Totgeweihte lügen nicht

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In der darauffolgenden Woche musste Anna ihre Geschichte öfter erzählen, als es ihr lieb war. Ihr Abenteuer verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Umgebung und jeden Tag kamen Leute herbei, die neugierig versuchten alles aus ihr herauszuquetschen. So verging eine Woche, bis jemand die Kunde aus der Stadt bis zur Ace Creek Ranch trug: Der gefürchtete Indianer war gefasst. Wieso auch immer, irgendetwas tief in Annas Inneren zwang sie dazu, dass ihre Gedanken sich immer um Maska drehten und damit auch an die Erinnerung, wie Canovist sie verteidigt hatte. Sie musste in die Stadt reiten um ihn zu sehen. Also zäumte das Mädchen ihren treuen Shilah auf und bereitete sich auf den Ritt vor.

„Kann es losgehen?", fragte Max. Er würde sie begleiten, da er noch einige Erledigungen in der Stadt zu machen hatte. „Sicher, wir sind bereit", lachte Anna nervös. Sie war sehr angespannt. Wie würde Maska wohl auf sie reagieren? Genau genommen wusste sie nicht einmal, was sie ihm eigentlich sagen wollte, es zog sie nur einfach zu ihm hin. Max umfasste ihre Beine und schob Anna auf ihr Pferd. Brav wartete Shilah bis Anna sich auf seinem Rücken zurechtgerückt hatte und setzte sich auf einen kurzen Impuls von den Beinen seiner Reiterin hin in Bewegung. Die beiden ritten voraus, während der Ochse vor seinem Karren gemächlich vor sich hin trottete. Max stimmte ein fröhliches Lied an, eines, das Anna nur zu gut kannte, doch war ihr gar nicht nach singen zu Mute. Ihre Gedanken kreisten weiter unaufhörlich um Canovist und seinem Stamm.

Sie folgten dem Ace Creek, bis am Horizont die Umrisse der Stadt auftauchten. In der Nacht hatte es den ersten Schnee gegeben und die dünne Schneeschicht knarrte unter den Hufen der Tiere und den Rädern des Karrens. Allein der Bach plätscherte leise und übertönte das Summen des Jungen, doch trotz der stummen Welt, die vor ihr lag, dröhnten Anna die Ohren von dem lauten Klopfen ihres Herzens. Endlich erreichten sie die Blockhütten und Anna sprang von ihrem Pferd. Sanft bedankte sie sich bei Shilah mit einem Klopfer auf seinen Hals und befestigte dann die Zügel an einem Holzbalken. „Sei ein guter Junge, ich bin gleich wieder zurück." „Ich mache meine Einkäufe und dann treffen wir uns hier wieder", schlug Max vor. „Ich werde nicht lange brauchen. Wir sehen uns später." Sie wandte sich zum Gehen doch der Junge hielt sie am Arm zurück. Als sie sich zu ihm umdrehte zog er verlegen die Hand zurück. „Verzeih", entschuldigte er sich, „Aber pass auf dich auf." Anna lächelte und legte ihrem Freund eine Hand auf die Schulter. „Das werde ich." Dann sieg sie die Stufen zum Gebäude des Bürgermeisters empor und trat über die Schwelle.

Drinnen schlug ihr der Zigarrenqualm entgegen, sodass sie husten musste. „Hallo? Ist jemand hier?"

„Einen schönen guten Tag Miss. Was führt sie zu uns? Tee für die Dame?" Der Texasranger, der Anna bis Fredericksburg begleitet hatte, kam die Treppe hinuntergestiegen. Innerlich stöhnte Anna auf, doch zwang sie sich, ihr Gesicht zu wahren. „Schön sie wiederzusehen Mr. Hanson. Vielen Dank für das Angebot, doch bitte keinen Tee für mich. Ich bin in einer dringenden Angelegenheit hier." „So?" Langsam schritt er auf sie zu und betrachtete sie währenddessen prüfend. Seine Sporen klirrten bei jedem Schritt und seine Absätze hinterließen ein stumpfes Geräusch auf den Holzdielen. Er nahm einen kräftigen Schluck Wiskey aus einer Flasche. Genau so eine hatte sie bereits bei den Apachen gesehen. Feuerwasser nannten sie es. Und so schweiften ihre Gedanken wieder zu diesem wundersamen Volk. Der Klang Hansons Stiefel ließ sie sich wieder auf ihr eigentliches Vorhaben besinnen. „So ist es. Ich hörte, sie konnten den Apachen fassen?"

Überrascht zog der Ranger eine Augenbraue hoch. „Sie interessieren sich dafür? Ja, er sitzt hier hinten in seiner Zelle. Übermorgen wird er nach Austen überführt und dort wegen seiner Verbrechen hingerichtet." Anna schluckte. Sie hasste Maska, doch den Tod gönnte sie niemandem. Sie hob das Kinn, um ihre Verunsicherung zu verbergen. „Ich möchte ihn sprechen", forderte sie. Der Ranger lachte heiser. Anna wiederholte ihre Forderung und stemmte dabei ihre Hände in die Hüfte. „Nun, wenn sie sich damit mal nicht zu viel vorgenommen haben. Eine Frau sollte sich nicht in die Politik einmischen", spottete Hanson. „Lassen sie das mal meine Sorge sein." Zornig sprang sie einen Schritt vor, sodass der Ranger ausweichen musste und beschwichtigend die Hände hob. „Schon gut, schon gut, Miss. Folgen sie mir bitte." Selbstzufrieden lachte Anna in sich hinein und folgte dem Ranger durch eine knarrende Holztür.

Dann sah sie ihn und die Erinnerungen an seine Taten kehrten zurück. Maska stand stramm vor der eisernen Zellentür und blickte mit vor der Brust verschränkten Armen stur grade aus. Sein Apachenstolz ließ nicht zu, dass er sich auf den Boden kauerte und an seinem Schicksal verzweifelte. Auch, als der Ranger mit seinen Stiefeln gegen das Gitter klopfte, rührte er sich nicht. „Hey Rothaut! Besuch für dich. Die letzte anständige Lady, die du vor deinem Tod zu Gesicht bekommen wirst." Keine Reaktion. „Bitte, lasst uns allein", bat Anna. „Aber..", wollte der Ranger grade ansetzten, als Anna ihn unterbrach. „Er ist hinter Gittern. Ich bin sicher und außerdem weiß ich, dass sie direkt hinter der Tür warten werdet." Offensichtlich erleichtert, dass er sich wieder seinem Wiskey widmen konnte, hob Hanson die Schultern und trat zur Tür. „Du hast es gehört Rothaut, ich warte direkt hinter der Tür, also keine Dummheiten!", drohte er, dennoch würdigte er dem Apachensohn keines weiteren Blickes. Anna sah ihm nach, bis die schwere Holztür endlich hinter dem ihm ins Schloss fiel.

„Du hättest nicht herkommen sollen.", sprach Maska in der Sprache seines Stammes. Erschrocken darüber, dass er sie angesprochen hatte, drehte sie ihren Kopf ruckartig in seine Richtung. Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, konnte sie in sein Gesicht sehen. Es war eingefallen, aschfahl und müde und seine dunklen Augen stirrten aus den Augenhöhlen in die Ihren. Anna brauchte eine Weile, bis sie ihr Anliegen in seine Sprache übersetzen konnte. „Ich musste. Ich muss hören wieso. Aus deinem Munde." Mutig tat sie einen weiteren Schritt an das Gitter heran. „Der Mann der iya-sica steht vor der Tür und lauscht was wir sagen", sagte er mit Bitterkeit in seiner Stimme. Der Hass gegenüber dem Ranger stand ihm ins Gesicht geschrieben. Doch dann spannte er den Kiefer an und senkte den Kopf. Mit seinen Händen stütze er sich an der Eisenstreben seiner Zellentür ab, wobei die Ketten um seine Handgelenke gegen die Stäbe schlugen, und lehnte seine Stirn gegen seine Knöchel. In diesem Moment wirkte er so verletzlich und gab seine wahre Seele Anna preis, sodass sie sie erkennen konnte. Wie verzweifelt musste er sein, dass er sich Anna in dieser Weise öffnete.

Endlich begann er wieder zu sprechen. „Der Stamm ist in Gefahr. Unser Land, unsere Kinder, Canovist und Kimama. Alle. Ich habe Schreckliches getan, Heyatawin. Dinge, die die Geister Maska niemals verzeihen werden. Aber eine Bitte habe ich dennoch an die Frau der Weißen. Sie muss Maska helfen seine Familie zu retten."


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