E I N U N D Z W A N Z I G

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21 || überarbeitet

"Jelly!", schreie ich über den Pausenhof und ergattere mir ein paar verwirrte Blicke. Okay, die ganze Schülerschar, die sich mittlerweile dort gebildet hat starrt mich an. "Wenn ich mal reich bin, dann kaufe ich euch allen einen Fernseher, damit ihr nicht immer mich ansehen müsst."

Neben mir erscheint plötzlich eine mysteriöse Gestalt im neonorangen Overall und legt einen Arm um meine Schulter. "Na Schatz. Suchst du deine Freundin?" Dass er mich nicht bei meinem Namen nennt, sondern mir denn langweiligsten Kosenamen der Weltgeschichte gibt, ignoriere ich gekonnt. "Wie kommst du darauf? Ich wärme nur meine Stimme für meine Karriere als Opernsängerin auf."

"Schon klar... sag mal, hast du heute Abend schon etwas vor?" "Nein, aber mit dir mache ich nichts." Verwirrt sieht er mich an und runzelt die Stirn. "Wieso nicht?" "Lass das lieber, sonst bekommst du noch ekelhafte Stirnfalten und siehst aus wie Donald Trump", weiche ich seiner Frage aus und begebe mich auf die Suche nach meiner Jelly Bean.

Wenn ich meine beste Freundin nicht innerhalb von zehn Sekunden finde, breche ich in Tränen aus. Ja, Tante Emma ist wieder da. Für alle, die das nicht verstehen: Ich habe meine Tage. Und meine Nerven liegen blank. Und zwar so richtig. "Pyper... da bist du ja endlich." Erleichtert werfe ich mich in Jellys Arme und drücke sie so fest an mich, dass ihr ein erstickter Laut entweicht. "Alles klar bei dir?", fragt sie schwer atmend, als ich sie nach ein paar Sekunden wieder loslasse. Seufzend schüttle ich meinen Kopf. Meine Stimmung ist noch mehr im Eimer als vor ein paar Minuten. Und da lag sie schon weit unter der Null. Man könnte sagen, sie ist streng monoton fallend. Wenn mein Mathelehrer das hören würde... er würde mir die Einsen nur so hinterherwerfen.

Aber zurück in die Realität. Jelena nickt verstehend und kramt in ihrem Rucksack, ehe sie mir so ein Wärmepflasterding gibt. "Danke", sage ich erleichtert und würde sie jetzt am liebsten mit meinen Problem zuschütten, doch etwas anderes erlangt vorerst meine Aufmerksamkeit.

Die Rede ist von Jellys Oberteil, das eines von den drei hässlichen beigen Fetzen ist, die sie neulich gekauft hat. Das hat sie jetzt nicht ernsthaft angezogen. "Das soll jetzt nicht gemein rüber kommen, aber du siehst in diesem Kartoffelsack aus wie eine Oma im 14. Jahrhundert." Schnaubend dreht sie ihren Körper wieder zu mir, da sie vorher damit beschäftigt war Kiran anzugaffen und eine Sabberpfütze unter sich zu hinterlassen.

"Willst du, dass ich dir das Wärmepflaster wieder wegnehme?", fragt sie mürrisch und streckt demonstrativ ihren Arm in meine Richtung aus. "Auf gar keinen Fall!" Schnell umklammere ich das verpackte Teil und haste auf die Toilette. Dort erledige ich, was man als Frau eben zu erledigen hat und klebe mir dann das Pflaster auf den Bauch.

Als ich wieder neben Jelly trete, die sich mittlerweile wieder ihrem Schwarm zugewendet hat und ihn mit ihren Blicken auszieht – was zugegeben ziemlich merkwürdig aussieht – gesellt sich auch River zu uns. "Was macht sie da?", fragt er, als sein Blick auf die sabbernde Gestalt neben mir fällt. "Siehst du den Typen da hinten?" Ich zeige auf Kiran, der mit seinen Freunden neben einem Klassenzimmer steht und über irgendetwas lacht. "Der, der aussieht wie Logan Paul?" Ich nicke. "Das ist Kiran Baker. Jelly steht seit Beginn ihrer mehr oder weniger erfolgreichen Schulkarriere auf ihn", erkläre ich meinem Nachbarn, der unseren Mitschüler kritisch beäugt. Anscheinend scheint er nicht sehr überzeugt von seinem Auftreten zu sein, wobei ich mich ihm durchaus anschließen kann.

Kiran mag vielleicht ganz gut aussehen – meinem Typ entspricht er zwar nicht, aber ich bin ja tolerant –, doch sein Charakter ist wirklich das letzte. Das liegt größten Teils daran, dass er der arroganteste und egozentrischste Mensch ist, den ich kenne. Er muss wirklich andauernd im Mittelpunkt stehen, aber das ist ja noch einmal das Schlimmste. Er verarscht Mädchen am laufenden Faden und sagt ihnen, dass er ja unbedingt eine Beziehung mit ihnen eingehen will, lässt sie dann aber vor versammelter Mannschaft in der Schule fallen.

"Wirklich beantwortet hat das meine Frage jetzt nicht, aber ich belasse es einfach mal dabei und komme nochmal auf meine Frage von vorhin zurück. Würdest du heute Abend auf ein Date mit mir gehen?" Mit diesen Worten katapultiert River mich wieder in die Realität. Das ist auch gut so, denn ich habe Kiran die ganze Zeit ohne zu blinzeln angestarrt. Zur Zeit drifte ich irgendwie viel zu oft ab.

Ich will meinem Nachbarn gerade antworten, als Trish mit hochrotem Kopf angelaufen kommt. "Bist du auf der Flucht?", fragt River amüsiert und lehnt sich gegen meinen Spind. "Nein, aber Jelena wird es gleich sein!", antwortet dieser und schnaubt genervt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sehe ich dem Spektakel, dass sich mir bietet, zu.

Jellys Augen werden groß, als sie Trishs Stimme wahrnimmt und ihren Blick endlich wieder von Kiran wegrichtet. Sie macht einen Schritt zurück, bevor sie sich umdreht und die Flucht ergreift.

Okay...

River scheint sich nicht beirren zu lassen, da er seine Frage abermals wiederholt. "Und, was sagst du?" Ich fühle mich bedrängt. Glücklicherweise kommt in dieser Sekunde jemand um die Ecke und läuft zielstrebig auf uns zu.

"Sollten Sie nicht schon längst auf dem Sportplatz sein, junger Mann?" Mr. Reyes, der Direktor unserer Schule, stellt sich vor River und begutachtet ihn misstrauisch. "Ja, tut mir Leid. Ich mache mich natürlich sofort an die Arbeit.« Mit diesen Worten dackelt er hinter Mr. Reyes her und sieht dabei aus wie ein Entenbaby. Kurz bevor er hinter der nächsten Ecke verschwindet, wirft er mir noch einen entschuldigenden Blick zu. Er wird wohl nie erfahren, was meine Antwort auf die Frage gewesen wäre.

Wie traurig.

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Crazy ThingsWhere stories live. Discover now