Den Geistern sei Dank

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Einen Tag und eine Nacht hatte Anna geschlafen, bis sie endlich wieder die Augen aufschlug. Es musste schon nach Mittag sein, die Sonne stand so hoch, dass sich einige Strahlen durch die Öffnung an der Zeltspitze schlichen und Anna im Gesicht kitzelten. Eine Weile blieb sie so liegen, bis sie realisierte, dass sie nicht in ihrem Zelt lag. Sie wollte sich aufsetzen, doch der Schamane des Stammes drückte sie zurück auf ihr Lager aus Fellen. Er faselte etwas von den großen Geistern und irgendwelchen Heilmitteln, einige der wenigen Worte, die Anna schon in der Sprache der Apachen verstand. Erst jetzt kam die Erkenntnis, von dem, was geschehen war und Anna war als würde sich ein Schleier von ihren Sinnen heben.

Sie war nicht allein in dem Tipi, Kimama war an ihrer Seite und lächelte sie an, ehe sie aufsprang und schneller das Zelt verlies, als dass Anna ein Wort sagen konnte. Sie konnte die Vögel wieder singen hören und lauschte dem Trubel des Dorfes, bis plötzlich der Schmerz und alle Erinnerungen zurückkehrten. „Maska..", hauchte sie und fühlte ihre Wunde, die der Schamane wohl verbunden hatte. „Er ist fort." Canovist war im Zelt aufgetaucht, hinter ihm eine aufgeregte Kimama. Anna wirbelte herum und verzog das Gesicht von dem Schmerz, der ihren Körper durchzuckte. „Fort? Er.... Er wollte mich töten. Er hatte ein Messer!", rief Anna aufgebracht. „Er wird nicht zurückkommen. Er ist kein Apache mehr. Er nahm sich Pferd und floh. Heyatawin ist sicher." Der junge Krieger schritt auf sie zu und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Canovist und Kimama danken den Geister, dass sie Heyatawin leben lassen."

Am Abend versorgte der Schamane Annas Wunde erneut und ließ sie dann gehen. Von Kimama gestützt, humpelte sie zurück zu ihrem Zelt. Die anderen Mädchen waren netter zu ihr als sonst und hielten ihr den Eingang zum Zelt auf, sodass sie problemlos hineinschlüpfen konnte. Sie teilten sogar ihr Essen mit ihr. Normalerweise gehörte es ja zu Annas Aufgaben für Canovist eine Mahlzeit anzurichten und aß dann die Reste davon. Doch schnell kehrten sie wieder zur Normalität zurück und beachteten Anna kaum noch. Wenigstens hatten sie versucht höflich zu sein. Kimama ließ sich neben Anna auf ihr Lager fallen. Eine ganze Zeit schwiegen sie, ehe Kimama das Wort ergriff. „Schamane heilt", sagte sie ehrfürchtig und deutete auf Annas Bauch. Sie nickte. Zu ihrem Bedauern musste Anna zugeben, dass Kimama viel schneller Deutsch lernte, als dass Anna die Apachen-Sprache verstand. „Ich glaube, ich wäre verblutet, wenn er nicht gewesen wäre", stimmte sie ihrer Apachenfreundin zu. „Canovist war da." „Canovist?" „Canovist hilft Heyatawin."

Anna war überrascht. Also hatte Canovist ihr abermals das Leben gerettet. Sie musste tief in seiner Schuld stehen. „Canovist liebt Heyatawin", kicherte Kimama. Anna hielt es für einen Scherz. „Ja klar. Und wer sagt das?" „Canovist!", Kimama schien beleidigt, dass Anna ihr nicht glaubte. „Er erzählt Kimama viel." Wieder breitete sich ein Schweigen aus. Die übrigen Mädchen hatten sich bereits zum Schlafen niedergelegt und auf einmal kroch auch Anna die Müdigkeit in die Knochen. Sie drückte Kimama von ihrem Lager herunter und deutete mit einer Geste an, dass auch sie jetzt schlafen wollte. Diese verstand und nickte Anna noch mit einem Lächeln zu, ehe sie es sich auf ihrem Schlafplatz auf der gegenüber liegenden Seite bequem machte. Welch Unsinn sie erzählte! Anna war sich nicht sicher, ob Kimama das Wort 'Liebe' richtig erstanden hatte und nahm sich vor, ihr am nächsten das Wort 'Hilfsbereitschaft' beizubringen, denn das war es wohl eher. Oder Canovist wollte, als stolzer Häuptlingssohn, sich nicht von einem einfachen Krieger seinen Besitz, wie er Anna nannte, zerstören lassen. Was es auch war, sie musste ihm unbedingt für seine Taten danken, da sie ohne ihn nicht mehr unter den Lebenden weilen würde und elendig verblutet wäre.  Es dauerte eine Weile bis Anna eine Position gefunden hatte, in der ihre Wunde nicht zu sehr schmerzte und sie schließlich einschlafen konnte.

Die Nacht war kurz, doch raffte Anna sich am Morgen pflichtbewusst auf, um die Männer zu verabschieden, die ins Lager der deutschen Jäger reiten würden. Ihre Abreise musste sich um einige Tage verzögern, da Canovist persönlich sich noch auf die Suche nach Maska begeben hatte, mit der Begründung, er wolle sich nur sein Pferd zurückholen. Doch er blieb erfolglos.

Kimama war schon auf und eilte Anna zur Hilfe, als diese sich müssen durch den Zelteingang drückte. Sie lächelte ihrer neuen Freundin dankbar zu. Gemeinsam bereiteten sie das Pferd für Canovist vor, Kimama hatte bereits Proviant für ihn eingepackt. Mit einer geschmeidigen Bewegung saß Canovist auf dem Pferd und verabschiedete sich mit einem Nicken von seiner Cousine und Anna, ehe er seinen prächtigen Mustang vorwärtstrieb und seinen Kriegern Anweisungen zu rief. Es war die selbe Gruppe von Krieger, die auch die Siedler überfallen hatten und Anna gefangen nahmen. Patamon, Pinon und Tasunke, alle samt junge Burschen mit einem gehörigen Talent im Bogenschießen. Nur ein Teil der Truppe fehlte – Maska. Er war so sehr erfüllt von Rache und Zorn gewesen, dass er sogar seine Frau und seinen Sohn hinter sich gelassen hatte, als er fehlschlug. Aber auch ohne ihren Stammesbruder nahmen die Drei die Herausforderung an und Canovist sollte sie anführen. „Hakamya upo!", rief dieser, während sein Gesicht, welches mit einer Kriegsbemalung geschmückt war, nun ernste Züge annahm. Die Burschen antworteten mit einem Geheul, in das der Stamm mit einstimmte. Dann spornten sie ihre Pferde an und sie fielen in einen Galopp. Dann verschwanden ihre Umrisse und hinterließen nur eine Wolke aus Staub.


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