Verbündet

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Lautlos glitt Anna vom Rücken ihres Pferdes. Im Schutz der Dunkelheit an diesem Morgen schlich sie über die Veranda. Die Tür war nicht verriegelt, das machte es ihr leicht in das Haus zu gelangen. Im Kamin glühten noch die Kohlen vom Feuer, dass in der Nacht zuvor in ihm entzündet war. Sie war schon an der Treppe vorbeigeschlichen, als plötzlich eine Diele unter ihren Füßen knarrte. Gebannt hielt sie die Luft an und lauschte in die Finsternis, doch konnte sie außer den Geräuschen der Nacht nur ihr Herz hören, das ihr bis zum Hals schlug. Der Ranger, der nachts in der Dachkammer schlief, hatte sie nicht gehört. Weiter tappte sie nur auf Zehenspitzen, bis sie endlich die Zellen erreicht hatte.

„Maska", versuchte sie den jungen Apachen zu wecken, „Kiwani!". „Du bist gekommen", murmelte seine Stimme aus einer hinteren Ecke. Annas Hände tasteten im Dunkeln nach den Gitterstäben und suchten Halt. „Ich musste. Ich könnte nicht damit Leben, wenn Canovist und Kimama etwas zustoßen würde. Ich muss sie warnen und dafür brauche ich deine Hilfe, auch, wenn ich es nicht gerne zugebe. Alleine finde ich den Weg zurück zum Stamm nicht." Die Ketten klirrten, als Maska sich erhob und auf Anna zutrat. „Ich werde dir helfen, und wenn es das Letzte ist, das ich tue", sagte er leise, aber mit Sicherheit in der Stimme und Anna vertraute ihm. „Konntest du beobachten, wo Hanson den Schlüssel aufbewahrt?" „Er trägt ihn immer bei sich, aber in der Nacht lässt er ihn hier, bevor er sich in seine Schlafkammer begibt. Ich konnte hören, wie er ihn ablegte, aber ich kann dir nicht sagen, wo." Hoffnungslos legte Anna den Kopf in die Hände. In ihrem Plan den Apachen zu helfen, hatte sie nicht daran gedacht, dass die Zellentür verschlossen sein würde.

Sie hatte keine Wahl, sie musste das Büro des Scheriffs durchsuchen. So leise sie konnte durchsuchte sie alle Schubladen in der Hoffnung nicht erwischt zu werden. Doch der Schlüssel war nicht da. Sie wollte die Suche schon aufgeben, da stieß sie ungeschickt mit dem Ellenbogen gegen eine geschmacklose Vase. Sie wackelte, doch ehe Anna sie greifen konnte, fiel sie zu Boden und zerbrach in Scherben. Entsetzt starrte sie auf die Vase, oder eher auf das, was von ihr noch übrig war. Nun war alles vorbei. Der Ranger hatte das bestimmt nicht überhört und würde sie hier unten finden. Bestimmt hielt er sie dann für die Komplizin eines Indianers. Sie merkte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und dann sah sie ihn. Den Schlüssel, versteckt zwischen den Scherben der Vase.

Schnell hob sie ihn auf und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ihr noch genug Zeit bleiben würde Maska zu befreien. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte das Schloss zu öffnen. Klackend sprang der Riegel zurück und Maska war frei. „Komm, lauf, es hat uns sicher jemand gehört!", wies Anna den Krieger an. Er folgte ohne zu zögern. Er musste Anna in diesem Moment vertrauen. Im Halbdunkeln stolperten beide durch den Raum und hinaus auf die Veranda. Jedoch traf Anna die Stufen nicht, rutschte unglücklich ab und stürzte. Doch Maska war direkt hinter ihr, griff nach ihrem Arm und zog sie schneller wieder auf die Füße, als dass sie über die Schmerzen in ihrem Knöchel nachdenken konnte.

Leichtfüßig sprang er auf den Rücken von Shilah und reichte Anna dann die Hand. Kaum saß sie hinter ihm, trieb er das Pferd in einen schnellen Galopp. Zu ihrem Glück hielt Maska noch immer ihre Hand umklammert, sonst wäre sie sicherlich von dem Schwung wieder vom Pferd gerutscht. Um sich zu halten, schlang sie ihren Arm um seine Hüfte und befreite dann ihre andere Hand aus seinem Griff, um sich noch einmal umzusehen. Sie flohen keine Sekunde zu früh. Die Sonne zeigte sich am Himmel und die beiden verschwanden mit den letzten Schatten der Nacht. In der Ferne konnte sie erkennen, dass ihnen ein Reiter folgte. Nicht mehr als ein dunkler Strich in der schneebedeckten Landschaft, doch konnte sie erahnen, dass er ein hohes Tempo ritt. „Ich denke, es ist der Ranger! Er folgt uns!", schrie sie gegen Maskas großen Rücken. „Ich weiß, wie wir ihn abhängen", sagte er und ließ Shilah noch schneller laufen.

Sie waren eindeutig im Nachteil. Shilah hatte zwei Reiter zu tragen, während der Ranger allein auf seinem Pferd saß und damit schneller. Und würde er sie erreichen, könnten sie erkennen, dass er bis an die Zähne bewaffnet war. Die einzige Karte, die sie ausspielen konnten, war, dass Maska die Landschaft wie seine eigene Hosentasche kannte. Rasch entfernten sie sich vom Pedernales River und schlugen den Weg in östliche Richtung ein. Dort sollte es, Maska zu folge, eine kleine Berggruppe geben, die noch nie ein Siedler besucht hatte. Seine Hoffnung war, dass auch Hanson noch nie dort war. Das Land war dort vom letzten Sommer verdorrt und die Hänge waren steinig.

Erst am späten Abend trauten sie sich zu rasten, denn Shilah brauchte nach dem anstrengenden Ritt eine Pause. Es würde eine kalte Nacht werden, es war noch zu gefährlich ein Feuer zu entzünden. Mithilfe einer Öllampe, die nur schwaches Licht spendete, durchsuchte sie ihre Satteltaschen nach den Maisfladen, die sie mitgenommen hatte. Während beide schweigend aßen, wurde ihnen ein neuer Vorteil bewusst: In den Bergen gab es kaum etwas zu jagen und Pflanzen gab es in den Wintermonaten noch seltener. Anna hatte Zeit gehabt Proviant für einige Tage zu packen, während Hanson einfach nur sein Pferd gesattelt und aufgebrochen war. Es war dumm von ihm gewesen und Anna war beschämt so zu denken, aber sie hoffte, dass der Hunger ihn holte, oder zumindest umkehren ließ.


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