Feuerwasser

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Die Sonne stand schon hoch am Himmel als Kimama, eine Cousine von Canovist, welche Anna am Abend noch etwas herumgeführt hatte, sie bat noch weitere Messer aus dem Tipi zu holen.  Die beiden hatten schon am morgen angefangen Felle zu bearbeiten. Eine sehr schweißtreibende Angelegenheit. Kimama hatte Anna bei Sonnenaufgang geweckt und ihr deutlich gemacht, dass sie nun Aufgaben zu erledigen hatte. Während des Trauerfestes, welches für Akule gefeiert wurde, da es keine Leiche gab, die man beerdigen konnte, hatte Anna Kimama bereits richtig lieb gewonnen. Kimama hatte ebenfalls erst 18 Sommer gesehen und die beiden konnten sich prima mit Händen und Füßen verständigen, auch, wenn die anderen Frauen sie misstrauisch beäugten. Von ihr hatte Anna auch erfahren, dass Canovist 24 Sommer alt und der zweite Sohn des Häuptlings war. Es war gut mehr über die Menschen in dem Dorf zu erfahren, in dem sie vermutlich eine lange Zeit verbringen würde.

Canovist stöhnte und bedeckte seine Augen mit seinem Unterarm, als Anna das Zelt betrat. Sie hatte den Eingang des Tipis weit zurückgeschlagen und die Strahlen der Mittagssonne fluteten den großzügigen Innenraum. Der junge Krieger lag noch immer auf seinem Schlaflager. "Canovist! Ich habe niemanden hier drin vermutet. Ist bei dir alles in Ordnung?" "Krankheit holt Canovist", brachte er mit brummender Stimme hervor. "Mein Kopf... und Magen." Anna wischte sich ihre Schmutz bedeckten Hände an ihrem Kleid ab, um sich neben Canovist niederzulassen. Besorgt fühlte sie seine Stirn. Er zuckte zurück: "Was soll das?" "Halt still! Ich will nur deine Temperatur fühlen, damit ich dir helfen kann!". Sie biss sich auf die Zunge. Wieder hatte sie einen Ton angeschlagen, der einem Mann der Apachen vermutlich nicht würdig war. "Du hast spitze Zunge", stellte Canovist wie als Bestätigung fest. "Schamane kann heilen. Du kein Schamane."  Immerhin schien er ihr wegen ihres Ausrutschers nicht böse zu sein. "Ich kenne sehr wohl einige Krankheiten und auch einige Arten sie zu behandeln", erwiderte Anna trotzig, nur, um sich danach schnell wieder daran zu erinnern, dass sie sich eigentlich zügeln wollte.

Seufzend ergab Canovist sich seinem Schicksal und ließ Anna seine Stirn fühlen. "Ist dir übel?", wollte Anna wissen. Der Junge verstand nicht, was sie dazu zwang sich wieder mit Gesten zu verständigen. Mit immer noch zusammen gekniffenden Augen nickte er, doch legte gleich schmerzerfüllt die Hände an seine Schläfen. Die Diagnose war für Anna eindeutig. Die Kopfschmerzen, gepaart mit Lichtempfindlichkeit, einem flauen Magen und dem Fest des vergangenen Abends - Canovist hatte offenbar seine erste Begegnung mit dem Alkohol gehabt. Anna hatte von dem Handel zwischen verschiedenen Indianerstämmen Texas und den deutschen Siedlern gehört. Die Deutschen tauschten Alkohol und Schusswaffen gegen Land, Felle oder andere Sachen ein. 

"Was hast du gestern getrunken?"   "Feuerwasser von iya-sica. Für Ehre von Akule." Canovist klopfte sich mit der Faust aufs Herz. Anna musste Lachen, was Canovist verärgerte. "Sei mir nicht böse, aber du bist nicht krank. Wenn man Feuerwasser trinkt, dann geht es einem davon nun mal nicht besonders gut. Dich hat es nun wirklich schlimm getroffen, aber du hast nur einen schweren Kopf von dem Feuerwasser. Keine Krankheit", klärte Anna ihn auf. "Wann verschwinden Schmerzen?", jammerte Canovist. Anna lächelte ihn an.  Bei allen Gruselgeschichten die sie je von den Apachen gehört hatte, hätte sie so etwas nicht erwartet. Von wegen, ein Indianer kennt keinen Schmerz! Wer hätte gedacht, dass ein billiger Alkohol einen Mann, der so stark schien, aus der Bahn werfen konnte. "Ich weiß, was dir hilft." Anna erhob sich von seinem Lager und reichte ihm einen Schlauch, der mit Wasser gefüllt war. "Erst einmal musst du viel trinken. Und dann musst du etwas essen, auch wenn dir schlecht wird." Der  Rest vom Maisbrei, der noch neben der Feuerstelle stand, schien ihr am besten geeignet. Gut gewürztes Essen ist das beste nach einem langen Abend, das kannte Anna aus ihrer Heimat. Nur war sie mit den Gewürzen und Kräutern, die sie im Zelt finden konnte, in keinerlei Weise vertraut. Also beschloss sie einfach einige der Gewürze zusammen zu werfen und unterzurühren.

Zu ihrer Überraschung hatte Canovist getan, wie ihm befohlen war und hatte den Maisbrei aufgelöffelt. Er hatte es nicht lassen können eine Bemerkung über den Einsatz der Gewürze abzugeben. Anna war wieder an ihre Arbeit gegangen. Alles, was ihr aufgetragen wurde erledigte sie, ohne auch nur die Miene zu verziehen, nur um keinen Ärger zu machen. Zwar war sie sich sicher, dass die Apachen ihr nicht mehr nach dem Leben trachten, aber sie war trotz alle dem noch eine Gefangene. "Warum kennt Heyatawin Heilung für Gift von Feuerwasser?" Canovist war hinter ihr aufgetaucht. Vor Schreck ließ sie die Nadel aus Knochen fallen, mit der sie versucht hatte ein ledernes Beinkleid zu flicken. Er sah wirklich besser aus. "Mein Vater musste davon nach einem Fest oft Gebrauch machen", lachte Anna. "Danke". Der junge Krieger nickte ihr mit einem Lächeln zu, ehe er wieder verschwand.

Anna widmete sich wieder den Beinkleidern. Kimama hatte wohl die Aufgabe, sie in die Pflichten einer Apachen-Frau einzuweisen. Diese unterschieden sich gar nicht so stark von ihren Pflichten in Deutschland, nur die Vorgehensweise war anders. Nähen, kochen, waschen, das kannte sie schon von zuhause. Und das Heilen von schweren Köpfen nach dem Trinken, das konnte sie auch. Sie musste schmunzeln. Doch was wird es für sie bedeuten, im Besitz eines Apachen zu stehen? Canovist schien besonnen, klug und freundlich. Er würde ihr nichts antun, zumindest hoffte sie das. Fliehen konnte sie nicht, zumindest war sie nicht mutig genug um an den Wachen vorbei zu schleichen, um ein Pferd zu stehlen und zu Fuß würde sie niemals weit genug kommen. Außerdem bekam sie zu essen, durfte sich frei bewegen und Kimama war sehr nett zu ihr. Sie seufzte. Was blieb ihr anderes übrig?


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