22. Kapitel

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„So da wären wir." sagte Shawn. „Wo sind wir ?" fragte ich verwirrt. Wir waren mitten im Nirgendwo, um uns herum waren nur Bäume und es sah aus als wären wir in einer Art Park. „Komm mit." Er nahm meine Hand und mir war auf der Stelle warm. Ohne seine Hand loszulassen, folgte ich ihm. Wir gingen auf einem schmalen Weg entlang und nach ein paar Minuten gaben die Bäume einen unglaublichen Blick frei. Vor mir sah ich die Skyline von Toronto und das war eins der schönsten Dinge die ich bis jetzt gesehen hatte. „Wow. Das ist der Hammer." sagte ich ehrlich beeindruckt. „Dabei hast du noch nichtmal die eigentliche Überraschung gesehen." Er lächelte und zog mich noch ein Stück weiter. „Aber-" mir stockte der Atem. „Das wär doch nicht nötig gewesen." sagte ich immer noch geschockt. Vor mir war eine Art Pavillon und darin stand ein kleiner Tisch. Der Pavillon selbst war verziert mit kleinen Lampions. „Das ist wunderschön. Das wär doch nicht nötig gewesen. Danke." Ich stellte mich auf Zehenspitzen und zog ihn in eine Umarmung, die er sofort erwiderte. Wir blieben einen Moment lang so stehen, bevor ich mich langsam von ihm löste. Ich ging auf den Pavillon zu und musste schmunzeln als ich die Pizzakartons auf dem Tisch sah. „Ich hoffe Pizza ist okay." sagte Shawn und kratzte sich verlegen am Kopf. „Es ist perfekt. So etwas hat noch nie jemand für mich gemacht." Und das war die Wahrheit in diesem Moment fühlte ich mich wie im Märchen.
Während wir aßen unterhielten wir uns über alles Mögliche und ich stellte fest, dass Shawn und ich viele Gemeinsamkeiten hatten. Wir beide liebten Musik und mochten es, so viel wie möglich von der Welt zu sehen. „Was willst du später mal machen ?" fragte mich Shawn. „Ich weiß noch nicht genau. Mein Bruder ist der Meinung ich sollte etwas mit Musik machen, aber das würde ich mich niemals trauen. Ich möchte lieber irgendwas machen was anderen Menschen hilft und etwas womit ich Ihnen helfen kann. Vielleicht studiere ich ja Lehramt." sagte ich verlegen. „Mit Musik kann man die Welt auch verbessern." entgegnete Shawn, „Du kannst den Menschen Botschaften senden und versuchen auf Probleme aufmerksam zu machen." „Das klingt so als würdest du gerne mal was mit Musik machen." „Ja Musik ist meine Leidenschaft, aber keine Ahnung ob ich wirklich für immer nur Musik machen will. Ich könnte mir auch vorstellen zu Schauspielern. Egal Hauptsache ich kann kreativ sein und Menschen etwas vermitteln." „Schreibst du Songs ?" fragte ich ihn. „Ja." sagte er und musste schmunzeln. „War das eine blöde Frage ?" „Nein ganz und gar nicht." entgegnete er und sah mir in die Augen. „Würdest du mir mal was Vorspielen ?" fragte ich ihn. „Klar. Wieso nicht." sagte Shawn und lächelte, „Komm mit." „Wohin ?" „Du wolltest doch das ich dir einen meiner Songs vorspiele. Also komm."
Wir räumten die Sachen zusammen und brachten alles zurück zu Shawns Auto.
Eine halbe Stunde später standen wir in einer Tiefgarage mitten in Toronto. „Wo sind wir jetzt ?" fragte ich wieder verwirrt und desorientiert. „Die Frage gefällt dir heute Abend ganz besonders was ?" fragte er lächelnd. „Mir bleibt ja keine andere Wahl, wenn du mich immer irgendwo hinfährst und ich keinen Plan habe wo das ist." entgegnete ich lächelnd und boxte ihn spielerisch in die Seite. Shawn brachte mich zu einem Fahrstuhl und wir fuhren in die oberste Etage des Hochhauses. Shawn führte mich zu einer Tür am Ende des Flurs und öffnete diese. Wir standen auf einer riesigen Dachterrasse von der man ein faszinierenden Blick über die Stadt hatte. „Hier wohnst du ?" fragte ich erstaunt und drehte mich einmal im Kreis. „Ähm ja." Ich versuchte erst gar nicht mir auszumalen wie viel eine Wohnung in so einem Gebäude kosten mochte. Was machte Shawn nur zur Zeit ? War er vielleicht doch der Junge vom Flughafen ? Ich würde ihn später fragen, aber ich wollte eigentlich dass er mir selbst davon erzählt und zwar erst wenn er es wollte. Jeder hatte Geheimnisse und ich würde ihn nicht drängen seine zu verraten, ich kannte ihn immerhin kaum und hatte auch kein Recht dazu. Trotzdem war ich gespannt zu erfahren wer Shawn wirklich war. „Warte hier. Ich bin gleich wieder da." Während Shawn wieder durch die Tür verschwand, stellte ich mich an den Rand des Daches und lies meinen Blick über die Stadt schweifen.
Meinem Bruder würde es hier auch gefallen und während ich an Luca dachte, bekam ich großes Heimweh. Ich würde ihn morgen anrufen und ihm von Shawn und allem was bisher passiert war erzählen. Ich war jetzt fast eine Woche hier und doch kam es mir schon vor wie ein halbes Leben.
Ich fragte mich immer noch wie Shawn sich so schnell in mein Leben hatte schleichen können. Ich konnte es nicht genau sagen.
„So da bin ich wieder." riss Shawn mich aus meinen Gedanken und ich wandte mich ihm zu. „Du frierst schon wieder." stellte er fest. „Nein tu ich nicht." „Doch tust du." beharrte er mit einem Grinsen. „Na gut vielleicht ein bisschen." gab ich zu. „Hier nimm die." sagte er und gab mir seine Jacke. Ich zog sie an und musste schmunzeln weil sie mir viel zu groß war aber ich genoss es seinen Duft einzuatmen und kuschelte mich hinein. „Da hinten können wir uns hinsetzen." Er zeigte auf ein paar Sessel in einer Ecke der Dachterrasse. Ich folgte ihm und bemerkte erst da die Gitarre die er nun wieder in die Hand nahm. Wir setzten uns in zwei Sessel gegenüber und Shawn begann ein paar Akkorde zu spielen und ich begann dahinzuschmelzen. Und dann fing er an zu singen. Seine Stimme war warm und einfach nur wunderschön. In den Tiefen meines Gehirns sagte mir etwas, das ich diese Stimme schon einmal gehört hatte, doch ich war so fasziniert von diesem Moment und Shawn der vor mir mit einer Gitarre saß, dass ich nicht weiter darüber nachdachte. Als er seinen Song beendet hatte, hatte ich Tränen in den Augen. „War es so schlimm ?" neckte er mich. „Nein, es war sehr schön. Eigentlich ist es nicht wirklich in Worte zu fassen. Jetzt versteh ich warum du vorhin gesagt hast, das du Menschen mit deiner Musik etwas vermitteln willst und ich finde du solltest das auch unbedingt tun. Du bist wirklich gut." „Danke" Er lächelte mich leicht an. Dann sage er plötzlich „So jetzt bist du dran." „Was ? Nein, auf keinen Fall." sagte ich und began nervös zu lachen. „Doch komm schon. Du hast gesagt Musik bedeutet dir auch viel. Bitte." „Aber ich kann nicht wirklich Gitarre spielen, ich bevorzuge  eher Klavier." „Keine Ausreden Amber." sagte er und streckte mir die Gitarre entgegen. „Na schön. Einen Song. Aber nicht lachen ja ?" Er lächelte triumphierend und ich lies mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht fallen, in der Hoffnung er könnte nicht sehen wie ich rot wurde. Ich nahm die Gitarre und begann ein paar Akkorde zu spielen. Als ich mich sicher genug fühlte, begann ich zu singen. Es war kein allzu schwieriges Lied, aber ich vermied es Shawn anzusehen, aus Angst, ich würde alles vergessen. Als ich fertig war, sah ich noch ein paar Augenblicke auf den Boden, bevor ich mich traute aufzublicken. Ich hatte noch nie vor jemand anderem als meiner Familie gesungen und ich hatte Angst davor Shawns Reaktion zu sehen. „War es sehr schlimm ?" durchbrach ich die Stille. „Nein ganz und gar nicht. Amber du hast eine der schönsten Stimmen die ich je gehört habe und glaub mir ich hab schon so einiges gehört. Ich glaube dein Bruder hat recht, du solltest wirklich etwas aus deiner Musik machen." „Nein, dass ist dein Ding aber nicht meins." sagte ich verlegen. Ich stellte die Gitarre auf den Boden und sah wieder in Richtung Stadt als Shawn aufstand und sich neben mich setzte. Ich drehte mich zu ihm um und sah direkt in seine warmen brauen Augen. Ich bekam eine Gänsehaut weil er mir so nah war. Aber es war ganz und gar kein schlechtes Gefühl, eher das komplette Gegenteil. Es fühlte sich richtig an. Sehr richtig sogar.
Shawn sah mir weiter in die Augen. „Du bist wunderschön, Amber." „Sag das nicht Shawn. Das ist nicht wahr." „Doch ist es. Du solltest aufhören immer an dir selbst zu zweifeln."
Er nahm meinen Kopf in seine Hände und kam langsam näher. Dann spürte ich seine Lippen auf meinen. Es war ein zärtlicher Kuss. Sanft. Eine stumme Frage, so als würde er sehen wollen ob ich etwas dagegen hatte. Ich erwiderte seinen Kuss und er wurde fordernder. Meine Hände wanderten wie von selbst zu seinen Haaren und ich began durch sie hindurchzufahren. Shawn zog mich näher an sich, die Hände um meine Taille  gelegt. Unser Kuss wurde leidenschaftlicher und alles in mir schrie nach mehr, aber dafür war ich nicht bereit. Also began ich mich vorsichtig von ihm zu lösen. Ich kannte ihn kaum, was war nur in mich gefahren ? Aber manchmal hat man einfach das Gefühl eine Person schon ewig zu kennen auch wenn man sie erst getroffen hat. Und so war es zwischen Shawn und mir auch wenn ich ihn vor ein paar Tagen (ich meine hallo ????) erst kennengelernt hatte fühlte es sich schon an wie eine Ewigkeit. Unsere Gesichter waren immer noch so nah beieinander, dass ich seinen schnellen Atem auf meinen erhitzen Wangen spürte. Ich betrachtete sein Gesicht ganz genau und musste schließlich grinsen, weil mir diese ganze Situation so surreal vorkam. Shawn tat es mir gleich. Er setzte sich so auf den Sessel das er auf die Stadt blicken konnte und ich setzte mich neben ihn und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Wir saßen noch eine ganze Weile so da. Nur wir beide und die leuchtende Stadt unter uns.

One year in CanadaWhere stories live. Discover now