Amerikanischer Boden

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Anna wälzte sich unruhig hin und her. Seit 7 Wochen war das Schiff nun bereits von Deutschland zur Nord-Ost-Küste des neuen Kontinents unterwegs. Vor nicht einmal zwei Wochen hatte die Cholera ihr ihre Eltern genommen. Ihre Leichen waren schon lange über Bord geworfen, um weitere Infektionen zu vermeiden. Beinahe die Hälfte der Passagiere dieses Schiffes waren bereits auf offenem Meer umgekommen, sodass Anna mittlerweile sogar ein Bett ganz für sich alleine hatte und es nicht mehr mit anderen teilen musste. Ein junger Mann hatte es ihren kranken Eltern überlassen, doch zuerst starb der Vater, dann die Mutter und sogar den jungen Mann hatte es das Leben gekostet. 

Anna hatte Albträume. Wieder und wieder hallten die letzten Worte ihres Vaters in ihrem Kopf wieder: "Gebe uns ein letztes Versprechen, Anna. Bleibe am Leben und bewirtschafte unser Land. Es ist alles was wir haben. Reiche es weiter an die nächste Generation, damit sie ein freies, unbesorgtes Leben haben. Dann war diese Reise nicht umsonst! Achte auf das, was dein Verstand dir sagt und vertraue auf dein Herz. Du hast eine gutes Herz, Anna! Vergiss dies niemals, hörst du? Das musst du mir versprechen!"

Der Klang der schweren Schiffsglocke lies sie aufschrecken. Sie setzte sich leicht auf und hielt sich das klopfende Herz. Auch die anderen waren bereits aufgewacht und Jubel machte sich breit. Denn jeder wusste es: Die Glocke bedeutet Land! Endlich waren die langen Tage in diesem stickigen, verseuchten Schiff gezählt. Anna sprang auf und griff vor lauter Freude nach den Händen der nächst besten Person und fand sich vor Freude im Kreis springend mit einem kleinen Mädchen wieder. Das Lachen der Menschen hallte im Schiffsrumpf wieder. Nur selten traute sich ein Mitglied der bessergestellten Crew in diesen Teil des Schiffes, doch in diesem Moment steckte ein Matrose den Kopf durch die Tür und verkündete die frohe Botschaft. "Wir haben es geschafft, wir haben die Küste erreicht! Die Beiboote sind bereit. Zuerst kommt der Adel. Wenn ihr an der Reihe seid, werdet ihr Nachricht erhalten", versuchte er zwischen den Jubelschreien der einfachen Menschen zu erklären. Sofort verstummten alle fröhlichen Stimmen, dagegen wurden Stimmen des Protestes laut. "Ich dachte, dies sein ein freies Land und doch bestimmen hier die selben Leute! Wir sind betrogen worden!", rief der Müller, den Anna aus ihrer Heimatstadt kannte. Bedrohlich ging der große Mann auf den Matrosen zu, der ihm tapfer entgegen blickte und plötzlich eine Pistole zog. "Keinen Schritt weiter oder ich schieße! Will sonst noch jemand irgendetwas dazu sagen?", zischte der Matrose. Anna, die zuvor auch mit wüsten Beschimpfungen um sich geworfen hatte, verstummte augenblicklich. Sie wusste, dass die Niederstreckungen von Protesten sehr ernst genommen wurde, auch wenn es Leben kosten sollte. Auch der Müller schien das zu wissen, denn auch er knurrte nur und trat zurück in die Menge.

Nachdem sich der Aufruhr wieder gelegt hatte, lungerten die Menschen auf dem Boden und warteten auf die erlösende Nachricht, dass sie an Land gehen könnten. Anna seufzte und erhob sich. Sie wollte die Zeit nutzen, sich noch ein wenig für diesen doch sehr bedeutenden Augenblick her zu richten. Sie nahm ihre Bürste aus ihrem kleinen Gepäckbeutel und machte sich auf den Weg zur Waschschale um sich im Spiegelbild zu betrachten. Sorgfältig kämmte sie sich das braune Haar und verstaute es wieder ordentlich unter ihrer Haube. Ihre blauen Auge schauten ihr bloß müde und traurig entgegen, denn ihr Herz war ihr noch schwer von dem Verlust ihrer Eltern.

Sie sprach nie viel. Auch, als sie endlich im Beiboot saßen, welches sie zur Küste bringen sollte, sagte das junge Mädchen keinen Ton.  Vertraute oder Freunde hatte sie auf dieser Reise zwar gefunden, jedoch wie ihre Eltern durch die Cholera verloren. Wie durch ein Wunder war sie von der Krankheit verschont geblieben. War es Schicksal?

Sanft schlugen die ruhigen Wellen gegen den Rand des Bootes. Anna schloss die Augen, atmete die Seeluft ein und lauschte den Vögeln. Nur noch wenige Meter bis zum Ufer. Dann waren sie da. Anna streckte vorsichtig einen Fuß über den Bootsrand und betrat dann zum ersten mal amerikanischen Boden.     

Aufbruch in die neue WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt