Wie das Meer

2.2K 110 5
                                    


Als die Gruppe das Dorf erreichte wurde Anna vom Pferd gezogen und von allen Seiten betastet. Besonders ihre Haare und ihre Kleider schienen die Apachen zu faszinieren. Sie traute sich kaum zu rühren, geschweige denn zu wehren oder auch nur den Blick zu heben. Da lief eine junge Frau auf die Reiter zu und rief nach Akule. Der Teufel, wie Anna ihn nannte, erhob das Wort und berichtete wohl, was Akule in der Siedlung der Deutschen zugestoßen war, denn als er geendet hatte, brach das Mädchen zusammen und begann zu weinen, sodass es Anna die Seele schmerzte. Sie wollte etwas tun, das Mädchen trösten, doch sie wusste nicht wie. Plötzlich sprang ein junger Krieger, der zuvor dem weinenden Mädchen zu Hilfe geeilt war, aus der Menge hervor und stürmte mit Gebrüll und erhobenem Messer auf Anna zu. In der letzten Sekunde stellte Canovist sich schützend vor das deutsche Mädchen und sprach laut und mit Nachdruck in der Stimme zu dem Mann, der augenblicklich stehen blieb und seine Worte schmerzvoll ausspuckte. Es brauchte nur ein Widerwort von Canovist und der Junge senkte den Kopf, doch Anna erkannte, an seinem angespannten Kiefer, dass sein Zorn noch lange nicht verfliegen würde. Dann fasste Canovist Anna am Arm, um sie hinter sich herziehend in eines der spitzen Zelte zu bringen. "Was hast du ihnen gesagt?", wollte Anna wissen. "Nicht deine Schuld, dass Akule tot. Dein Volk hat getötet, nicht Heyatawin. Volk hat Heyatawin verlassen, also bist du nicht Feind von Apachen." Er deutete ihr sich hinzusetzen, bevor er das Zelt verließ und Anna allein mit ihren Fragen lies. Sie betrachtete das Zelt, Tipi, wenn sie sich nicht irrte, dessen Wände mit kleinen Figuren bemalt war und mit Fellen und Teppichen ausgelegt war. Mittig befand sich eine Feuerstelle, die nun in der Dämmerung schon etwas Wärme spendete.

Artig wartete Anna in dem Zelt, bis man sie auffordern würde etwas anderes zu tun. Die Dunkelheit hatte sich schon vollständig über  das Dorf gesengt, als ein Kind, ein Mädchen von etwa 10 Jahren das Zelt betrat. Ihre lange Haare trug sie, wie fast alle Frauen im Dorf, in langen geflochtenen Zöpfen und ihre dunklen braunen Augen strahlten Anna freundlich und neugierig an. Ohne ein Wort zu sagen, griff sie Annas Hand und führte sie hinaus, wo sich die Apachen versammelt hatten. In der Menge konnte sie Canovist erkennen, der nun auf sie zu kam. Sie war froh ihn an ihrer Seite zu haben, da sie spüren konnte, dass ihr einige nicht wohlgesonnen waren. Canovist schien ihr Unbehagen zu spüren. "Sie denken du", er runzelte die Stirn, als er nach dem richtigen Wort suchte, "Schuld tragen. Doch ich weiß, Akule starb durch Hand eines anderen." Während er sprach untermalte er seine Worte mit Gesten. "Sie hassen mich", stellte Anna ernüchternd fest. Der junge Krieger, der sie angegriffen hatte, starrte zu ihr herüber. "Er würde mich töten wenn er könnte." Sie deutete mit ihrem Kinn auf den Jungen, damit Canovist verstand. "Lenno in Trauer. Akule ist Lennos Bruder. Er weiß, Heyatawin nicht tötet. Nicht stark." Er spannte die Muskeln an und deutete auf seinen Arm. Anna verstand, aber beschloss, dass es besser wäre ihn nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Vielleicht war es besser, wenn sie sie für schwach hielten. "Lenno weiß, ich besitze dich. Er darf Heyatawin nicht anrühren."

"Besitzen? Du kannst mich nicht besitzen! Ich bin eine eigenständige Frau!", antwortete Anna aufgebracht. Schnell maßregelte sie sich selbst. Vermutlich war es nicht sehr klug, so mit einem Mann zu sprechen, der sehr wahrscheinlich auch noch eine hohe Position in diesem Stamm der Apachen inne hatte. "Für toten Apachen, wir nehmen Frau der Iya-sica. Frau ist Besitz. Ich Heyatawin aus Wasser geholt, ich besitze Heyatawin.", erklärte Canovist seelenruhig, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Anna wurde wütend, aber versuchte sich zu beherrschen, um nicht auch Canovist Zorn auf sich zu ziehen. Auch wenn er der Meinung war, er könnte einen Menschen besitzen, war er doch derjenige, der sie vor dem Teufel und Lenno beschützt hatte. "Was bedeutet 'du besitzt mich'?", fragte sie stattdessen mit hochgezogener Augenbraue. "Du wirst machen Arbeit der Frau. Wie bei Iya-sica." Er lächelte. Nicht bösartig oder hämisch. Es wirkte freundlich und ehrlich. Anna wurde nicht schlau aus seinem Blick. Aus irgendeinem Grund, schien ihr dieser Ausblick auf ein Leben im Dorf keine Angst zu machen. Vielleicht, weil sie bis vor einigen Stunden noch um ihr Leben fürchten musste. Vielleicht, weil sie in dem Lager an der Küste ohne den Track den Winter nicht überlebt hätte. Oder vielleicht, weil Canovist eine solche angenehme Ruhe ausstrahlte, die ihr Sicherheit versprach. "Wieso habt ihr mich mitgenommen und niemand anderen?" "Wir gesehen euer Lager, wir in den hohen Gräsern haben Iya-sica bewacht. Du warst mutig, klug, schön. Dann dein Volk tötet Akule, lässt dich ohne Hilfe. Wir wussten du bist wie Frau der Apachen. Du nützlich."

Seine Worte schmeichelten Anna. Sie lächelte ihn an und er sah zum ersten Mal überhaupt richtig in ihr Gesicht. Wieder runzelte Canovist die Stirn und legte den Kopf leicht schief. "Deine Augen!" Er deutete in ihr Gesicht. "Deine Augen!", wiederholte er. Verwirrt strich Anna sich über die Augenlider, als könne sie ertasten, was er sah. "Deine Augen blau wie Meer. Krankheit?" Da musste Anna laut lachen. Er hatte noch nie in seinem Leben eine andere Augenfarbe gesehen, als die braunen Augen seines Stammes. "Das hier", sie tippte auf einen Punkt unter ihrem Auge, "ist normal. Von meinem Vater." "Dein Vater..... ein großer Mann? Augen wie Meer eine Ehre? Ehre für großen Mann?" " Ich weiß nicht wieso. Mein Vater war Schneider. Das", sie zupfte an ihrem Kleid, "ist von ihm." Canovist verstand nicht was ein Schneider war und beharrte weiter auf seiner These, dass Annas Vater ein großer Mann gewesen sein musste. "Heyatawin Tochter eines großen Mannes." Er nickte, mit sich selbst zufrieden. Anna lachte und Canovist strahlte zurück. Er wirkte beinahe stolz.  Das  junge Mädchen war zunehmend beeindruckt von dem Krieger und begann ihn wirklich zu mögen. Sie würde unter seinem Schutz nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, doch war sie sich sicher, dass sie ihre spitze Zunge vorerst zügeln sollte, bis sie mit den Gebräuchen und Sitten der Apachen vertraut war.

Aufbruch in die neue WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt