Familie

1.5K 72 6
                                    

Als am Nachmittag endlich die Umrisse der Zeltspitzen am Horizont auftauchten, glühte Maskas Wange noch immer rot, dort wo Annas Ohrfeige ihn in der Nacht erwischt hatte. Seit dem Vorfall hatte sie kein Wort mehr zu ihm gesprochen. Er hasste sich selbst dafür, dass er sich wieder einmal nicht beherrschen konnte. Was für eine Reaktion hatte er sich erhofft? Er hatte sie schwer verwundet, wie konnte er erwarten, dass sie das Gleiche empfand? Er schluckte seine Wut herunter und konzentrierte sich auf das nächste Problem: den Stamm davon zu überzeugen ihn überhaupt zu empfangen.

Auch Anna dachte noch an den Kuss. Sie war so perplex gewesen, dass sie ihn zunächst erwidert hatte, bis ihr ein Licht aufging. Ja, sie hatte seinen Körper bewundert, doch hinzusehen war immerhin kein Verbrechen. Aber niemals hätte sie es so weit kommen lassen wollen. Doch je näher sie dem Dorf kamen, desto aufgeregter wurde sie und vergaß Maska. Sie würde Kimama wiedersehen! Und Canovist... Sie traute sich bald nicht einzugestehen, wie sehr sie die beiden vermisst hatte, doch ihr Herz war lauter.

Die Apachen sahen die Reiter schon von Weitem kommen und ließen von ihren Tätigkeiten ab. Als Anna in das Dorf einritt, sah sie vielen freundlichen, bekannten Gesichtern entgegen. „Kimama!", rief sie und stürzte sich übereilig vom Pferd. Freudig lief die junge Apachin auf ihre Freundin zu. „Ake yayapy! Du bist zurück!" Sie strahlte vor Glück. „Heyatawin?" Diese Stimme kannte Anna nur all zu gut. „Canovist", flüsterte sie und fiel ihm stürmisch um den Hals. Er schmiegte sich an ihren Körper und strich ihr sanft übers Haar. „Du bist zu mir zurückgekehrt", haucht er, sein Mund ganz nah an ihrem Ohr, sodass sein Atem ihren Hals streifte und eine Gänsehaut hinterließ. Dann lacht er auf. „Du hast nichts von deinem Feuer verloren." Plötzlich wurde er ernst, als sein Blick an Maska haften blieb. „Doch du bist hier nicht willkommen." Er ließ Anna los und machte einige Schritte auf ihn zu, doch sein Bruder Sakima hielt ihn zurück. Anna erinnerte sich, dass er als angehender Häuptling besonders für seine Besonnenheit geschätzt wurde. „Schweig mein Bruder. Er soll den Grund für seine Rückkehr unserem Vater vortragen."

Ungeduldig lief Anna vor dem Versammlungszelt auf und ab, bis Kimama sich ihr den Weg stellte. „Auch wenn du hier Gräben in den Boden läufst, werden sie dort drin nicht schneller zu einer Lösung kommen." Anna seufzte. Sie wusste, dass Kimama Recht hatte, doch es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, seit Canovist mit seinem Bruder und Maska in dem Zelt verschwunden war. „Ihr habt uns mehr als genügend Zeit verschafft, als ihr den Männern ihre Pferde abnahmt, aber die Kunde, dass es auf unserem Land etwas Wertvolles zu holen gibt, wird sich nicht aufhalten lassen. Lass dem Rat Zeit zu entscheiden, wie wir unser Volk vor der Gier des weißen Mannes schützen können." Bereits als Anna ihrer Freundin erzählt hatte, wieso sie mit Maska zurückgekehrt war, war sie erstaunt gewesen, wie ruhig Kimama alles aufnahm, während sie selbst am liebsten in Panik geraten würde.

„Wie ich sehe trägst du nun doch die Kleidung, die Canovist dir geschenkt hat", versuchte Kimama das Thema zu wechseln. „Nun ja", lachte Anna, dankbar nicht mehr an die Silberjäger denken zu müssen, „Wie sich herausstellte ist sie angenehmer als dicke Röcke und Mieder. Und die Beinkleider sind ausgesprochen bequem. Ihr habt mir wirklich schrecklich gefehlt. " „Du hast uns auch gefehlt. Canovist besonders. Er war sehr verletzt, als du fortgeritten bist." Sie hatte ihm gefehlt. Der Gedanke daran ließ ihr Herz hüpfen. Was machte er nur mit ihr?

„Aber nun bist du ja wieder da." Canovist kam hinter ihr aus dem Zelt getreten. „Und diesmal werde ich bleiben", sie lächelte ihm zu, „Also, wenn ihr mich wieder bei euch aufnehmen wollt." Er legte eine Hand auf ihre Schulter und sah ihr eindringlich in die Augen. Diese braunen Augen, die Anna schwach werden ließen. „Du bist jederzeit willkommen." Kimama kicherte. „Ich denke, ihr habt viel zu besprechen", sagte sie und ließ die beiden alleine.

Canovist nutzte die Chance und führte Anna in sein Zelt. Sie war erstaunt, wie warm es darin war. Durch die Felle, die überall ausgelegt waren, war hier drin nichts von dem frostigen Boden zu spüren und die Zeltwände schienen die ganze Hitze des Feuers in dem kleinen Raum festzuhalten. Es fühlte sich an, als würde die Kälte wie eine Last, die sie die letzten Tage mit sich herumgetragen hatte, einfach draußen stehen bleiben und ihre Glieder vom Frost befreien. Sie ließ sich im Schneidersitz auf den Boden fallen und atmete mit geschlossenen Augen den altvertrauten Geruch von getrockneten Kräutern ein. Anna hatte sich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Wieso fühlte es sich so an, als sei sie zu Hause? Als sie die Augen wieder öffnete, stand Canovist direkt über ihr, reichte ihr eine Decke und ließ sich dann neben ihr nieder. Sein Arm streifte kurz den ihren und hinterließ ein Kribbeln auf ihrer Haut. Unwillkürlich musste sie an den Kuss des gestrigen Abends denken. Sollte sie Canovist davon erzählen? Sie hatte es auch Kimama verschwiegen.

„Es war mutig von dir Maska zu befreien und den weiten Weg mit ihm zu reiten. Die Geister haben dich mit Güte gesegnet", durchbrach er das Schweigen. „Zu welcher Entscheidung ist der Rate gekommen?" Es brannte Anna auf der Zunge. „Wir werden abwarten, wie viele Bleichgesichter kommen werden um unser Land zu plündern. Wir werden die Berge überwachen und unsere Freunde der Kiowa um Hilfe bitten. Wir wollen zunächst verhandeln, bevor wir zu den Waffen greifen. Aber wir werden es tun, um unseren Stamm zu verteidigen. Aber zuerst wird es heute Abend ein kleines Fest geben und wir wollen den Geistern danken, dass du unversehrt zu uns zurückgekommen bist." „Ein Fest? Für Mich?" Annas Wangen färbten sich rot. „Du hast bewiesen, dass du es Wert bist ein Teil unserer Familie zu sein."


Aufbruch in die neue WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt