreimen zu können. Ob er wohl Nik schon darauf angesprochen hat? Nein, es kann mir völlig egal sein, was mit Nik ist.
„Sagen wir mal so, ich bin gerade nicht sonderlich scharf darauf, Nik zu sehen", erkläre ich kurz und knapp.
„Ich habe ja mitgekriegt, dass du beim letzten Mal nicht sehr erfreut über das warst, was zwischen Sara und Nik gelaufen ist. Das war auch echt nicht cool von den beiden, so eine Szene zu machen, was normalerweise auch nicht unbedingt Niks Art ist, aber binden kann man ihn wohl sowieso schlecht an sich. Trotzdem finde ich es sehr schade, dass du dich von ihm so leicht vertreiben lässt. Also klar, auf den hätte ich auch geschissen, aber deshalb musst du den Rest von uns ja nicht auch gleich vergessen", erklärt Tom geknickt, setzt dennoch ein leichtes Lächeln auf, sodass mir mein Verhalten fast leidtut.
„Das wollte ich auch nicht, aber du kannst bestimmt verstehen, dass es nicht so einfach ist, ihn wiederzusehen. Als ich gehen wollte, haben wir nochmal kurz miteinander gesprochen und das war alles andere als angenehm. Vielleicht klappt es ja irgendwann mal wieder, wenn ich vollkommen über ihn hinweg bin, dafür brauche ich erstmal ein wenig Zeit für mich. Ich schätze allerdings, dass ich bald wieder bereit für ein Treffen bin."
„Wäre es nicht auch cool von dir, wenn du ihm zeigen würdest, dass er dir völlig egal ist und du deshalb ohne Probleme in seiner Nähe sein kannst? Und dein neues Auftreten musst du ihm auch ganz dringend unter die Nase reiben, dann bereut er ganz schnell, dass er dich hat gehen lassen. Ich kann dich natürlich durch und durch verstehen und würde so einen Mistkerl auch erstmal für eine Weile nicht sehen wollen, aber wenn du ihm und Sara so richtig eins reinwürgen willst, dann beweist du ihnen ganz einfach, dass sie dir nichts anhaben können und du über den Dingen stehst. Ich würde nur zu gern ihre ungläubigen Gesichtsausdrücke sehen, wenn du ihnen vor die Augen trittst", lacht Tom und ich finde die Vorstellung nur zu verlockend. Und wie cool das von mir wäre. Wenn ich ihm schon keins damit reinwürgen kann, dass ich mit einem anderen Typen knutsche, dann vielleicht wenigstens dadurch, wenn ich ihm fast ins Gesicht schreie, wie egal er mir ist und dass es mir ohne ihn hervorragend geht. Das muss sein Ego einfach ankratzen, sonst stimmt irgendwas nicht mit ihm.
„Das ist schon eine gute Idee, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Wann seid ihr denn das nächste Mal im Club?"
„Freitag, solange kannst du es dir nochmal durch den Kopf gehen lassen und mir dann Bescheid sagen, wenn du dich entschieden hast, okay? Ich stehe dir immer als Unterstützung zur Seite", schlägt mir Tom vor, womit ich absolut einverstanden bin. Mir bleiben noch zwei Tage, um mich dazu durchzuringen, doch mit meiner neu entdeckten Motivation, nach vorn zu blicken, wird es höchst wahrscheinlich dazu kommen, dass ich zusage. Ich habe keine Lust, mich weiterhin zu verkriechen.
„Sag mal, was ist eigentlich noch passiert, nachdem ich weg war?", traue ich mich endlich, die Frage zu stellen, wozu ich mich bei Lucy nie durchringen konnte, weil ich nichts darüber hören wollte.
„Sie haben weitergemacht, nur nicht mehr ganz so expressiv wie zuvor. Ich bin aber vor ihnen gegangen, also kann ich dir nicht sagen, ob sie zusammen gegangen sind", beantwortet mir Tom sogar noch die Frage, die ich mir schon als nächstes gedacht habe. Es war wohl zu offensichtlich, worauf ich hinaus wollte und ich weiß nicht, ob ich es ganz gut finde, dass ich nicht weiß, ob sie die Nacht miteinander verbrachten haben oder nicht, denn ohne die Wahrheit zu kennen, mache ich mir doch weiter Gedanken darüber. Doch wer weiß, mit wem Nik alles geschlafen hat, als wir noch ein Verhältnis hatten. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, aber wir waren ja sowieso nie ein Paar. So weh es auch tut, doch ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass wir einander keine Verpflichtungen hatten.
„Mach dich nicht zu verrückt wegen ihm. Ich kann Nik zwar trotzdem gut leiden, aber in diesem Fall ist er es nicht wert, sich den Kopf über ihn zu zerbrechen. Nik war ganz bestimmt nicht der letzte attraktive Typ in deinem Leben", versucht mich Tom aufzumuntern und ich versuche mir zu Herzen zu nehmen, was er sagt.
„Ist das eigentlich neu?", wechsle ich das Thema, als mir sein Nasenring auffällt. Bisher kannte ich nur seine Augenbrauenpiercings.
„Ja, ich wollte auch mal wieder ein bisschen was verändern, was aber nicht gleich zu viel ist. Gefällt es dir?"
„Ich bin ja nicht der größte Fan von Piercings, aber ich muss gestehen, dass das echt cool an dir aussieht." Ob mir das wohl auch stehen würde? Okay, ein Piercing wäre wohl doch etwas zu krass für mich, oder? Und selbst wenn nicht, muss ich es nicht gleich übertreiben und kann meinen Imagewechsel langsam angehen. Helix und einen Nasenring würde ich mir vielleicht wirklich mal stechen lassen, aber warten wir es ab, ich muss ja nicht gleich die totale Rebellin raushängen lassen.
„Also falls du dich mal für sowas entscheiden solltest, gebe ich dir gerne die Adresse von meinem Lieblingspiercer", meint Tom sarkastisch, aber wer weiß, vielleicht komme ich tatsächlich irgendwann auf dieses Angebot zurück. Tiefer kann mein Ruf vermutlich sowieso nicht mehr sinken, die Gerüchteküche ist ordentlich angeheizt wurden, aber es könnte mir kaum egaler sein. 

Diabolic Love Where stories live. Discover now