Beratungsstelle - Ich kann nicht mehr

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Es ging mir für kurze Zeit besser. Für kurze Zeit dachte ich, ich hätte meine Essstörung im Griff. Für kurze Zeit dachte ich, ich könnte normal essen und alle Probleme hätten sich gelöst. Für kurze Zeit hatte ich die Hoffnung das alles ohne Therapie und ohne Hilfe zu schaffen... Für kurze Zeit hatte ich die Hoffnung auf ein normales Leben...
Doch dann kam die Enttäuschung. Ich habe mich wieder einmal selbst enttäuscht. Die Essstörung hat mir wieder mal bewiesen, dass sie stärker ist als ich. Viel stärker. Und ich bin alleine einfach machtlos dagegen...

Langsam wird mir klar, dass ich definitiv Hilfe brauche und es ohne Hilfe so nicht mehr weitergehen kann. Es tut irgendwie weh sich das selbst einzugestehen. Sich einzugestehen, dass man wirklich ein Problem hat. Dass man vielleicht wirklich psychisch krank ist. Dass man wirklich in Therapie muss und vielleicht auch, dass man wirklich eine stationäre Therapie braucht...

Ja, eine stationäre Therapie. Ich habe mich in den letzten Tagen wieder sehr mit dem Thema befasst und mich auch über einen stationären Klinikaufenthalt im Internet erkundigt. Die Kliniken, die allerdings auf Essstörungen spezialisiert gewesen sind, waren mind. 150-200km weg.
Aber ich will meine beste Freundin Lia nicht verlieren und ich habe Angst, dass dadurch unsere Freundschaft kaputt gehen könnte... Wir könnten uns nicht oft sehen, wenn ich in einer solchen Klinik eine Therapie machen würde... ich habe gehofft, dass es noch andere Möglichkeiten gibt und wollte mich deshalb über einen stationären Aufenthalt und Alternativen informieren. Deswegen bin ich zu einer anderen Beratungsstelle gegangen.
Sie nannte sich “Beratungsstelle für psychisch kranke Menschen“. Ehrlich gesagt war das schon irgendwie komisch... Naja, ich kam auf jeden Fall zu diesem Termin hin und war erstmal etwas verwirrt, weil direkt im Flur “Tagesförderstätte“ stand und nichts mehr von der Beratungsstelle. Als ich ein paar Schritte auf den Eingang der Tagesförderstätte zugelaufen bin, habe ich gesehen, dass es noch Treppen nach oben ging und ein kleines Schild “Beratungsstelle“. Oben angekommen hat mich eine sehr schlanke Frau empfangen und mir gezeigt, wo ich genau warten sollte. Sie hat mich pünktlich auf die Minute dran genommen und wir gingen in einen Raum rein, der auf den ersten Blick eher wie ein Büro als ein Beratungraum aussah. In einem Teil des Raumes war dann noch ein recht großer Tisch gestanden, an dem wir beide Platz genommen haben.
Sie hat gefragt, warum ich zu ihr komme. Geantwortet habe ich: “Wegen einer Essstörung und depressiven Phasen“.
Sie sagte mir, dass der Begriff “Essstörung“ ja ein ziemlich großer Begriff sei, wegen “-störung“. Das sei ja schließlich eine Krankheit.
Ich habe ihr dann mein momentanes Essverhalten geschildert, und ihr auch gesagt, dass die Probleme mit dem Essen schon ca. 2,5 Jahre andauern. Dennoch hat sie glaube ich nicht verstanden, warum ich selbst von mir behaupte, eine Essstörung zu haben... In diesem Punkt habe ich mich gar nicht verstanden gefühlt...

Zum Thema stationärer Klinikaufenthalt meinte sie, dass sie so etwas eigentlich immer befürwortet. Allerdings wären die Wartezeiten ja meistens seeehr lange, also oft ein paar Monate, und man würde sowieso kaum eine Chance haben, in seine Wunschklinik zu kommen. Na super! Meinen kleinen Hoffnungsschimmer auf Besserung der aktuellen Situation hat sie mir damit ein bisschen genommen...
Am Ende meinte sie dann, dass ich das nächste Mal doch meinen Bruder als Vertrauensperson mitnehmen sollte. Wtf???! Sicher nicht! Warum sollte ich meinen Bruder mit zu Beratungsstelle nehmen, wenn er von all dem nichts weiß?! Ich habe mehrmals erwähnt, dass ich eine beste Freundin habe. Warum schlägt sie wenigstens dann nicht vor, Lia das nächste Mal mitzunehmen? Egal, ich wollte da sowieso kein zweites Mal hin... Ich habe mich total unverstanden gefühlt... sie hat gar nicht mein Anliegen ernst genommen. Das war echt mein erster und gleichzeitig letzter Termin in dieser Beratungsstelle!
Das “tolle“ an dem ganzen Termin war noch, dass mittendrin eine Frau in das Zimmer während dem Gespräch reingeplatzt ist. Ich meine, eigentlich wäre das ja nicht schlimm, aber das Problem an der ganzen Sache war, dass ich diese Frau kannte und meine Mutter auch. Nur kurz haben sich unsere Blicke gekreuzt, dann ich habe sofort weg geschaut, als ich sie erkannte. Nach dem Gespräch hatte ich sehr Angst, dass diese Frau meiner Mutter erzählen könnte, dass ich bei der Beratungsstelle war, denn meine Eltern hatten ja immernoch keinen blassen Schimmer von all dem...

Essstörung - Der Moment, als ich gesagt bekam, ich sei psychisch krank...Where stories live. Discover now