Kapitel 41

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Den ersten Tag habe ich überlebt. Wahrscheinlich werde ich auch die nächsten tage weiterleben. Und Monate. Und jahre.
Bis ich irgendwann sterbe und nur noch ein Grabstein mit hübscher Aufschrift an mich erinnert. Traurig aber wahr. Letztendlich sind wir den leben egal.
Aber den Menschen nicht.

Die Nacht über bin ich ziemlich gelangweilt durch das große Gebäude gestreunert.
Herzlichen Glückwunsch an Frau Dachmann und ihren Ehemann zur Schwangerschaft.
Und alles gute für Günter Horch, einen Kreuzbandriss wünscht man niemanden.
Alltag überall.
Momentan ist Frühstück, die allzu vertrauten Wagen klappern durch die gänge.
Auch für mich ist Fütterungszeit. Lecker Frühstück aus der Infusion.
Mehr oder weniger desinteressiert beobachte ich ihn wie die alte gegen eine neue ausgetauscht wird.
Ich kann es kaum erwarten, bis ich wieder wach bin und auf eigenen Beinen stehe.
Oder nur auf einen.
Auch wenn ich einen Fuß verloren habe, geht das Leben weiter. Und ich will dass das Leben weitergeht.
Ohne zu klopfen öffnet sich die Tür. Ein Pfleger hält für einen Besucher die Tür offen.
"Sie wird es wahrscheinlich schaffen. Ein Wunder, wenn man bedenkt, aus was für einer Höhe sie gestürzt ist..."
Neugierig drehe ich meinen Kopf in Richtung Besucher. Er nickt den Pfleger zum dank kurz zu, bevor dieser den Raum verlässt.
Es ist nicht der, den ich erwartet habe. Nicht Franco.
Er stellt sich neben mich. Seine Hand legt sich auf meine.
Die kleine bissförmige Narbe ist fast verblasst.
Pauls Gesicht ist fahl, seine Augen dunkel umrandet.
"Es tut mir leid. Alles. Ich hätte da sein sollen, hätte dich nicht ignorieren sollen. Es war so viel... Du sollst Kinder verprügelt haben. Ich wollte nicht, dass es stimmt. Aber... Ich hatte Angst, dass es stimmt. Scheiße, was habe ich getan?"
Ruckartig lässt er meine Hand los und fährt sich wütend durch die Haare.
"Ich bin ein gottverdammter Idiot."
Wütend auf sich selbst verschränkt er die arme vor der brust.
Sein Gesicht ist knallrot.
Fahrig wischt er sich eine träne von der Wange. Ich habe gar nicht bemerkt, dass er weint.
"Gottverdammte Scheiße ist das.", flucht er.
"Was haben wir dir nur angetan?"
Leise trete ich hinter ihn. Wir beide hängen unseren Gedanken nach, während wir auf den leblosen Körper starren.
Er ist nicht Paul Richter, der Polizeikommissar, sondern Paul Richter, der Mensch.
Kurz kneift er die Lippen zu Einen schmalen Strich zusammen.
"Tschüss. Ich komme wieder."
Ein flüchtiger Blick, dann ist er fort.

Luft. Ich brauche Luft. Ich halte es nicht lange mit mir in einen Raum aus. Diese aufgedunsenen Hände und der fehlende Fuß... Es ist eine Erleichterung als ich tief die kühle Luft einatme. Ohne wirkliches Ziel streuner ich durch die Gegend. Irgendwann werde ich schon zur Klinik zurückfinden. Zeit hab ich ja.
Es ist ein geschäftiger Tag in Köln. Die Menschen wuseln wie Ameisen durch die Straßen.
Missmutig beäuge ich die Passanten. Diese Routine gefällt mir nicht. Immer das selbe. Jeden verdammten Tag. Wie auf Autopilot. Es ist so, als würde man einfach da sein, aber nicht leben.
Man kann sagen was man will, aber der Mensch ist ein verdammtes Gewohnheitstier. Und wehe irgendjemand fällt aus der Reihe.
Den will man nicht.
Der ist nämlich anders.

Freiheit   (Auf streife die Spezialisten)Onde as histórias ganham vida. Descobre agora