Kälte

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Stöhnend setzte Anna sich auf und legte das Gesicht in ihre Hände. Der gestrige Abend war ihr aus dem Ruder gelaufen. Oft hatte sie sich vorgestellt wie es wohl wäre in den Armen eines Mannes zu liegen, aber eine solche Vertrautheit zwischen einem Mädchen und einem Mann schickte sich nun wirklich nicht! Sie wagte beinahe nicht den Gedanken Fuß fassen zu lassen und doch breitete sich dieses beschämende Gefühl in ihrem ganzen Körper aus. Sie hatte sich wie eine Dirne bereitwillig Canovists geschicktem Mund hingegeben und, wenn er nicht von ihr abgelassen hätte, hätte sie ihn sicherlich nicht aufgehalten, gar hätte sie noch mehr von ihm gefordert. Sie starrte zu Boden. Ob er sie nun für eine Hure hielt?

Leise erhob Anna sich, hielt einen Moment inne, als die Kopfschmerzen sie wie einen Blitz durchzuckten und schwankte. In Gedanken schwor sie sich das Feuerwasser nie wieder anzurühren. Selbst der Wein in ihrer Heimat verursachte nicht solche Nachwirkungen, obwohl sie auch davon schon reichlich getrunken hatte.

Anna fand Kimama in ihrem Zelt, in dem sie müßig versuchte Wagmiza, das gelbe Korn, zu mahlen. Sie neigte kurz den Kopf zur Begrüßung, aber kniff dann nur die Augen zusammen um den stechenden Schmerz aus ihrem Kopf zu vertreiben. „Mir geht es genauso". Anna lächelte ihrer Freundin gequält zu und lies sich kraftlos neben sie fallen. Eine Weile lauschte sie dem Treiben im Lager. Vor einigen Stunden hatte ein heftiger Schneefall eingesetzt, mit dem keiner so früh gerechnet hatte. Die meisten Frauen versuchten noch immer aufgeregt die letzten Fleischreste in die Zelte zu schaffen, die noch immer draußen zum Trocknen gelagert hatten. „Sind die Späher schon unterwegs?" Anna erinnerte sich, dass einige Krieger in den Norden aufgebrochen um die Bewegungen der Iya-Sica genau zu beobachten. Bei dem Gedanken an einen Ritt durch den tiefen Schnee schüttelte sie sich, solch eine Gänsehaut lief über ihren Rücken. Kimama nickte. „Sie sind sehr früh aufgebrochen. Canovist ist mit ihnen geritten." Anna, die sich zuvor mit den Flecken auf ihrer Kleidung beschäftigt hatte, blickte ruckartig hoch. „Ohne sich zu verabschieden?" Ihre Stirn kräuselte sich. Obwohl sie sich um ihn sorgte, war sie irgendwie doch erleichtert ihn in den nächsten Tagen nicht sehen zu müssen. Sie wusste nicht, wie sie ihm nach der gestrigen Nacht begegnen sollte. „Er schien durcheinander und wollte dich nicht wecken. Er hat sich geweigert dein Zelt zu betreten. Er hatte ein Recht, du bist nicht seine Frau." Anna spürte wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Sie war sich sicher, dass Kimama etwas ahnte, doch sagte sie nichts. Schweigend widmeten sich beide Frauen ihren Aufgaben. In Anna arbeitete es. Sie wollte einen Plan schmieden, bevor die Späher zurückkehren würden.


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