19. Kapitel

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich so müde wie schon lange nicht mehr. Zugleich war ich aber auch lange nicht mehr so glücklich gewesen. Gestern war ich mit einem breiten Grinsen eingeschlafen und heute morgen wieder aufgewacht.
Lächelnd stieg ich aus dem Bett.
Ich ging ins Bad und begann leise zu singen.
Jedesmal wenn ich singe ist das irgendwie ein unbeschreibliches Gefühl. Es macht mich einfach glücklich. Trotzdem würde ich niemals vor anderen Leuten singen, dafür war ich einfach viel zu schüchtern. Meiner Meinung nach macht man sich beim Singen und besonders beim Schreiben von Songs auch unbeschreiblich verletzlich, da man dabei Menschen sein Innerstes offenbart und mit ihnen seine Gedanken und Gefühle teilt. Ein Grund warum ich nie jemandem meine Entwürfe für eigene Lieder zeige.
Ich stieg aus der Dusche, nahm meinen Bademantel und machte mich auf den Weg zu meinem Balkon. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat hinaus. Eine kühle Luft umfing mich und der Wind fuhr durch meine nassen Haare. Heute war erst der 4. Tag den ich in Kanada verbrachte und trotzdem kam es mir schon vor wie eine Ewigkeit. Es war schon soviel passiert.
Hastig verließ ich den Balkon, ging zu meiner Kommode und suchte mir einen warmen Pullover. Ich föhnte meine Haare, trug etwas Make-up auf, packte meinen Rucksack und machte mich schließlich auf den Weg nach unten.
Wie gestern saßen alle bereits am Tisch. „Guten Morgen ! Ich hab gehört dein Tag gestern war sehr... schön." war das Erste was ich von Dean hörte als ich die Küche betrat. „Ja. Es war eigentlich ganz in Ordnung." antwortete ich und fand dabei unbeschreiblich großes Interesse an meinem Brötchen. „Es tut mir übrigens unglaublich leid, dass ich vergessen hatte dir zur sagen, dass ich dich nicht vom Spiel abholen oder dich zumindest vorwarnen konnte. Aber Shawn schien mir einfach die beste Option zu sein." sagte Charlotte und sah wirklich schuldbewusst aus. „Alles halb so schlimm Charlotte. Wirklich." versuchte ich sie aufzubauen. Es war ja nun in der Tat nichts schlimmes. Ehrlich gesagt schämte ich mich ein bisschen dafür, dass ich mich so aufgeregt hatte. „Shawn hat sie also abgeholt ?" sagte Dean an Charlotte gewannt und irgendwas an seinem Blick kam mir seltsam vor. War es etwa Sorge ? „Ja, Dean. Ich habe Shawn gebeten Amber abzuholen. Hast du damit etwa ein Problem ?" entgegnete Charlotte mit einem spitzen Unterton, der mich ein bisschen an meinen Vater erinnerte. „Charlotte du weist doch wie er ist. Ich will nicht das er Amber etwas vormacht. Ich traue dem Jungen manchmal nicht besonders." „Ach, Dean. Shawn ist ein guter Junge. In seinem Leben passiert eben gerade viel und außerdem glaube ich, dass Amber ihre Entscheidungen ganz gut alleine treffen kann." Ich wusste nicht was ich sagen sollte, weil ich nicht verstand von was die beiden da redeten, also biss ich in mein Brötchen. Emma. Schoss es mir dann durch den Kopf und ich wendete mich meiner Cousine zu. Sie hatte heute noch kein Wort gesagt und das war äußerst untypisch für sie. Trotzdem war mir nicht entgangen wie sie mich während Charlotte und Deans Wortwechsel beobachtet hatte. „Alles klar bei dir ?" fragte ich sie. „Ja alles super." Doch ihre Stimme klang nicht so freudig wie sonst und sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders. Bevor ich sie darauf ansprechen konnte sagte sie „Dad, ich glaube wir sollten langsam los. Ich muss Mrs. Johnson noch etwas wegen der Mathearbeit fragen." Ich schaute auf meine Uhr. „Ich denke ich sollte auch langsam los. Ich will schließlich nicht wieder zum Bus rennen. Wir sehen uns heute Nachmittag."
Ich stand auf, legte den Teller in die Spülmaschine, nahm meinen Rucksack aus dem Flur und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle.

***

Dort angekommen, begrüßte ich Claire mit einer freudigen Umarmung. „Hey, na wie geht's ? Bist du gestern noch trocken nach Hause gekommen ?" fragte Claire mit ihrer üblichen fröhlichen Art. „Ja mehr oder weniger. Es hat sich herausgestellt, dass sich meine Tante um eine Mitfahrgelegenheit gekümmert hat." „Wer war denn der Glückliche ?" „Sein Name ist -" Ich wollte gerade Shawns Namen sagen. Als Claire leise zu fluchen begann, den Blick an mir vorbei gerichtet. Ich drehte mich um und suchte nach dem Grund für ihre Gereiztheit. Ein paar Meter hinter mir stand eines der schönsten Mädchen die ich je gesehen hatte: ihre Haare waren braun und fielen ihr in langen Wellen über die Schultern, sie war ziemlich groß, hatte die Figur eines Models und einen natürlichen sonnengebräunten Tan. Und neben dem Mädchen stand eine männliche Kopie von ihr. Offensichtlich ihr Bruder. Er war etwa einen halben Kopf größer als sie, muskulös, hatte braunes Haar und ein eingebildetes Grinsen im Gesicht. Er war die Art Jungs von denen ich meilenweiten Abstand hielt. „June und Noah Martin" riss Claire mich aus meinen Gedanken. „Was ?" fragte ich verwirrt. „Das da", sagte Claire und zeigte unauffällig mit dem Finger auf das Mädchen und den Jungen, „sind June und Noah Martin. Ich wusste nicht, dass die beiden wieder zurück sind, aber ihre Anwesenheit hat nichts Gutes." „Wieso ?" „June ist das pure Böse und ihr Bruder ist wahrscheinlich zehnmal schlimmer als sie." sagte Claire mit solcher Überzeugung, dass ich schmunzeln musste. „Du stehst auf ihn." sagte ich und boxte sie in die Seite. „Niemals. Nein. Unter keinen Umständen." „O doch tust du." lachte ich. „Nein. Noah ist der Typ Junge von dem man sich fern halten sollte. Der schnappt sich alles was nicht bei drei auf dem Baum ist. Außerdem" , fügte sie hinzu, „hasst er mich." „Wie könnte dich jemand hassen ?" fragte ich verwirrt. Meiner Meinung nach war Claire die Liebenswürdigkeit in Person. „Er hasst mich, weil June mich hasst." Ich holte Luft um etwas zu erwidern. „Bevor du fragst: ich hab nie verstanden warum sie mich nicht mag. Eigentlich waren wir mal so etwas wie beste Freundinnen, aber als wir in die Middle School kamen beschloss sie, dass sie zu cool
für mich ist und seitdem macht sie mich fertig. Das Jahr ohne sie war das beste Jahr meines Lebens." Entsetzt sah ich Claire an. „Ich werde dieser Schlampe meine Meinung sagen." „So eine Wortwahl aus deinem Mund ? Das überrascht mich. Aber, das musst du nicht tun. Das ist ein Kampf zwischen ihr und mir. Ich warte nur noch auf den richtigen Zeitpunkt um zurückzuschlagen." Bevor ich noch mehr sagen oder fragen konnte, bog auch schon der Bus um die Ecke.

One year in CanadaTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon