Folge deinem Herzen, Kind des Westwindes

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Er nickte stumm. „Geh", sagte er nach einer Weile und beließ es dabei. Mit gesengtem Kopf verließ Anna sein Zelt und gesellte sich zu Kimama, die vor ihrem Tipi saß. Fragend blickte sie Anna an, doch ihr Lächeln erlosch, als Anna ihr mit einer abwinkenden Geste zu verstehen gab, dass sie nicht darüber sprechen wollte. Sie hatte ausgesprochen, was ihr auf der Seele lag und dennoch fühlte sie sich nicht besser. So sehr sie sich auch ihre Freiheit wünschte, erfüllte der Gedanke an diese sie mit Traurigkeit, denn sie hätte niemanden, mit dem sie Freiheit teilen könnte.

„Kiwani! Wach auf", wurde sie am Morgen von Kimama geweckt. Sie blinzelte, die Sonnenstrahlen waren noch zu hell für ihre müden Augen. Sie musste vor dem Tipi eingeschlafen sein, so lange hatte sie noch dort gesessen und die Sterne beobachtet. „Guten Morgen. Ist es schon zu spät?" Anna erinnerte sich, dass sie an diesem Tage eigentlich früh aufbrechen wollten um das Fest vorzubereiten, welches am Abend stattfinden sollte. „Nein. Canovist möchte dich sehen." In ihrem Inneren sträubte Anna sich dagegen aufzustehen und ihm nach dem gestrigen Gespräch unter die Augen zu treten. „Er ist bei den Pferden. Ich begleite dich". Kimama reichte ihr die Hand und zog sie auf die Füße. Im Lager herrschte schon reichlich Getummel und alle freuten sich schon auf den Abend und auf das Festmahl, das es geben würde. Schweigend liefen die beiden Mädchen nebeneinander her, bis sie Canovist zwischen den Pferden ausmachen konnten. Er führte ein Pferd aus der Herde heraus, das für einen Ritt vorbereitet war. „Du wolltest mich sehen? Ich", begann Anna, doch der Krieger unterbrach sie. „Ich habe über deine Worte nachgedacht. Wenn Heyatawin nicht bei den Apachen sein will, dann soll sie gehen und nie wieder zurückkehren." Sein Gesicht zeigte keine Emotionen, sodass Anna nicht ausmachen konnte, ob er seine Worte ernst meinte. „Ich kann gehen?" Sie wusste selbst nicht, was sie fühlen sollte. Natürlich freute sie sich über ihre Freiheit und doch kam Traurigkeit auf. ,Und nie wieder zurückkehren' hallte in ihren Gedanken nach. Kimama war für sie eine Schwester geworden und nun sollte sie sie für immer verlassen? Und doch sehnte sie sich nach Freiheit. „Nimm dieses Pferd. Es soll mein letztes Geschenk an dich sein. Kehre zu deinem Volk zurück. Wir werden dich in Erinnerung behalten. Shilah ist ein starkes Pferd und treu wie ein Bruder. Er soll dir zur Seite stehen." Sein Kiefer verspannte sich, er schien jede Emotion zu unterdrücken. „Ich...Ich weiß nicht wie ich dir danken kann", stotterte Anna. „Danke nicht. Nimm das Pferd und versprich auch mir, dass du unser Volk nicht vergisst."

Langsam trat Anna an das Pferd heran und strich ihm über den Hals. „Ein tolles Tier", sagte sie, nur um die Stille zu durchbrechen. Canovist half ihr auf das Pferd und übergab ihr noch eine lederne Tasche, die mit getrockneten Früchten und Maisfladen gefüllt war. Stumm hängte sie sie ihrem Pferd über den Hals und rutschte auf der Decke zurecht. „Geh jetzt." Kimama blickte Traurig zu Boden, doch Anna konnte keine Worte für den Abschied finden. Sie ritt einige Schritte vor und hielt dann doch wieder an um etwas zu sagen. „Geh endlich, bevor ich es mir anders überlege", rief Canovist wobei er einen Blick hinter seine Fassade zuließ und Anna meinte Traurigkeit in seinem Gesicht zu finden. Er gab Shilah einen kräftigen Klaps auf den Hintern, der so plötzlich lossprang, dass Anna ihre Hände in seine dunkle Mähne klammern musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Braune ließ ihr keine Gelegenheit sich noch einmal um zu drehen. Obwohl sie die Sehnsucht nach ihrer Heimat erfüllte, verließen doch einige Tränen ihre Augenwinkel und rannen über ihr Gesicht, bis sie die salzigen Tränen schmecken konnte. Die Apachen waren ihr doch mehr ans Herz gewachsen, als sie es je hätte zugeben können. Doch je länger sie galoppierte und Shilah nur so über den staubigen Prärieboden flog, desto mehr spürte sie die Hoffnung, doch noch das Versprechen, das sie ihrem Vater am Sterbebett machte, halten zu können.

Erst als ihr neuer Partner schweißnass war, lies sie ihn sanft durchparieren und in einen leichten Trab fallen, damit er etwas verschnaufen konnte. Die Pferde bedeuteten den Apachen viel, das wusste sie, und dass sie auch noch einen so schönen Hengst von Canovist geschenkt bekam, war ihr eine große Ehre. Sie würde gut auf ihn Acht geben. Sie wusste, welchen Weg sie einschlagen müsste. Von ihrem Vater hatte sie gelernt, wo Friedrichsburg lag und die Apachen lehrten sie, wie man sich anhand der Sonne orientiert. Es war morgen, also musste die Sonne noch recht weit im Osten stehen. Die Stadt der deutschen Siedler lag im Nordwesten. Sobald sie das Land der Apachen verlassen hätte, so hoffte sie, würde sie auf andere ihres Volkes treffen, die ihr eine genauere Beschreibung geben könnten.

So ritt sie bis zur Dämmerung immer in dieselbe Richtung und hielt nur einmal, um an einem Fluss ihre Wasservorräte aufzufüllen. Sie war weit gekommen und auch, wenn sie Kimama und die anderen vermisste, so war doch die Hoffnung auf ein neues Leben stärker. Nahe einer kleinen Baumgruppe wollte sie ihr Nachtlager aufschlagen. Sie nahm die Decke vom Pferd und löste die Zügel, die einfach in das Maul des Pferdes gelegt wurden. Sofort wälzte sich Shilah und schnaubte zufrieden. Als das Feuer entzündet war, ließ sie sich fallen und lehnte mit dem Rücken an einen Baum. Ihre Wunde schmerzte höllisch, doch würde sie dies ertragen müssen, bevor sie den nächsten deutschen Außenposten erreichte. Einen Moment lang schloss sie die Augen, mit einer Hand auf der Wunde und atmete einfach die kalte Luft ein. Der Winter war unaufhaltsam und er würde bald über das Land einbrechen. Sie fröstelte und stand wieder auf. Sie musste noch die Beine ihres Pferdes zusammenbinden, damit es in der Nacht nicht fortlief. „Du bist wirklich ein treuer Freund. Du führst mich in die Freiheit, stimmst?", flüsterte sie ihm ins Ohr und verwuschtelte seine lange Mähne. Noch eine Weile stand sie nur da und strich ihrem Pferd übers Fell, ehe sie die Decke, die sie zum Reiten benutzte auf dem Boden auslegte und sich zum Schlafen darauf ausstreckte.   


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