Z W E I

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02 || überarbeitet

„Vielleicht solltest du dir mal einen Terminkalender zulegen.", rät mir meine Mutter und sieht mich dabei erwartungsvoll an. „Wieso denn?", frage ich verwirrt, denn diese Frage kam gerade wie aus dem Nichts.

„Weil du keine Ahnung hast, dass du in einer halben Stunde einen Zahnarzttermin hast und danach eigentlich zum Football Spiel musst."

Wie bitte, seit wann das denn?

„Mum, wieso muss ich zum Zahnarzt?" „Weißt du das etwa auch nicht mehr? Hast du kein Gehirn? Deine Weisheitszähne werden gezogen. Sollen wir danach gleich zum Arzt und dich untersuchen lassen? Kann ja sein, dass du Alzheimer hast." Sehr lustig, Rabenmutter.

Auf einmal fällt es mir wie ein Schuppen vor die Augen. „Aber dann kann ich ja gar nicht zum Spiel." „Deshalb sage ich es dir ja."

„Aber Mum! Ich bin Flyer, die Cheerleader brauchen mich!" Empört fuchtele ich mit den Armen herum. Unsere Cheerleadertruppe ist sowieso schon erbärmlich winzig.

„Ich weiß Schatz, aber den Termin können wir nicht ausfallen lassen." Genervt lasse ich mich auf einen Stuhl fallen. Meine Mutter scheint das ganze nicht wirklich zu berühren, aber das ist ja mal wieder klar.

„Warum hast du denn den Termin auf heute gelegt? Du wusstest doch, dass wir ein wichtiges Spiel haben." Eigentlich ist dieses Spiel überhaupt nicht wichtig. Es ist einfach ein Freundschaftsspiel von unserer Schule und der Westford Highschool.

Empört dreht sie sich zu mir um und schmeißt ihr Geschirrtuch auf den Boden. „Dann mach deine Termine in Zukunft alleine! Du bist fast erwachsen, da kannst du das auch selbst."

„Bin ich jetzt schuld oder was?"

„Ist ja niemand anderes da!"

Beleidigt dreht sich meine Mutter wieder um und schneidet das Gemüse weiter.

Bäh Gemüse.

„Hast du eigentlich schon unseren neuen Nachbarn kennengelernt?" frage ich um die Stimmung wieder etwas aufzuheitern. „Ja, er hat sich heute morgen vorgestellt." Sie dreht sich wieder zu mir um und grinst. Oh nein, ich ahne Böses. „Also ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen, so wie er aussieht."

Déjà-vu.

„Mum!" Sowas möchte man als Tochter nur ungern hören. Was ist nur los mit dieser Familie.

Dass ich so komisch bin ist ja normal, aber ich hätte eigentlich lieber eine normale Mutter, die nicht daran denkt den neuen Nachbarn flachzulegen, obwohl sie wahrscheinlich mehr als doppelt so alt ist.

„Geh schon mal zum Auto, ich muss noch schnell für kleine Mädchen." Der Arzttermin ist jetzt? Meine Mutter hüpft aus der Küche und singt lauthals Wannabe. Kopfschüttelnd ziehe ich meine Schuhe an und gehe derweil nach draußen.

Es ist Mitte März, also noch relativ kalt. Trotzdem sitze ich jetzt in meiner kurzen Hose und dem viel zu großen Shirt auf der Stufe vor unserer Haustür.

„So gehst du mir noch aus dem Haus, Fräulein. Es ist viel zu kalt." Mein Kopf schießt nach oben, wo sich meine Mum über mich gebeugt hat. „Aber ich habe nichts anderes." Das stimmt nicht. Mein ganzes Zimmer ist voller Klamotten. Sogar unter dem Bett habe ich noch zwei Tüten mit neuer Kleidung, die ich letzte Woche gekauft habe. Die sollte ich vielleicht mal auspacken.

Sie geht nochmal rein und gibt mir eine potthässliche Jacke, die ich das letzte Mal wahrscheinlich vor drei Jahren anhatte.

„Hopp hopp, auf geht's."

Freudig steigt meine Mutter ins Auto und startet den Motor. Widerwillig folge ich ihr. Mit meinem Outfit sehe ich aus wie ein Obdachloser. Aber das ist nicht einmal das schlimmste. Ich hasse jegliche Zahnärzte. Aber mein Zahnarzt ist wirklich scheiße. Der ist so ein alter pedophiler Kartoffellutscher, der den Begriff waschen nicht kennt.

„Bekommt man bei einer Weisheitszahn-Operation wirklich so ein Schmerzmittel von dem man high wird?", will ich begeistert wissen.

„Das kommt auf den Zahnarzt an. Nicht jeder benutzt solche Schmerzmittel. Für dich hoffe ich, dass du keine bekommst. Ich habe heute Abend eine Schicht im Krankenhaus, deswegen kann ich nicht auf dich aufpassen." Sie will mich also alleine lassen? „Und wenn ich doch solche Drogen bekomme und mich danach aufführe wie die Sau?" „Dann binde ich dich irgendwo fest."

••• •••

„Mum, siehst du die Schweinchen?" Völlig fasziniert starre ich in den Himmel. „Pyper, das sind Wolken." „Ich glaube ich werde mal Busfahrer. Dann kann ich die Leute, die mir auf die Eierstöcke gehen einfach überfahren."

Geschockt sieht mich meine Mutter an. „Ich kann doch jetzt nicht gehen, wenn du vor hast Leute zu überfahren." Verzweifelt läuft sie von einer Ecke des Zimmers in die andere. „Mum hör auf, das macht mich..-"

Ganz plötzlich kippt meine gute Laune und mir steigen Tränen in die Augen.

„Pyper ist alles in Ordnung? Warum weinst du? Komm mit, wir fragen unseren Nachbarn, ob er solange auf dich aufpassen kann." „Und wenn er mich vergewaltigt?", schluchze ich. „Dann vergewaltige ich ihn zurück."

„Mum ich habe Hunger." Und ganz plötzlich bekomme ich einen Lachanfall. „Oh Gott, was macht dieses Schmerzmittel mit dir?"

Sie legt einen Arm um mich und führt mich zum Haus unseres Nachbarn.

„Ich würde River schon von der Bettkannte stoßen. Schließlich ist es mein Bett und das teile ich nicht", murmele ich während meine Augen immer wieder zufallen.

Nach ein paar Sekunden geht die Tür auf und ein heißes fünf Mal gebratenes Schnitzel blickt uns entgegen.

„Hi, was kann ich für euch tun?"

„Könntest du mir einen Gefallen tun und auf meine Tochter aufpassen, solange ich arbeite? Sie hat die Weisheitszähne gezogen bekommen. Und das Schmerzmittel wirkt ziemlich gut, also kann ich sie nicht alleine lassen."

„Klar, ich passe auf sie auf."

Müde folge ich dem Schnitzel ins Haus, wo ich einfach in irgendeinen Raum gehe und mich auf den Boden lege. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so wohl gefühlt. Dieser Boden ist wirklich flauschig. Gähnend summe ich irgendein Kinderlied.

„Bist du müde?", fragt mein Nachbar, nachdem er sich von meiner Mutter verabschiedet und ihr versprochen hat, dass er gut auf mich aufpasst. „Nein Gähnen ist mein Hobby, du Spaten." Zwei Hände packen meine Arme und ziehen mich nach oben. „Kannst du laufen?", fragt er und reagiert nicht auf meine unfassbar schlagfertige Antwort.

„Ich denke schon. Zumindest hat mir das meine Mutter als ich eins war beigebracht. Da war ich noch ganz klein. So klein wie dein Schwanz." Und schon wieder muss ich lachen.
„Ich glaube es ist besser wenn du dich jetzt ein wenig ausruhst."

Ich lache mittlerweile so sehr, dass mir Tränen in die Augen steigen, was dazu führt, dass ich wieder anfangen muss zu heulen. Mein Nachbar bringt mich in ein Zimmer und legt mich auf ein Bett. „Ich wäre total gern ein Vampir. Dann könnte ich mit Damon ewig zusammen sein. Wir würden uns dann immer gegenseitig aussaugen."

Verstört geht der heiße Typ, dessen Namen ich immer noch nicht weiß, aus dem Raum.

„Schlaf schön, Pyper."

••• 2 •••

Crazy ThingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt